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WSJ: Manipulierte Rückstellungen ermöglichten Nortels Jahresgewinn

02.07.2004

Der überraschende Nettogewinn, den der kanadische TK-Ausrüster Nortel Networks im vergangenen Jahr erzielt hat (Computerwoche.de berichtete), basiert offenbar ausschließlich auf Bilanzmanipulationen. Wie das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Unternehmenskreise berichtet, kam das positive Ergebnis einzig durch die Auflösung von Rückstellungen zustande, die der Konzern in vergangenen Jahren angehäuft hatte.

Ein Unternehmen stellt Geld zurück, wenn es mit bestimmten Aufwendungen rechnet, deren Höhe oder Fälligkeit aber noch nicht genau einschätzen kann. Wenn das betreffende Ereignis dann eintrifft, werden die fälligen Beträge aus einer Auflösung der Rückstellungen bezahlt. Nicht benötigtes Geld wird direkt dem Ergebnis zugeführt.

Für Bilanzierungstrickser bieten sich dabei zwei illegale Möglichkeiten kreativer Buchführung: Sie können die Verbindlichkeiten zu hoch ansetzen oder länger als nötig in den Bilanzen mitführen, um sie bei Bedarf aufzulösen und das Ergebnis positiv zu beeinflussen. Der Verwaltungsrat geht davon aus, dass Nortel im ersten und zweiten Quartal 2003, als das Unternehmen operativ kurz vor dem Break-even stand, offenbar beide Möglichkeiten stark wahrgenommen hat. Im Oktober 2003 wiesen die Kanadier zudem darauf hin, dass Verbindlichkeiten von insgesamt 900 Millionen Dollar, die Nortel noch Ende Juni in seiner Bilanz führte, früheren Perioden zugerechnet werden müssen. Nach der Korrektur würden die Verluste in den Jahren 2000, 2001 und 2002 sowie im ersten Halbjahr 2003 voraussichtlich niedriger ausfallen als bislang berichtet, hieß es damals (Computerwoche.de berichtete).

Im April dieses Jahres, nachdem das gesamte Ausmaß der Bilanzunregelmäßigkeiten zutage trat, hatte Nortel seinen CEO, Finanzchef und Controller entlassen. Laut WSJ-Bericht sucht der Verwaltungsrat aber nach wie vor nach den Verantwortlichen für den Bilanzskandal. Zwar sehen sie das Epizentrum der Betrügereien in der damaligen Führungsetage. Dagegen spricht jedoch, dass die verschiedenen Bereichsleiter über einen eigenen Topf mit Rücklagen verfügen, aus dem sie sich je nach Bedarf bedienen können. (mb)