Wird der Prozeßrechner ein ingenieurmäßig betreibbares Gerät?

30.04.1976

Dr.-Ing. Bernd F. Eichenauer Technischer Geschäftsführer Gesellschaft f. Prozeßrechnerprogrammierung mbH, München.

Während der kommerzielle Anwender bei Verwendung geeigneter Programmiersprachen schon seit einer Reihe von Jahren digitale Rechensysteme als Hilfsmittel bequem und häufig auch kostenwirksam einsetzen kann, beginnt für den mit der Software-Erstellung für Prozeßrechensysteme beauftragten Automatisierungsingenieur gerade erst die Neuzeit. Sie wurde unter anderem durch den zunehmenden Verfall der Hardware-Kosten eingeleitet, der eine speicheroptimale Programmierung nur noch unter Extremen Randbedingungen erforderlich macht sind damit die Verwendung von höheren Programmiersprachen bei der Erstellung von Prozeß-Automatisierungsprogrammen ermöglicht. Auch die hochschnellenden Kosten für Anwender-Software machen den zukünftigen Einsatz von adäquaten Software-Produktionssystemen unabdingbar.

Generelle Anforderungen an eine Prozeßprogrammiersprache

Mit dem Einsatz höherer Programmiersprachen ist aber vom Standpunkt des Automatisierungsingenieurs her gesehen - für den der Prozeßrechner nur ein Mittel zum Zweck ist - noch nicht viel gewonnen, wenn die Programmiersprachen nicht einige zusätzliche Anforderungen erfüllen. Von diesen sollen hier die wichtigsten genannt werden.

Mit einer Prozeß-Programmiersprache sollte dem Ingenieur ein möglichst bequem handhabbares Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, das in angemessener Zeit erlernbar ist und das die zur angemessenen Formulierung von Automatisierungsprogrammen erforderlichen Ausdrucksmittel bietet. Damit lassen die bekannten Nachteile der heute üblichen Programmierung in Assembler-- oder in niederen System-Programmiersprachen weitgehend vermeiden.

Es ist nämlich dann nicht mehr notwendig, daß der Ingenieur gleichzeitig ein hochqualifizierter Programmierer sein oder durch einen solchen unterstützt werden muß. Automatisierungsprogramme werden dokumentationsfähig, weil unter anderem der Zusammenhang zwischen Automatisierungsaufgabe und Programm erhalten bleibt. Schließlich läßt sich die Programmpflege nun auch mit weitaus geringeren Problemen als bisher an Ingenieure übertragen, die an der Erstellung des ursprünglichen Automatisierungsprogramms nicht beteiligt waren.

Nicht minder wichtig ist die Forderung, daß der Ingenieur durch die Prozeß-Programmiersprache und das zugeordnete Übersetzungssystem soweit wie möglich von der genauen Kenntnis der Hardware

und insbesondere der System-Software des jeweils eingesetzten Prozeßrechensystems befreit wird. Erst wenn dies gewährleistet ist, kann der Prozeßrechner wie andere Automatisierungsgeräte ingenieurmäßig eingesetzt werden. Der heute für jedes neue Rechensystem erneut zu erlernende Ballast (Assembler, Wirkungsweise und Aufrufe des Betriebssystems), der mit der eigentlichen Automatisierungsaufgabe überhaupt nichts zu tun hat, sollte weitgehend entfallen.

Notwendigkeit einer Standardisierung

Zu den geforderten Eigenschaften einer Prozeßsprache muß hinzutreten, daß sie allgemein anerkannt und implementiert wird. Es nützt dem Anwender nichts, wenn auf jedem neuen Rechnertyp wieder eine neue Prozeß-Programmiersprache, für das gleiche Anwendungsfeld zum Einsatz kommt. Dann muß er nämlich nach wie vor seine Hilfsmittel jeweils neu erlernen und kann schon erstellte Programmpakete nicht mehr weiterverwenden.

Von besonderem Wert ist es deshalb, daß sich vor einiger Zeit deutsche Ausrüster, Hardware-Hersteller, Institute und Software-Hersteller in mehreren Arbeitskreisen unter Führung des Projekts PDV

bei der GFK Karlsruhe zusammengefunden haben, um die universelle Prozeß-Programmiersprache PEARL in eine standardisierbare Form zu bringen und auf zahlreiche Prozeßrechnern zu implementieren. Bei der Implementierung von PEARL werden erprobte Methoden des Sofware-Engineering eingesetzt, die eine portable Erstellung großer Teile des Übersetzungssystems für PEARL ermöglichen.

Wenn dieser Versuch des Projekts PDV gelingt, darf man hoffen, daß die Erstellung von Anwender-Software für Prozeßrechner in etwa zwei Jahren erheblich vereinfacht wird. Der Prozeßrechner wird dann endlich ein ingenieurmäßig betreibbares Gerät.

Aufgabe des Anwenders

Um dieses Ziel zu erreichen muß auch der anwendende Ingenieur seinen Beitrag leisten, indem er auf die Einhaltung des Standard achtet. Es besteht nämlich die Gefahr, daß unter dem Namen PEARL "Subset-Versionen" angeboten werden, bei denen der erste Blick auf zugefügte Programmbeispiele zeigt, daß es sich dabei keineswegs um Untermengen von PEARL handelt.

Würde der Anwender solche Abweichungen vom Standard akzeptieren, so wäre damit ein Teil der oben genannten Vorteile zunichte gemacht anlegen.