Vorwürfe gegen die USA

Wikileaks veröffentlicht Snowden-Mitteilung

02.07.2013
Edward Snowden hat sich offensichtlich erstmals seit seiner Flucht aus Hongkong zu Wort gemeldet. Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht ein Schreiben, das mit dem Namen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters gekennzeichnet ist.

Der von den USA gesuchte mutmaßliche Geheimnisverräter Edward Snowden hat laut der Organisation Wikileaks schwere Vorwürfe gegen sein Heimatland erhoben. In einer mit seinem Namen unterzeichneten Mitteilung beklagte Snowden in der Nacht zum Dienstag, dass die USA ihm sein "Menschenrecht" nehmen wollten, Asyl in anderen Ländern zu beantragen. Obwohl er keiner Straftat schuldig gesprochen worden sei, habe man seinen Reisepass für ungültig erklärt, heißt es in dem Schreiben. Die US-Regierung habe nun eine neue Strategie und benutze die "Staatsbürgerschaft als Waffe".

Es gilt als erste öffentliche Äußerung Snowdens seit seiner Flucht aus Hongkong nach Moskau vor rund einer Woche. Allerdings ließ sich zunächst nicht verifizieren, dass die auf der Website wikileaks.org veröffentlichten Zeilen tatsächlich von ihm stammen.

US-Präsident Barack Obama warf Snowden laut der Mitteilung "Täuschung" vor. Obwohl der Präsident öffentlich diplomatische Mauscheleien über seinen Fall abgelehnt habe, übe die US-Regierung Druck auf Länder auf, sein Asylbegehren abzulehnen, meinte Snowden.

Snowden beantragte unterdessen politisches Asyl in Russland. Präsident Wladimir Putin bot ihm am Montag allerdings nur untere Bedingungen Zuflucht an: Snowden müsse aufhören, den USA mit seinen Enthüllungen Schaden zuzufügen. Seit mehr als einer Woche hielt sich der 30-Jährige im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheretmetjewo auf.

Der Fall Snowden erweist sich für die Obama-Regierung immer mehr als diplomatisches Desaster. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte sichtlich verärgert auf die mutmaßlichen Spionageaktionen der USA in Deutschland und Europa. Sie forderte von Obama rasche Aufklärung. Die Kanzlerin werde die Affäre zur Chefsache machen und "in nächster Zeit" mit Obama telefonieren, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Wenn sich bestätige, dass der US-Geheimdienst NSA diplomatische Vertretungen der EU und europäischer Länder ausgespäht habe, "dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel", sagte Seibert. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Auch Bundespräsident Joachim Gauck und andere EU-Staaten forderten Aufklärung.

Obama selbst sagte während seiner Afrikareise in Tansania, man werde die Verbündeten "angemessen unterrichten". In Bezug auf Deutschland fügte Obama hinzu: "Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an (..) letztlich arbeiten wir so eng zusammen, dass es fast keine Informationen gibt, die wir nicht zwischen unseren Ländern teilen".

Obama bestätigte, dass die USA und Russland auf hoher Ebene über eine Auslieferung Snowdens verhandelten. Nach einem Bericht der Zeitung "Los Angeles Times" hatte Snowden Asyl in 15 Ländern beantragt. Von Russland muss Snowden keine Auslieferung in die USA befürchten: "Russland liefert niemals niemanden nirgendwohin aus und plant dies auch nicht", sagte Putin.

Schon bei Obamas Besuch vor zwei Wochen in Berlin waren erste Berichte über Ausspäh-Aktivitäten der USA Thema gewesen. Damals hatte Obama Transparenz zugesagt. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hat die NSA nicht nur in EU-Gebäuden Wanzen installiert, sondern auch die Bundesregierung ausgeforscht. Die EU-Kommission ordnete aktuelle Sicherheitskontrollen von Büros, Telefonanlagen und Computernetzen an.

US-Außenminister John Kerry bezeichnete das Sammeln von Informationen in anderen Ländern als "nichts Ungewöhnliches". "Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört (das Sammeln) von allen möglichen Informationen", sagte Kerry.

In Deutschland forderte die SPD Merkel zu einer persönlichen Erklärung auf. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, Merkels defensiver Umgang mit den Informationen "könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekanntgeworden ist". Parteichef Sigmar Gabriel sagte, die Reaktion der Kanzlerin lasse den Verdacht zu, dass ihr die Ausspähung zumindest dem Grunde nach bekanntgewesen sei. Seibert wies den Vorwurf als "zynisch" zurück.

Ob und seit wann die deutschen Nachrichtendienste über die US-Abhöraktivitäten gewusst haben, blieb offen. Seibert verwies lediglich auf das parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, das informiert werden müsste.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kündigte eine Sitzung des Gremiums am Mittwoch an. Die Linksfraktion forderte wegen der Berichte über die Abhöraktivitäten eine Sondersitzung des Bundestages.

Gauck äußerte große Sorge im Zusammenhang mit den Berichten über US-Abhöraktivitäten. "Ich halte es für unverzichtbar, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden", sagte er vor Diplomaten in Freiburg. Gefahrenabwehr durch die Geheimdienste müsse immer verhältnismäßig sein.

FDP-Parteichef Philipp Rösler forderte einen Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sagte, es müsse Hinweisen auf möglicherweise unrechtmäßiges Verhalten deutscher Stellen nachgegangen werden.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schlug vor, dem Informanten Snowden in der EU Unterschlupf zu gewähren. Dies könne auch in Deutschland geschehen. Zudem forderte er ernste Konsequenzen im europäisch-amerikanischen Verhältnis. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) stellte in "Spiegel Online" das angestrebte Freihandelsabkommen in Frage. (dpa/tc)