Kongreß für benutzerakzeptiertes Informationsmanagement:

Zwischen Technikoptionen und Benutzerwunsch

10.10.1986

FRANKFURT (CW) - Mit dem wachsenden Angebot neuer Techniken rückt gleichzeitig die Benutzerakzeptanz in den Mittelpunkt. Ihre zentrale Bedeutung bei der Integration im Unternehmen zu beleuchten, ist Ziel der "Systo '86 - Kongreß für benutzerakzeptiertes Informationsmanagement". Als Veranstalter des Seminars am 11. und 12. November 1986 zeichnet das Schweizer Softwarehaus Systor.

Von den 60 Millionen Büroschreibtischen in den USA sind nach Erkenntnissen der britischen Marktforschungsgesellschaft Butler Cox & Partner etwa 30 Prozent mit einem Terminal oder PC ausgestattet. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik sind es gerade acht Prozent der acht Millionen Büroarbeitsplätze. Erst 1991 werden hier nach Aussage der Marktforscher von IDC zwei Millionen PCs installiert sein. Ähnlich sieht es im übrigen Europa aus.

Analysiert René W. Schärling, Direktor des Softwarehauses Systor AG: "Das retardierende Moment ist nicht etwa die mangelnde Innovationsbereitschaft der Europäer. Vielmehr resultiert es aus Ihren hohen Ansprüchen. "Akzeptanz ist nicht alles, aber ohne Akzeptanz ist alles nichts," bringt es Diplom-Psychologe Dr. Reinhard Helmreich, Leiter des Fachgebietes "Benutzerakzeptanz" im Unternehmensbereich "Kommunikations- und Datentechnik der Siemens AG, auf den Punkt. "Nur die Akzeptanz erschließt den Nutzen, den eine neue Anwendung bieten soll." Helmreich hat bei der Akzeptanzförderung vor allem die Führungskräfte im Visier.

Jürgen Stamm, Sekretär der IG Metall in Stuttgart und Mitarbeiter der mit über 115 000 Mitgliedern größten Ortsverwaltung im Deutschen Gewerkschaftsbund, weiß, wie wichtig und notwendig der Computer allein für die interne Verwaltung einer solchen Massenorganisation ist. (Die IG Metall realisiert derzeit den Aufbau eines Rechnernetzes mit DEC). Doch er befürchtet, daß in vielen Unternehmen der Computereinsatz am Arbeitsplatz noch immer als eine "Revolution von oben" (so sein Vortragsthema) verstanden wird.

So etwas kann fatale Folgen haben: "Der Computer wird oftmals unter seinen Möglichkeiten eingesetzt". Er sieht dabei folgende Gefahrenherde: Statt ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, rationalisieren sich die Unternehmen kaputt. Statt den Mitarbeitern mehr Kompetenzen zu geben, wird menschliche Arbeit strenger reglementiert. Stamm fordert Innovationsmut: "Wir als Gewerkschaft würden uns wirklich wünschen, daß die Arbeitgeber die fortschrittliche Technik auch fortschrittlich nutzen".

Sein Kollege und Ex-Stuttgarter Franz Steinkühler aus der IG Metall-Zentrale in Frankfurt formulierte dies jüngst so: "Ich befürchte eine Situation, in der wir betriebliche Herrschaftsstrukturen haben wie im 19. Jahrhundert mit den Technologien des 21. Jahrhunderts." Mit diesem Ansatz - so will Stamm in seinem Vortrag ausführen - "erhöhen die Unternehmen weder die Konkurrenz- noch die Leistungsfähigkeit der Betriebe". Das Ergebnis: "Verlust der Zukunft."

In dem Bemühen und in der Verpflichtung, die Zukunft zu gewinnen, die "Revolution von oben" und damit auch die "Reaktion von unten" zu verhindern, ist ganz besonders der Informationsmanager zu sehen. Mehr noch: Er steht inmitten der unzähligen Ansprüche. Er muß nach Aussage von Manfred Kreusch, Leiter der Informationsverarbeitung des Unternehmensbereichs Apparate von Messerschmitt-Bölkow-Blohm in München, "aus einer verwirrenden Zahl von Technologie-Optionen einerseits und Benutzer-Wünschen andererseits ein zukunftsweisendes Konzept für sein Unternehmen entwickeln".

