Intranet und Extranet/Allzu oft werden Anwender buchstäblich gelinkt

Web-Document-Management gegen digitale Verwahrlosung

16.12.1998
Von Frank Kappe* Einmal Surfen reicht, um zu wissen, daß es - ins Nichts führenden Links sei's gedankt - eine digitale Form der Verwahrlosung gibt. Ein solcher Eindruck bei Mitarbeitern und noch mehr bei Kunden und Geschäftspartnern ist ruinös. Die Einführung von Intranets und Extranets verlangt Vorsorge - und das nicht einmal viel.

Eine vertraute Situation? Ein Vertriebspartner benötigt spezielle Informationen zum Produkt XY und wendet sich per E-Mail, Fax oder Telefon an den Hersteller. Nachdem die Nachricht über einige Umwege die zuständige Stelle erreicht hat, beginnt eine ausgedehnte Suche in verschiedenen Dokumenten-Servern, die nicht selten damit endet, daß man den Vertriebspartner durch die Mitteilung verärgert, die Information sei leider nicht mehr aufzufinden.

Aufgrund solcher Erfahrungen denken immer mehr Unternehmen über den Aufbau eines Intranet nach. Was einem Unternehmen für seine Mitarbeiter recht ist - eine direkte und zentrale Versorgung mit wichtigen Informationen ohne Mischung unterschiedlicher Kommunikationsmittel -, das sollte ihm für seine Partner nur billig sein.

Obwohl es sich in diesem Fall definitionsgemäß um ein Extranet handelt, sind die Grenzen eher fließend. Gerade in dezentral organisierten Unternehmen unterscheiden sich Web-basierende Intranets technisch nur wenig von Extranets. Und auch was die Anforderungen an die Leistungen eines solchen Systems betrifft, gelten die gleichen Maßstäbe.

Es soll unterschiedliche Benutzer idealerweise aktiv mit maßgeschneiderten Informationen versorgen, eine einfache Pflege und Aktualisierung des Datenbestands ermöglichen und gewährleisten, daß der Informationsfluß nicht zur Einbahnstraße wird. Hinzu kommen der Schutz sensitiver Daten gegen unerlaubte Zugriffe sowie die einfache Anbindung an bestehende IT-Strukturen.

Wer versucht, einen normalen Web-Server, wie er für Intranets noch häufig eingesetzt wird, Extranet-tauglich zu machen, stößt bei diesen Anforderungen schnell an Grenzen. Das beginnt bereits bei der Integrität des Informa- tionsbestands. Die Meldung "Dokument nicht gefunden" ist für die Mitarbeiter schon ärgerlich genug. Im Fall von Kunden und Partnern können sich Hyperlinks, die ins Leere führen, geschäftsschädigend auswirken.

Das ist bei traditionellen Web-Servern jedoch die Regel, da sie Dokumente zusammen mit den Links speichern. Werden nun die Dokumente, auf die diese starren Links verweisen, verschoben oder gelöscht, entstehen Dateninseln, die sich nur mit großem administrativem Aufwand wieder in den Informations-Pool integrieren lassen.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die schleichende Verwahrlosung eines derartigen Servers ergab die Öffnung des Intranet des Geschäftsbereichs Open Enterprise Computing der Siemens AG für die Vertriebspartner. Dazu mußte der Datenbestand des alten Web-Servers auf einen speziellen Intranet-Server mit automatischer Link-Verwaltung umgesetzt werden. Von den 10000 Dokumenten, die bis zu diesem Zeitpunkt von zehn Autoren sowie zwei Administratoren erstellt und gepflegt wurden, besaßen 4000 keinen einzigen Querverweis mehr und waren damit für die Benutzer verloren.

Der neue Server verhindert dies, indem er die Hyperlinks getrennt von den Dokumenten als eigenständige Objekte in einer relationalen Datenbank speichert und verwaltet. Ein Verschieben oder Umbenennen des Dokuments führt automatisch zur Angleichung der Links. Mit der Löschung von Dokumenten werden auch die Links, die darauf verweisen, nicht mehr angezeigt und wirken damit für die User nicht mehr länger als Motivationskiller für die Nutzung des Systems.

