Yahoo sucht neues Geschäftsmodell

20.03.2001
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Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Nach der zweiten Gewinnwarnung in Folge und dem angekündigten Rücktritt von CEO Tim Koogle steht Yahoo vor einem Scherbenhaufen. Ein neues Geschäftsmodell soll dem weltgrößten Internet-Portal den Weg aus der Krise weisen. Doch außer nebulösen Ankündigungen ist davon wenig zu sehen.

Wenn es Yahoo nicht schafft, wer dann? Diese bange Frage stellen sich nicht wenige Analysten im Umfeld der US-Technologiebörse Nasdaq. Die schlechten Nachrichten von Yahoo waren nicht die ersten und sicher nicht die letzten aus der abgestürzten New Economy. Diesmal aber traf es keinen kleinen E-Shop, dem nervöse Wagniskapitalgeber den Geldhahn zugedreht haben.

Tim Koogle

Mit Yahoo ist ein milliardenschweres Unternehmen in die Krise geraten, das noch vor wenigen Monaten als Musterbeispiel eines erfolgreichen Internet-Startups gehandelt wurde. Mit 185 Millionen Nutzern und einer Milliarde Seitenaufrufe täglich betreibt die 1994 gegründete Company das weltgrößte Internet-Portal. Jetzt steht der einstige Börsenliebling vor der womöglich größten Herausforderung in seiner Firmengeschichte.

Am Mittwoch, den 7. März, korrigierte Yahoo zum zweiten Mal in Folge die Umsatz- und Gewinnprognosen für das erste Quartal nach unten und kündigte gleichzeitig den Rücktritt von CEO Tim Koogle an. Die Aktie verlor daraufhin 20 Prozent an Wert. Das Unternehmen wies demzufolge eine Marktkapitalisierung von zehn Milliarden Dollar auf; im Januar 2000 war Yahoo noch 100 Milliarden Dollar wert. Für das gesamte Geschäftsjahr 2001 rechnet der Portalbetreiber nur noch mit einem ausgeglichenen Ergebnis. Die offiziell angeführten Gründe für die Misere klingen allzu bekannt: Eine sich abschwächende US-Konjunktur, niedrigere Marketing-Budgets und damit verbunden drastisch gekürzte Ausgaben für Online-Werbung macht das Yahoo-Management für den Einbruch des Geschäfts verantwortlich. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass hausgemachte Probleme entscheidend zur Krise des Portalbetreibers beigetragen haben.

Nach den bisher vorliegenden Informationen zeichnen sich drei Problembereiche ab: ein Geschäftsmodell, das nicht mehr trägt, eine Führungsmannschaft, der die Aufgaben über den Kopf gewachsen sind, und eine internationale Strategie, die sich als ineffektiv erwiesen hat. Zu den gravierendsten Defiziten zählt nach einhelliger Meinung von Beobachtern das einseitig auf Online-Werbeeinnahmen konzentrierte Geschäftsmodell, in Boomzeiten Erfolgsgarant des Internet-Pioniers. Viel zu lange haben die Unternehmenslenker die längst fällige Neuausrichtung auf langfristig profitablere Geschäftsfelder als zweitrangige Aufgabe angesehen, kritisieren Insider. "Es ist zu bezweifeln, dass das Geschäftsmodell mit Online-Werbung auf Dauer trägt", sagt etwa Rüdiger Spies, Analyst bei der Meta Group.

Etwa 90 Prozent des Umsatzes generiert Yahoo derzeit aus Online-Werbeeinnahmen. Diese könnten im ersten Quartal um 15 bis 25 Prozent einbrechen; genaue Zahlen will man am 11. April bekannt geben. Andere Internet-Schwergewichte wie AOL oder T-Online sind weit weniger abhängig vom Anzeigengeschäft, sie schöpfen einen großen Teil der Umsätze aus der Bereitstellung von Internet-Zugängen. Beim deutschen Internet-Portal Lycos liegt der Anteil der Werbeeinnahmen bei 50 Prozent.

