ADV will Ausbildungslücke bei Mikroelektronikanwendungen schließen:

Wenig Möglichkeiten für Nachwuchsingenieure

03.12.1982

Eine verstärkte Anwendung der Mikroelektronik in den kommenden Jahren ist Voraussetzung für unser wirtschaftliches Wachstum. Dieses Ziel ist nur dann zu erreichen, wenn eine ausreichende Anzahl qualifizierter Nachwuchskräfte ausgebildet wird. Die Absolventen der Fachhochschulen und Universitäten decken nicht den Bedarf der Industrie. Die Planung neuer Studiengänge und Hochschulinstitute (zum Beispiel Hannover) auf dem Gebiet der Mikroelektronikanwendung zeigt sogar, daß heute für Nachwuchsingenieure kaum geeignete Studieneinrichtungen angeboten werden.

Dieses Ausbildungsdefizit auf dem Gebiet der Mikroelektronikanwendung veranlaßte die staatliche Akademie für Datenverarbeitung (ADV) in Böblingen, eine Alternative zum Hochschulstudium anzubieten. Motiviert war man durch ähnliche Modelle aus dem kommerziellen Bereich, da die Industrie ein sehr starkes Interesse an diesen Absolventen zeigt.

Die Grundlage des praxisorientierten Ausbildungskonzepts (Abschluß als staatlich geprüfter Informatiker) basiert auf einer fundierten DV-Grundausbildung mit dem Ziel, einerseits das logische Denkvermögen der Studierenden (Eingangsvoraussetzung Abitur) intensiv zu schulen und andererseits die Stoffinhalte der Programmierung, Organisation und Programmiertechniken zu vermitteln.

Im Rahmen der Mikroelektronik werden die für das Hardwareverständnis und für das Erkennen von Interface-Problemen notwendigen Elektronikgrundlagen behandelt. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt eindeutig sowohl bei der hardwarenahen Softwareentwicklung und der Programmentwicklung an Entwicklungssystemen als auch bei der Vermittlung des Funktionsverständnisses verschiedener peripherer Bausteine.

Der Anwenderbezug wird durch die Vertiefung des Funktionsdenkens in den Fachgebieten Meß-, Steuerungs- und Regelungstechnik, Prozeßtechnik, Fertigungstechnik und Fertigungsorganisation und durch das Schulen des Systemdenkens anhand komplexen Prozeßmodelle (Mehrkoordinatensystem, Transferstraße, Hochregallager usw.), die analysiert und automatisiert werden, hergestellt.

Praxisbezug betont

Die gute gerätetechnische Ausstattung erlaubt aktuelle Aufgabenstellungen für die Studierenden. Das einjährige Industriepraktikum im zweiten Jahr der dreijährigen Ausbildung verstärkt den Praxisbezug.

Die heutige Ausbildungssituation an der Akademie für Datenverarbeitung in Böblingen kann als gut angesehen werden, da die Anzahl der Studierenden steigt und die Nachfrage der Industrie bezüglich qualifizierter Nachwuchskräfte auf dem Gebiet der Mikroelektronikanwendung vorhanden ist.

Der Blick in die Zukunft zeigt aber bereits heute zum Teil erhebliche Probleme auf. Die Ausbildung in einer neuen, expansiven Technologie erfordert eine konsequente Weiterbildung und einen dauernden Praxisbezug des Lehrkörpers. Dieser Praxisbezug basiert auf einer entsprechenden Industrieerfahrung und in geringerem Umfang auf interessanten Betriebsbesichtigungen. Die Weiterbildung erfolgte bisher durch ausgewählte Kurse und spezielles Literaturstudium.

Zukünftig wird die vorhandene Industrieerfahrung weiterhin nützlich sein, sie garantiert aber keine bedarfsgerechte Ausbildung, da das Wissen veraltert. Betriebsbesichtigungen sind zwar interessant, die Erkenntnisse können aber nur oberflächlich bleiben. Der Besuch von Kursen wird aufgrund der angespannten Haushaltslage sehr erschwert. Eine Weiterbildung ausschließlich durch ein Literaturstudium führt zwangsläufig weg von einer praxisbezogenen Ausbildung. Die Lerninhalte können nur noch theoretischer Natur und praxisfremd sein.

Industrieerfahrung Voraussetzung

Um diesem voraussehbaren Entwicklungsprozeß entgegenzüsteuern, müssen heute entsprechende Aktivitäten entwickelt werden. Vorstellbar sind intensive Industriekontakte, die sowohl für die Unternehmen als auch für die Ausbildungsstätte großen Nutzen bringen könnten. Zwei Zusammenhänge sollen die Problematik der Mikroelektronikanwendung und die Nützlichkeit derartiger Kontakte aufzeigen:

Viele Anwender möchten die Mikroelektronik in ihren Produkten einsetzen, es fehlen aber die notwendigen Grundkenntnisse als Entscheidungshilfe. Die meisten angebotenen Kurse sind entweder herstellerspezifisch oder aber sie sind stark hardwareorientiert (Elektrotechnik/Elektronik) und somit für die Anwender (zum Beispiel Maschinenbau) nur bedingt geeignet.

Das Ausbildungskonzept der ADV bildet eine Alternative: Betriebliche oder überbetriebliche Schulungen, die von Anwenderproblemen ausgehen und ohne Elektronikkenntnisse gut verständlich sind, ermöglichen ein relativ schnelles Kennenlernen der Mikroprozessoren, peripheren Bausteine und Programmierung. Im Rahmen solcher Kurse könnten intensive Fachgespräche aktueller Problemstellungen geführt werden, die sowohl für den Anwender als auch für die Ausbildungsstätte einen wesentlichen Beitrag zur Weiterbildung bringen würden.

Die derzeitige wirtschaftliche Situation vieler Unternehmen erlaubt beim Einstieg in die Mikroelektronikanwendung keine kostenintensive Personalbindungen und Investitionen. Eine enge Zusammenarbeit mit der Akademie für Datenverarbeitung in Böblingen bietet auch kleinen und mittleren Betrieben die Möglichkeit, überschaubare Probleme gemeinsam zu analysieren und Lösungen zu entwickeln, die den betrieblichen Anforderungen entsprechen. So wird das Risiko klein gehalten.

Die Interessen der Wirtschaft und eine langfristig qualifizierte Ausbildung können nur gemeinsam über den Weg enger Kooperation verfolgt und so der Grundstein für eine dauerhafte Innovation gelegt werden.

*Dipl.-Ing. Uwe Hansen ist Dozent an der Akademie für Datenverarbeitung in Böblingen.