Wirtschaftsinformatikerin ohne Job:Zwei Jahre Ausbildung - was nun?

16.09.1977

MÜNCHEN - Wer mit 32 Jahren eine neue Ausbildung beginnt, hat bestimmte Erwartungen vom zukünftigen Beruf: Ria Hendriks, inzwischen 34, bekam vor ungefähr einem halben Jahr ihr Abschlußzeugnis des DV - Bildungszentrums München ausgehändigt: "In der Zeit vom 1. April 1975 bis 31. März 1977 haben Sie mit gutem Erfolg an der Ausbildung zum Wirtschaftsinformatiker teilgenommen." Der "gute Erfolg" hat ihr bisher jedoch noch nicht zu einem Arbeitsplatz verholfen. Unklar ist ihr dabei, ob das an der Ausbildung oder an der Arbeitsmarkt - Situation liegt.

Warum sie gerade Wirtschaftsinformatikerin werden wollte, ist teilweise in ihrer bewegten beruflichen Vorgeschichte begründet: Ria Hendriks, geboren in Nijmegen / Niederlande, absolvierte in Holland die mittlere Reife. Fremdsprachen: Englisch, Deutsch und Französisch. Ihre Deutsch - und Englischkenntnisse sind mittlerweile durch die Praxis "recht gut". Nach vielen Jahren "treuer Mitarbeit" als Direktionssekretärin an der Universität zu Nijmegen ging sie 1969 nach Deutschland. Hier mußte sie von vorne anfangen: "Es fehlte mir damals wohl noch an Deutschkenntnissen." Nach einer Tätigkeit als Arztsekretärin in einem Kursanatorium in Bad Mergentheim arbeitete sie 1970 als Projektsekretärin bei der CSID Computer Sciences International Deutschland GmbH in Konstanz.

Erste Bekanntschaft mit der DV

Als das Projekt beendet war, wurde sie von AEG Telefunken als Gruppensekretärin in die Vertriebsabteilung für die TR 86 übernommen: "Meine erste schüchterne Bekanntschaft mit der Datenverarbeitung." Ende 1972 arbeitete sie wieder bei der CSID, diesmal in München als Assistent Accountant. Der Tätigkeit wurde Ende 1974 durch "Einschränkung des Geschäftsvolumens" ein abruptes Ende gesetzt. "Dieses Ereignis war für mich", so Ria Hendriks, "Anlaß zur Berufsüberprüfung." Naiv fragte sie: "Gibt es nicht ein Berufsförderungsgesetz, ein DV - Bildungszentrum und dazu die Bekanntschaft mit der Datenverarbeitung?" Die guten Berufsaussichten, beschrieben im Programmheft des DV -Bildungszentrums und im Dritten DV - Programm des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT), lieferten einen zusätzlichen Ansporn für die Ex - Sekretärin, sich zur Wirtschaftsinformatikerin ausbilden zu lassen. Als sie die Zulassungsprüfung ("Test auf logische Denkfähigkeit, nicht allzu schwierig") bestanden hatte, schwärmte sie: "Also doch eine Möglichkeit, etwas dazuzulernen, und welche Aussichten danach!"

Ausbildung in vier Semestern

Die Ausbildung war in vier Semester untergliedert. Und so kommentiert Ria Hendriks die Inhalte:

Erstes Semester (Ausbildung zum Organisationsassistenten)

"Ein Semester, das es einem nicht schwer macht, sich an die neue Umwelt zu gewöhnen und auf das Lernen umzustellen, aber auch ein bißchen zu ärgern über den gebotenen Stoff, der laut Programmheft frei von theoretischem Ballast zu betrachten sei."

Zweites Semester (Ausbildung zum Datenverarbeitungsfachwirt) Datenverarbeitung in Form von Einführungen in die unterschiedlichen Gebiete. Für Laien - mehr als die Hälfte der Klasse - recht verständlich. Die versprochene Praxisbezogenheit der Ausbildung kommt jedoch noch nicht so deutlich zum Zuge, ist aber schon vorhanden."

Drittes Semester (Ausbildung zum Organisationsprogrammierer)

"Assembler, Makro, PL / 1, Betriebssysteme, Datenfernverarbeitung... da haut es einen doch voll um. Man kommt in eine Streßsituation, bemerkt seine noch - Unfähigkeit, besonders gegenüber den Kommilitonen, die vorher schon programmiert haben. Frustration und Erfolgserlebnisse wechseln sich ab, aber man schafft es. Es gibt Übungsmöglichkeiten an drei Terminals. Sie sind freiwillig und werden nicht kontrolliert."

Viertes Semester (Ausbildung zum Wirtschaftsinformatiker)

"Vertiefung der Kenntnisse, Fallstudien und - Abschluß. Nach Empfinden der meisten Kommilitonen (Durchschnittsalter 27 Jahre) nicht so schwierig wie das dritte Semester."

Insgesamt beurteilt Ria Hendriks die Ausbildung positiv - doch erinnert sie sich, "der Erfolg sei sehr abhängig vom eigenen Einsatz und Interesse gewesen". So gab es Unzufriedenheit teils wegen des Lehrstoffs, teils mit den Lehrern, "die nicht immer so pädagogisch geschult waren, wie es zu wünschen war". Die Umgestaltung des Angebots, bei der Ausbildungsschwerpunkte besser über die Semester verteilt wurden, ist - Ria Hendriks war längst weg - inzwischen durchgeführt worden.

Trotz der "guten Berufsaussichten" überkamen die Absolventin mit dem nahen Ende der Ausbildung dumpfe Ahnungen. Mit "gemischten Gefühlen", nicht zuletzt wegen der heutigen Wirtschaftslage, doch auch ein wenig wegen der "Gestaltung und Förderung eines Berufes, der noch nicht so recht anerkannt ist", sah sie ihrer Job - Suche entgegen. "Die Frage, ob wir gleich einen Arbeitsplatz bekommen und als was man eingesetzt wird, beschäftigte unsere Klasse", berichtet Ria Hendriks über diese Zeit. "Die Mehrheit arbeitet jetzt als Programmierer."

Auf ihre eigene Person bezogen, erscheint es ihr bis heute schwierig, alle Fähigkeiten zu nutzen. "Zu hohe Erwartungen, zu alt, ein zu männlicher Beruf?" Eigenanzeigen in Zeitungen brachten so gut wie keinen Erfolg: "Sekretärin mit Fremdsprachen und DV - Kenntnissen wäre uns willkommen". Beim Arbeitsamt - so Ria Hendriks - werden Angebote zuerst an männliche Bewerber weitergereicht. Für Ria Hendriks, die mit vielen Erwartungen diese Ausbildung durchgestanden hat, blieb nur der Schreibmaschinentest. Das Resultat: Bestanden - Vermittlung über Job als Schreibkraft. Bleiben ihre Fragen: "Ist das der Sinn einer teuren Berufsförderung - Sinn der Ausbildung?"