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Update: SAP droht nach Schuldeingeständnis eine öffentliche Schlammschlacht

04.07.2007
Mit der öffentlichen Erwiderung auf Oracles Anklage geht SAP trotz der eingeräumten Schuld in die Offensive. Allerdings droht nun ein monatelanger Streit, der zum Großteil in der Öffentlichkeit ausgetragen werden dürfte.

"Die Schlacht zwischen Oracle und SAP wird in der Öffentlichkeit gewonnen oder verloren", glaubt David Mitchell, Analyst von Ovum. Die entscheidenden Truppen in dieser Auseinandersetzung seien nicht die Rechtsanwälte, sondern die PR-Abteilungen beiden Unternehmen. Beide Seiten haben sich bereits in Stellung gebracht. Die Art und Weise, wie die Softwarekonzerne die Einzelheiten des Streits ins Licht der Öffentlichkeit zerren, ist bislang einzigartig in der IT-Branche. Details derartiger Fälle werden in aller Regel streng unter Verschluss gehalten – auch aus Angst vor einem möglichen PR-Desaster. Oracle (www.oracle.com/sapsuit) wie auch SAP (www.tnlawsuit.com) haben dagegen eigene Websites ins Internet gestellt, auf denen detailliert über die eigene Sicht des Streits berichtet wird.

SAP hatte am 2. Juli erstmals zu den Spionagevorwürfen Oracles Stellung bezogen. Der Konzern räumte darin ein, seine US-amerikanische Support-Tochter TomorrowNow habe "einige Fehlerbehebungen und Wartungsdokumente in unangemessener Weise heruntergeladen". Im gleichen Atemzug versuchte SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann jedoch, diesem Schuldeingeständnis die Spitze zu nehmen. Diese Materialien seien auf separaten Servern von TomorrowNow verblieben, SAP selbst habe keinen Zugriff auf geistiges Eigentum von Oracle gehabt, hieß es. Die Geschäftsstrukturen von SAP und TomorrowNow seien "bewusst durch eine Firewall getrennt". Weder SAP America noch die deutsche Zentrale hätten Zugriff auf die Systeme.

Oracle hatte SAP am 22. März dieses Jahres wegen Industriespionage und unlauterem Wettbewerb verklagt. Der US-Konzern wirft seinem deutschen Konkurrenten Diebstahl geistigen Eigentums in großem Stil vor. SAP habe Ende 2006 wiederholt mit Hilfe von Zugangsdaten abgeworbener Kunden unerlaubt auf eine Support-Website von Oracle zugegriffen und von dort Tausende von Softwareprodukten sowie jede Menge vertrauliches Material heruntergeladen. Anfang Juni legten die Oracle-Verantwortlichen nach und erweiterten ihre Klage um den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung. "In diesem Fall geht es um Firmendiebstahl in großem Stil, begangen vom größten deutschen Softwareanbieter, einem Konglomerat bekannt als SAP", wetterte die Oracle-Führung.

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht in erster Linie die 100-prozentige SAP-Tochter TomorrowNow. SAP hatte den Dienstleister Anfang 2005 übernommen, kurz nachdem Oracle seinem 18 Monate dauernden Kampf um die Übernahme von Peoplesoft erfolgreich abgeschlossen hatte. TomorrowNow bietet Support-Dienste für Applikationen an, deren Hersteller im Laufe der Zeit von Oracle geschluckt worden waren: Dazu zählen beispielsweise Peoplesoft, J.D. Edwards und Siebel. Die Preise liegen deutlich unter dem Niveau, das Oracle für seine Softwarewartung verlangt. SAP hoffte, über den Supportanbieter den Kontakt zu Oracle-Kunden herstellen und diese auf die eigene Seite ziehen zu können. Aktuell betreut der Dienstleister etwas mehr als 300 Kunden.

Chronologie des Streits

22. März 2007: Oracle klagt SAP der Industriespionage und unlauteren Wettbewerbs an

1. Juni 2007: Oracle erweitert seine Klage und wirft dem Kontrahenten nun auch massive Urheberrechtsverletzungen vor.

2. Juli 2007: SAP räumt ein, dass es Unregelmäßigkeiten bei TomorrowNow gegeben habe, widerspricht aber vielen Anklagepunkten.

4. September 2007: Beide Streitparteien treffen sich vor Gericht. Richter Martin Jenkins entscheidet über den weiteren Prozessverlauf.

Doch um einen qualitativ ausreichenden Support bieten zu können, haben die TomorrowNow-Verantwortlichen offenbar zweifelhafte Methoden angewandt, wie sich jetzt herausgestellt hat. "Für mich ist selbst ein einziger unangemessener Download inakzeptabel, und wir bedauern diesen Vorfall sehr", gab sich SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann zerknirscht. Wenige Woche zuvor hatte der SAP-Sprecher ganz anders geklungen. Es gebe keine Hinweise auf irgendein Fehlverhalten, behaupteten Kagermann und TomorrowNow-Chef Andrew Nelson. Es seien keine Urheber- oder Eigentumsrechte Oracles verletzt worden. "Wir werden unsere Rechte unnachgiebig verteidigen."