Welchen vielfältigen Wirkungsfaktoren der Informationsmanager dabei ausgesetzt ist, will der IV-Chef in seinem Vortrag analysieren. Am Beispiel von Projekten aus dem Bereich CAD/CAM und Bürokommunikation bei MBB zeigt Kreusch auf, mit welchen "rationalen Argumenten, diffusen Emotionen, inneren Widerständen und offener Bereitschaft der Information Manager allein auf Seite der Benutzer" rechnen muß. Und er gibt Praxis-Tips über erfolgreiche (Ein-)Führungsmethoden. Dabei - so seine Erkenntnis - muß sich der Informationsmanager vor allem darüber im klaren sein, "welche Wirkung er auf die Benutzer ausübt und wie diese ihn sehen".

Dem Informationsmanager den Spiegel vorhalten will auf dem Kongreß der Marketingchef der Swissair. Erich Geitlinger, Direktor für Produktplanung bei diesem renommierten Schweizer Dienstleistungsunternehmen, möchte den Teilnehmern ein paar Ratschläge geben, wie sie ihre Dienstleistungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens besser verkaufen können. "Die Zeit der Primär-Rationalisierungen in den Unternehmen ist endgültig vorbei", meint der Schweizer. Damit hat sich auch das Anforderungsprofil der DV-Chefs drastisch geändert. Nicht mehr der Nutzen, sondern der Benutzer steht im Vordergrund.

Ähnlich sieht dies auch Friedrich K. Rauch, seit 1980 Vorstandsmitglied der Colonia Versicherung in Köln. Für ihn avanciert der Manager gar mehr und mehr zum "wichtigsten Benutzer". Denn Führungskräfte werden gerade in einer Dienstleistungsbranche wie der Versicherungswirtschaft die neuen gestalterischen Möglichkeiten des Computers strategisch nutzen wollen.

So können mit Hilfe der DV "zielgruppengenaue Versicherungspakete" geschnürt werden. Und das Management kann schnell auf aktuelle Marktereignisse reagieren. Neue Märkte lassen sich erobern. Am Beispiel der Colonia will Rauch aufzeigen, welche enorme Abhängigkeit zwischen Benutzerakzeptanz und Management-Level einerseits und Unternehmenserfolg andererseits besteht.

Was nützt jedoch die beste Unternehmensstrategie und Managementakzeptanz, wenn die Benutzer auf der Sachbearbeiterebene nicht mitziehen? "Akzeptanz bedeutet in meinen Augen freiwillige Annahme. Akzeptanz kann man weder einem Manager noch einem Sachbearbeiter aufzwingen", meint Brigitte Löhner, Leiterin des Bereichs Organisation und Verwaltung der Noris Bank, einem Unternehmen innerhalb der Schickedanz-Gruppe. Ihr Fazit: "Nur wer die Investition in die Technik auch als eine Investition in die Mitarbeiter versteht, kann wirklich auf Akzeptanz hoffen."

Aber wie sieht es denn aus, wenn bei allem Bemühen den Mitarbeitern unzureichende Werkzeuge zugemutet werden? Die Akzeptanz schwindet. Was nützt den Benutzern alle Spontaneität, Assoziationsfähigkeit und Kreativität, wenn die "perzeptiven Fähigkeiten der Benutzer zum formalsprachlichen Bildschirmdialog verarmen"? Die Produktivität schwindet.

Was nützt ein ganzheitlich ausgelegter Arbeitsplatz, wenn die sequientielle Arbeitsweise des Computers sture Prozeduren vorschreibt. Die Motivation schwindet.

Auf diese Gefahrenpunkte will Professor Dr. Werner Schneider, Direktor des Uppsala University Data Center, aufmerksam machen: "Akzeptanz beginnt dort, wo der Computer für den Benutzer keine Zumutung mehr ist."

Daß engagierte und hochmotivierte Benutzer die klassische DV-Welt auf den Kopf stellen können machen Beispiele immer wieder klar. Wie sehr aber fordert die Technologie das Selbstverständnis der Benutzer heraus? Zum Beispiel bei Behörden? "Das alte Zuständigkeitsdenken sollte zugunsten einer schnellen und vor allem bürgernahen Verwaltung aufgegeben werden", glaubt Dr. Dr. Heike von Benda, Leiterin der Stabsstelle für Information und Kommunikation im Staatsministerium Baden-Württemberg, an das Entstehen eines "neuen Beamtentypus" im Gefolge der Informatisierung. Es könnte jedoch auch das Gegenteil von dem eintreffen, was sich Frau von Benda erhofft: Die Beamten könnten die Nutzung der Technologien als ein neues Machtinstrument begreifen, das das alte Zuständigkeitsdenken zementiert anstatt es aufzuheben. Benutzerakzeptanz ist also ein höchst ambivalenter Begriff.