In einem Intranet sind Informationen nicht für alle Benutzer gleichermaßen relevant und schon gar nicht zugänglich. Das gilt für ein Extranet um so mehr. Auch hier sind individuelle und gefilterte Sichten auf den Datenbestand nötig.

Ein Großhändler soll beispielsweise Zugriff auf andere Vertriebsmaterialien, etwa Preislisten, erhalten als ein umsatzschwächerer Vertriebspartner. Dies läßt sich über entsprechende Benutzerprofile einfach bewerkstelligen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, daß Dokumente über Zusatzinformationen beziehungsweise Attribute verfügen, die der Server separat speichert. Dies sind neben Zugriffsrechten beispielsweise ein Erstellungs- und Verfallsdatum, das die ständige Aktualität des Informationsangebots im Extranet gewährleistet, oder der Name des Autors.

Bei modernen Servern lassen sich solche Attribute auch für Hyperlinks definieren, so daß der Server einem externen Benutzer nur Querverweise auf die Dokumente anzeigt, für die er Zugriffsrechte besitzt. Der Eindruck einer Mehrklassengesellschaft unter Kunden und Partnern wird damit verhindert.

Um Kunden oder Partner eng an Geschäftsprozesse anzubinden, ist es wichtig, sie aktiv mit den neuesten Informationen zu versorgen. Darunter verstehen viele Unternehmen immer noch den Versand von bedrucktem Papier oder, moderner, von digitalen Datenträgern, deren Inhalt teilweise schon wieder überholt ist, wenn sie beim Empfänger eintreffen.

Extranets auf Basis eines herkömmlichen Web-Servers bieten zwar - entsprechende Pflege vorausgesetzt - stets aktuelle Informationen, haben aber den Nachteil, daß der aktive Teil des Informationstransfers nun vom Unternehmen auf die Adressaten übergeht. Spezielle Intranet-Server schaffen hier Abhilfe. Sie ermöglichen Suchabfragen mit frei definierbaren Suchkriterien, die alle Dokumente innerhalb eines festgelegten Bereichs automatisch und regelmäßig durchsuchen.

Die Suchabfrage "Aktuelle Produktinformationen" würde beispielsweise alle Dokumente erfassen, die in den Bereichen Produkt-Marketing und -entwicklung seit dem letzten Suchlauf neu eingestellt oder geändert wurden. Der Server erstellt die Ergebnisse anhand eines benutzerdefinierten Zeitplans und verschickt sie automatisch an Kunden.

Mit Hilfe dieser Techniken lassen sich nicht nur Informationen verteilen, sondern auch dezentrale Projektgruppen organisieren. So könnte ein Zulieferer über das Extranet mit der Entwicklungsabteilung seines Geschäftspartners zusammenarbeiten. Dazu muß er jedoch in der Lage sein, Daten in den Informations-Pool einzubringen.

Web-Document-Management-Systeme, die oftmals auch als spezielle Intranet-Server angeboten werden, eignen sich hierfür besonders. Mittels eines Standard-Browsers lassen sich Dokumente unterschiedlichster Formate in der hierarchischen Verzeichnisstruktur des Servers ablegen, verschieben, kopieren oder löschen, ohne daß dafür HTML-Kenntnisse oder Tools erforderlich sind.

Manche Systeme haben die Verzeichnisstruktur sogar bereits in den Desktop - sprich in die vertraute MS-Explorer-Oberfläche - integriert, so daß Extranet-Dokumente wie gewohnt verwaltet werden können. Damit steht erstmals der Anwender und nicht mehr der Web-Master im Mittelpunkt. Kommen zur aktiven Gestaltung des Datenbestands zusätzlich verschiedene Kommunikationskanäle, wie ein E-Mail-Verteiler, eine News Group oder ein Annota- tionssystem, mit dem sich Dokumente mit personalisierten Anmerkungen versehen lassen, hinzu, so unterscheidet sich eine virtuelle Projektgruppe nur mehr wenig von einer tatsächlichen.