Wie es letztendlich zu den Regelverstößen gekommen sei, könne man noch nicht sagen, verlautete von Seiten SAPs. Jetzt muss der Softwareanbieter allerdings erst einmal dafür sorgen, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen. SAP nehme jede Abweichung von seinen für alle Geschäfte definierten hohen Grundsätzen sehr ernst, egal wo sie stattfinde und wie begrenzt sie sei, hieß es von Seiten des Unternehmens. "Ich habe umgehend Maßnahmen eingeleitet, um die Kontrolle über den Geschäftsbetrieb von TomorrowNow zu verstärken und gleichzeitig sicherzustellen, dass TomorrowNow-Kunden auch in Zukunft einen ausgezeichneten Service erhalten", so Kagermann.

Oracle-Boss Lawrence Ellison hat gut lachen. Vorerst hat er die Nase vorn im Streit mit dem Erzrivalen SAP.
Oracle-Boss Lawrence Ellison hat gut lachen. Vorerst hat er die Nase vorn im Streit mit dem Erzrivalen SAP.
Foto: Larry Ellison

SAP setzt den früheren Finanzchef und jetzigen Chief Operating Officer (COO) von SAP America, Mark White, als Executive Chairman von TomorrowNow ein. Er werde das Geschäft inklusive entsprechender Compliance-Programme leiten. Der TomorrowNow-CEO Nelson berichtet an den neuen "Aufseher". Ferner würden, so SAP, bestehende Verfahrensregeln und neue Richtlinien jetzt konsequent umgesetzt und die Mitarbeiter von TomorrowNow entsprechend erneut geschult.

Wie das Verfahren ausgeht, ist völlig offen. Am 4. September dieses Jahres werden beide Seiten erstmals zu einem Vorgespräch bei Gericht aufeinander treffen – bevor Richter Martin Jenkins das Verfahren offiziell eröffnet. Bis dahin werden die Behörden weiter ermitteln. So prüft beispielsweise das US-amerikanische Justizministerium, ob es Anhaltspunkte für ein Strafverfahren gegen SAP gibt. Ovum-Analyst Jenkins geht davon, dass sich das Verfahren lange und durch viele Instanzen hinziehen könnte.

SAP versicherte, mit den US-amerikanischen Justizbehörden kooperieren zu wollen. Oracle pocht auf Schadenersatz, Unterlassung und die Herausgabe unberechtigt erlangter Gewinne. "Das Gericht wird von uns verlangen, alle Optionen in Betracht zu ziehen", sagte Kagermann und deutete damit auch die Möglichkeit eines Vergleichs an. In den vergangenen Monaten hatten beide Kontrahenten diese Möglichkeit noch kategorisch ausgeschlossen.

Auch nach den jüngsten Stellungnahmen beider Seiten scheinen die Fronten weiter verhärtet. "Henning Kagermann hat den wiederholten illegalen Download von Oracles geistigem Eigentum eingeräumt", sagte Oracles Chefjustiziar Geoff Howard. Oracle habe den Konkurrenten vor den Kadi gezerrt, um den Umfang der Verfehlungen und die Tragweite, wie stark damit Oracles Eigentumsrechte verletzt worden seien, deutlich zu machen. Kagermann äußerte sich persönlich betroffen von diesem Vorgehen. "Als ich zum ersten Mal mit der Anklage konfrontiert wurde, war ich überrascht und enttäuscht, dass Oracle nicht zuerst das Gespräch mit SAP gesucht hat."

Trotz des Schuldeingeständnisses sind die SAP-Verantwortlichen weit davon entfernt, vor dem Erzrivalen einzuknicken. Vielen Punkten der 170 Paragraphen umfassenden Anklageschrift Oracles widersprechen die Walldorfer, zu etlichen weiteren Punkten könne man wegen unzureichender Informationen des Klägers keine Aussagen machen. Oracle behaupte, überrascht und verwirrt darüber zu sein, wie TomorrowNow Services kostengünstiger als der Hersteller selbst anbieten kann. "Die Antwort ist einfach", heißt es in SAPs Erwiderung: "TomorrowNow zwingt seine Kunden nicht dazu, künstlich überteuerte Servicepreise zu zahlen, um für Oracles künftige Akquisitionsstrategie und Integration von Produkten aufzukommen, die kein Kunde will oder braucht."

Die Folgen des Verfahrens sind schwer abzuschätzen. Gartner-Analystin Yvonne Genovese rechnet nicht damit, dass sich der Streit negativ auf das Ergebnis von SAP auswirkt. Die Softwarekunden warteten erst einmal die Entwicklung ab. Andere Branchenbeobachter befürchten dagegen, dass SAPs Reputation im Markt leiden könnte. Finanzexperten erwarten, dass eine außergerichtliche Einigung SAP zwischen 25 und 100 Millionen Dollar kosten könnte. Dazu käme eventuell noch eine Geldbuße, sollte die US-Justiz den Vorwurf der Industriespionage bestätigen.

Ob Rückstellungen für mögliche Strafzahlungen im Ende Juni abgeschlossenen zweiten Geschäftsquartal verbucht würden, wollte der SAP-Chef nicht bestätigen. Derzeit arbeite der Konzern an der Bilanz, die am 19. Juli vorgelegt werden soll. Über die Höhe der Strafe und die daraus resultierenden finanziellen Belastungen will Kagermann nicht spekulieren. (ba)