 Nach Erhebungen des Internet Advertising Bureau (IAB) sind die Online-Werbeumsätze im dritten Quartal 2000 erstmals um 6,5 Prozent im Vergleich zum vorausgehenden Quartal zurückgegangen. Im Jahresvergleich ergibt sich aber eine Steigerung um 63 Prozent. Zu schaffen macht Yahoo denn auch weniger der Rückgang der Werbeeinnahmen insgesamt als die Abhängigkeit von Dotcom-Unternehmen, die gegenwärtig reihenweise ihre Etats zusammenstreichen. Gegenüber Analysten hatte CEO Koogle schon im Januar von einem Jahr des Übergangs gesprochen - Yahoo müsse die Abhängigkeit von Werbekunden aus dem Internet-Umfeld weiter verringern. Seinen Angaben zufolge hat sich der Anteil der Anzeigen, die nicht aus dem Internet-Umfeld stammen, seit Juni vergangenen Jahres von 53 auf 67 Prozent erhöht. Dieser Wandel gehe noch zu langsam vonstatten.

"Yahoo ist verdonnert und verdammt, den Service im Netz permanent zu erhöhen", kommentiert Spies. Dieses Unterfangen aber werde irgendwann so teuer, dass Anzeigeneinnahmen nicht mehr ausreichten. Und dann stelle sich die Frage: "Wie bringt Yahoo es fertig, diesen Servicelevel aufrechtzuerhalten und dabei trotzdem noch Geld zu verdienen?" Mit anderen Worten: Wie soll ein neues Geschäftsmodell aussehen? Konkrete Aussagen fehlen bisher. Diesbezügliche Aussagen von Yahoo-Verantwortlichen sind ebenso spärlich wie unkonkret. Finanzchefin Susan Decker etwa orakelt von "Premium-Services", die man Privatkunden anbieten wolle. Auch an eine Lizenzierung der Portaltechnik sei gedacht, ist aus dem Unternehmen zu hören.

Neue Dienstleistungen könnten zum Beispiel Musikabonnements umfassen, andere Dienste wie E-Mail künftig nicht mehr kostenlos angeboten werden. Unbeantwortet bleibt etwa die Frage, warum Kunden für einen Service, den sie bislang kostenlos beziehen, nun bezahlen sollten, zumal die Konkurrenz in diesem Segment besonders hart ist. Den Vertretern der deutschen Niederlassung hat die US-Mutter vorsichtshalber einen Maulkorb verpasst.

"Wir dürfen nichts sagen", heißt es dort kleinlaut. Analyst Spies kann sich zwar vorstellen,"dass Yahoo seine Portaltechnologie als Produkt verkauft". Allerdings würde der Betreiber, bislang eher auf Consumer-Kunden konzentriert, gegen starke Konkurrenten wie Plumtree oder Epicentric antreten müssen, die bereits Erfahrungen mit Unternehmenskunden vorweisen können: "Da steht Yahoo knallhart im Wettbewerb mit anderen Anbietern." Auch Carsten Schmidt, Analyst bei Forrester Research, beurteilt diesen Ansatz kritisch.

Theoretisch könne Yahoo seine Portaltechnologie als "White Label" anbieten und damit Kunden ansprechen, die ein Intranet oder Extranet aufbauen wollen. "Aber: Ich glaube nicht, dass das die richtige Strategie ist." Andere Anbieter wie Infospace seien schon länger erfolgreich in diesem Markt tätig. Schmidt: "Es wird schwer für Yahoo, dagegen anzurennen." Als Erfolg versprechender schätzt Schmidt die Möglichkeit ein, so genannte Premium-Services anzubieten. Er versteht darunter beispielsweise Aktienkurse in Echtzeit oder auch den Zugang zu Content-Datenbanken nach dem Vorbild von Genion oder Dow Jones: "Diese Unternehmen verdienen damit Geld." Für Yahoo böten sich Partnerschaften mit den Content-Besitzern an. Ein Problem sei aber auch hier die starke Ausrichtung auf Privatkunden.

Auch im Segment Mobile Internet könnten sich Yahoo Chancen bieten. Hier gelte es, Dienstleistungen "extrem" zu personalisieren, erläutert Spies. Ein Beispiel dafür lieferten Pager-Informationsdienste in den USA, die ausnahmslos kostenpflichtig angeboten würden. Schmidt beurteilt die Perspektiven mit Mobile Services zurückhaltender. Yahoo müsse in diesem Markt vertreten sein, um Kunden zu halten, "aber sie werden kein Geld damit verdienen".

Aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades könne der Portalbetreiber aber für Medienhäuser wie Kirch ein interessanter Partner sein. Denkbar wäre beispielsweise ein digitales Fernsehportal nach dem Vorbild von Premiere, das mit einem Internet-Angebot der Amerikaner verlinkt ist. Motto: Fernsehen bei Kirch, Internet via Yahoo. Nicht zuletzt klassische E-Commerce-Modelle könnten dem strauchelnden Unternehmen wieder auf die Beine helfen, glaubt Spies. Dazu böten sich Partnerschaften wie die kolportierte Kooperation mit dem US-Handelsriesen Wal-Mart an. Auf diese Weise könnte sich Yahoo "klassisches Old-Economy-Geschäft" auf seine Website holen und zusätzliche Dienstleistungen offerieren.

Zu all dem hört man von Yahoo wenig bis gar nichts. "Das wird auch so bleiben, bis ein neuer CEO an Bord ist", spekuliert Schmidt. Vorher werde das Unternehmen keine Neuausrichtung ankündigen. Ein weniger bekanntes, möglicherweise aber ebenso gravierendes Problem sehen Branchenexperten in der Führungsmannschaft Yahoos. Diese sei den Herausforderungen in einem global agierenden Milliardenunternehmen nicht mehr gewachsen. Anhaltspunkte für diese These sind in den vergangenen Monaten immer häufiger zutage getreten: Insider berichten von internen Querelen über den künftigen Kurs und einer wachsenden Unzufriedenheit hochrangiger Angestellter mit dem autoritären Führungsstil des sechsköpfigen Management-Teams ("the big six"). 

Deutlich erkennbar sind die internen Probleme am Exodus internationaler Topmanager, darunter Europa-Chefin Fabiola Arredondo, der verantwortliche Manager für das Asien-Geschäft, Savio Chow, und Mark Rubinstein, Chef der kanadischen Niederlassung. Anfang März warf der Leiter von Yahoo Südkorea, Jin Youm, das Handtuch. Das Mutterhaus habe die Landesfürsten an der kurzen Leine gehalten, berichten Insider, andererseits mangelte es häufig an klaren Vorgaben. Zudem seien die einst attraktiven Aktienoptionen der Regionalchefs nach den Kurseinbrüchen nahezu wertlos geworden.

Die Rücktritte werfen ein Schlaglicht auf einen weiteren Problemkomplex : eine offenbar verfehlte, zumindest aber wenig effektive Strategie zur Erschließung internationaler Märkte. Zwar generiert Yahoo 40 Prozent seiner Pageviews außerhalb der USA; gemessen am Umsatz beträgt der Anteil aber lediglich 16 Prozent. Der Umsatz pro Mitarbeiter liegt im Heimatmarkt bei 114000 Dollar, in den Überseeregionen bei mageren 52000 Dollar. Die Anpassung der internationalen Websites an lokale Gegebenheiten ist erfahrungsgemäß schwierig und teuer. Ausgerechnet auf dem bekanntesten Internet-Portal ging die Lokalisierung oft zu langsam vonstatten, kritisieren Yahoo-Kunden.

Angesichts dieser gravierenden Defizite fragen sich nicht wenige Analysten, ob Yahoo den Turnaround aus eigener Kraft schaffen kann. Vergangenes Jahr, als der Kurs zeitweise über 200 Dollar lag, plante Koogle schon die Übernahme des Online-Auktionators Ebay, um offenkundige Schwächen auszugleichen. Das Führungsgremium jedoch verhinderte den Deal, Ebay sei zu teuer. Diese Entscheidung könnte sich rächen; heute gilt Yahoo selbst als Übernahmekandidat.

Merrill-Lynch-Analyst Henry Blodget hatte entsprechende Spekulationen ins Rollen gebracht. Als Käufer kämen angeblich Viacom, Vivendi-Universal, Bertelsmann, News Corp. oder auch Walt Disney in Frage. Nach den abgestürzten Aktienkursen sind indes nicht nur für Yahoo größere Akquisitionen in weite Ferne gerückt, resümiert Spies. "Jetzt ist es für alle schwierig geworden. Die Blase ist geplatzt."