Gastkommentar

Wie im Spielcasino

02.08.2002
Daniel Evensen Redatkionsleiter des Börsen-Informationsdienstes Stockworld.de

Enron, Tyco, Worldcom, Merck, AOL Time Warner, Qwest - beinahe täglich tauchen neue Fälle von Bilanzmanipulationen auf. Worldcom hat bei den Gewinnen um Milliardenbeträge betrogen. Bei AOL geht es "nur" um 270 Millionen Dollar. Mit der Vielzahl neuer Verdachtsfälle ist die viel zitierte "Enronitis" jedoch quantitativ längst in eine neue Dimension vorgestoßen.

Inzwischen hat die Skandalserie aber auch qualitativ eine neue Dimension erreicht. Es gibt eindeutige Hinweise darauf, dass die Citigroup (die weltweit größte Bank) und das Investmenthaus J.P. Morgan Enron in die Vorgänge verstrickt sind. Beide Institute deckten offenbar Scheingeschäfte des Energiehändlers, die als Umsätze ausgewiesen wurden, während es sich in Wirklichkeit um Kredite handelte. Sie waren Gläubiger von Enron, wollten die dramatische Lage verschleiern und den Konzern am Leben erhalten, heißt es.

Wenn Vorstände, Wirtschaftsprüfer und Großbanken im großen Stil lügen und betrügen, kann der Investor niemandem mehr vertrauen. Fehlendes Vertrauen ist jedoch Gift für die Börse. Die ohnehin angeschlagene IT- und TK-Industrie leidet darunter besonders. Anleger analysieren vor dem Kauf einer Aktie Fundamentaldaten wie Umsatz, Gewinn und Cashflow. Wenn auf diese Zahlen kein Verlass mehr ist, gleichen die Finanzmärkte einem Spielcasino. Auch die technische Analyse von Wertpapieren hilft nicht aus dem Dilemma. Bei Verdacht auf Bilanzmanipulationen fällt jede Aktie, egal wie der Chart aussieht.

Bei aller Dramatik besteht dennoch Hoffnung. Bis zum 14. August müssen große US-Konzerne die Richtigkeit der Geschäftszahlen beeiden und tragen damit die volle Verantwortung, wenn im Nachhinein Manipulationen entdeckt werden. Gleichzeitig wurde das Strafmaß für Bilanzfälschungen deutlich angehoben. Bis zu 25 Jahren Haft drohen künftig den Übeltätern. (gh)