Zeitalter des Visuellen und des Computers

21.09.1984

Professor Dr. Herbert W. Franke

Lehrbeauftragter für Computergrafik/kunst an der Universität München

Wer vom Computer spricht, meint Daten und nicht Bilder. Das aber könnte sich bald ändern. Es sind die Computergrafik-Systeme, die den endgültigen Durchbruch zum visuellen Zeitalter einleiten.

Alles begann ganz harmlos: Da eben Schaubilder übersichtlicher als lange Zahlenlisten sind, nutzte man deshalb zunächst einmal die Drucker, um einfache Verläufe, Blockdiagramme und dergleichen darzustellen. Schon in diesem Stadium erwies sich der Übergang zum Bild als so überzeugend, daß die Konstruktion von mechanischen Plottern geradezu ein Gebot der Stunde war; zuerst handelte es sich um mechanische Zeichenautomaten danach wurden sie durch elektronische Bildsysteme ergänzt. Dadurch sind die verschiedensten Bildmedien für die Computerausgabe erschlossen: von der Strichzeichnung bis zum Foto. Farbe wurde ebenso zugänglich wie Bewegung, die digital generierten Bilder eigenen sich auch als Grundlage von Film und Video.

CAD, die computerunterstützte technische Konstruktion, revolutionierte die Methodik technischer Entwicklung, "picture procressing", zusammen mit Bildanalyse und Mustererkennung, setzten sich ebenso rasch durch und erweiterten die Art und Weise des Umgangs mit Bildern auch in Bereichen, die der industriellen Anwendung ferner stehen, wie Medizin, Archäologie, Astronomie.

Schon seit den Anfangen computergrafischer Aktivitäten in den frühen 60er Jahren gab es einige wenige, zunächst Mathematiker und Programmierer, die die ästhetisch-generativen Möglichkeiten der Computergrafik-Systeme faszinierten. Es kam zum Schlagwort der "Computerkunst", doch unabhängig von allen theoretischen Diskussionen erhielt sich das freie grafische Experiment bis heute als Liebhaberei von Computerfreaks.

Merkwürdigerweise dauerte es fast 15 Jahre bis zur Erkenntnis, daß Computergrafik auch ein effektives Werkzeug angewandter Kunst sein kann, etwa im Bereich des Textildesigns, der Werbung und des Films. Bei allen damit anvisierten Aufgaben sind ästhetische Aspekte wichtig, und so wurden auf einmal die Erfahrungen der künstlerisch orientierten Computergrafiker interessant. Ihre Ergebnisse kommen, den kommerziellen Bedingungen entsprechend abgewandelt, mehr und mehr an die Öffentlichkeit; so ist in den USA bereits ein großer Teil der sogenannten "commercials" mit computergrafischen Mitteln gestaltet.

Als letzte Phase dieses Popularisierungsprozesses kann der Durchbruch des Heimcomputers gelten. Für das Marketing etwas überraschend hat sich herausgestellt, daß es vor allem die Möglichkeit zur Ausgabe farbiger Bilder ist, die den meist jungen Benutzer anspricht. Insbesondere in das Programmieren von Computerspielen sind immer wieder grafisch gestaltete Abläufe integriert.

Die Konsequenz dieser Entwicklung: Das computergenerierte Bild ist in den USA längst selbstverständliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens geworden, und Anzeichen dieses Trends sind auch in Europa festzustellen. Bemerkenswert, daß durch das Aufkommen der Heimcomputer die Mittel der Computergrafik nicht auf Industrie und Massenmedien beschränkt bleiben, sondern sich auch auf den "kleinen Mann" übertragen. Man spricht heute von einer sich mehr und mehr durchsetzenden "Computer-Literacy"; darin ist nun auch die Möglichkeit mit eingeschlossen, sich durch Bilder - computergenerierte Bilder! - auszudrücken. Meiner Meinung nach berechtigt erst dieses Stadium von einem "visuellen Zeitalter" zu sprechen.

Der Übergang von der Sprache zum Bild wird von manchen Fachleuten mit Besorgnis betrachtet - als wäre visuelle Information von vornherein minderwertiger als verbal oder auditiv übermittelte. Bei einem von der Firma Integrate Software Systems Corporation (ISSCO), deren Hauptarbeitsgebiet im Bereich der Business- und Managergrafik liegt, veranstalteten Symposium, standen die theoretischen Hintergründe des Übergangs auf Bildsprachen zur Debatte. Unter anderem wurde dabei auch der wissenschaftliche Beweis dafür gegeben, daß ein Bild mehr sagt als 1 000 Worte: der Gesichtssinn kann nicht nur rund das Zehnfache an Informationszufluß verarbeiten als alle anderen Sinne zusammen, sondern diese Information liegt auch zwei-, in Grenzen sogar dreidimensional strukturiert vor. Der Übergang vom Wort zum Bild bedeutet daher nicht nur die Wahl eines anderen Codierungssystems, sondern auch eine Schwerpunktverlagerung jener Beschreibungsmöglichkeiten, die wir zur Erfassung unserer Welt gebrauchen. Verwenden wir das linear und in Zeitreihen vorliegende Verständigungsmittel Sprache, ergibt sich von selbst eine Bevorzugung linerarer Ordnungsprinzipien, beispielsweise das der Kausalität oder des geschichtlichen Ablaufs. Bildsprachen gestatten es dagegen, auch jene so wichtigen Gesetze zu veranschaulichen, die sich etwa durch kreisfunktionale Prozesse, Wechselbeziehungen und Wirkungsnetze ausdrucken. Vielleicht sind unsere Schwierigkeiten, in vernetzten Zusammenhängen zu denken - wie es unter anderem Frederik Vester fordert -, nicht zuletzt auf den bisher nahezu ausschließlichen Gebrauch des Beschreibungssystems Sprache zurückzuführen. Wird fortgesetzt