Mit einem derartigen System ist auch der Weg zur Nutzung des Extranet als virtueller Seminarraum nicht mehr weit. Die Seminarteilnehmer, zum Beispiel Vertriebspartner eines Unternehmens, können dabei ihr Lernpensum bei freier Zeiteinteilung vor Ort absolvieren. Ein Lehrer erstellt dazu einen Kurs aus verschiedenen Modulen wie Text, Bildern, Audio- und Videosequenzen oder Simulationen, der auf dem Server abgelegt ist.

Als zusätzliche Informationsquellen stehen über Hyperlinks sowohl Hintergrundbibliotheken als auch Teile aus dem Informa- tionsbestand des Unternehmens-Intranet zur Verfügung. Wie bei den Projektgruppen stehen ein integriertes Messaging-System (E-Mail), ein Diskussionsforum, Annotationen oder, bei gleichzeitiger Präsenz im Extranet, auch Chat zur Verfügung.

Sowohl traditionelle Web-Server als auch proprietäre Dokumenten-Management-Systeme sind mit den komplexen Anforderungen, die ein Extranet an seine Betreiber stellt, in weiten Teilen überfordert. Gefragt sind vielmehr Systeme, die im Intranet-Umfeld beheimatet sind und von dort aus gezielt für das Informations-Management weiterentwickelt wurden.

Die Vorteile, die sich aus der Entwicklung des Intranet zum Extranet ergeben, sind für Unternehmen jedenfalls ebenso mannigfaltig wie verlockend. In einem Extranet ist der Bereich Service und Support für Kunden und Partner 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr geöffnet und entlastet das eigene Personal, was Kapazitäten für zusätzliche Serviceleistungen schafft. Der elektronische Datentransfer macht zudem den Versand von Papier größtenteils entbehrlich.

Dies spart nicht nur Geld, sondern strafft den Informationsfluß und macht ihn damit aktueller. Wird das Extranet dazu genutzt, Partner bei der Planung und Produktion online mit einzubeziehen, reduziert dies die Ausgaben für Reisen ebenso wie die Entwicklungszeiten und damit die Time to Market.

Neben diesen rein wirtschaftlichen Überlegungen ist auch der psychologische Wert der Preisgabe von Information nicht zu unterschätzen. Die Mitgliedschaft im Cyber-Club Extranet wirkt sich als Vertrauensbeweis positiv auf eine langfristige Bindung der Kunden und Partner an das Unternehmen aus.

Nach Einschätzung von Analysten könnte 1999 das Zeitalter für Intra- und insbesondere auch Extranets anbrechen, die dann den Löwenanteil der Business-to-Business-Kommunikation ausmachen sollen. Laut einer Umfrage unter amerikanischen IT-Verantwortlichen planen 80 von 100 die Einführung solcher Systeme.

Und auch hierzulande mehren sich die Beispiele für eine neue Offenheit im Umgang mit dem Unternehmenswissen. Viel wird dabei vom Vertrauen in die Datensicherheit des Web abhängen, denn technisch spricht bereits jetzt nichts mehr dagegen, Kunden und Partner in den virtuellen Informationsclub aufzunehmen.

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. . . und wieder kommt die Meldung: "Document not found". Der ganze Aufwand für die Gestaltung und Aktualisierung von Web-Seiten und Portalen führt allzu oft zu nichts - es sei denn zur Verärgerung von Interessenten, Kunden und Geschäftspartnern. Denn hinter den prächtigen Zugängen der Unternehmen sind die gesuchten und ausgewiesenen Dokumente nicht mehr vorhanden. Gelöscht, verschoben, im digitalen Orkus verschwunden. Vor allem bei Extranet-Anwendungen ist wirksames Web-Document-Management unverzichtbar.

*Dr. Frank Kappe ist Chief Technology Officer der Hyperwave Information Management GmbH mit Sitz in München, Graz, Boston und Santa Clara (fkappeqhyperwave.com).