Katzenjammer in Teilen der US-Szene

Web-Agenturen: Erwachen nach dem Dotcom-Hype?

13.10.2000
MÜNCHEN (CW) - Die noch vor kurzem als Highflyer gefeierten Internet-Agenturen haben inzwischen einen schwereren Stand. Dieser Eindruck drängt sich nach jüngsten Umsatz- und Gewinnwarnungen einiger US-Anbieter auf. Vor allem das Comeback klassischer Beratungshäuser sowie der viel zitierte "Dotcom-Blues", also die Pleitewelle bei Internet-Startups, machen offenbar den Dienstleistern der New Economy zu schaffen.

Erst knapp drei Wochen ist es her, als eine Personalie zumindest in der deutschen IT-Szene vergleichsweise große Resonanz erfuhr. Das US-Beratungshaus Sapient meldete die Berufung von Lufthansa-Vorstandschef Jürgen Weber zum Aufsichtsratsmitglied. Für beide Companies bedeute dies, so die offizielle Darstellung, eine "Win-win"-Situation. Die deutsche Airline verspreche sich mehr Schub (und gegebenenfalls einen kompetenten Partner) für ihre Internet-Strategie, die Amerikaner ihrerseits erhofften sich durch diese "Referenz" Unterstützung bei ihrer weiteren Expansion - vor allem in den europäischen Märkten.

Doch mit diesem Achtungserfolg dürften die in Cambridge, Massachusetts, ansässigen IT-Consultants vermutlich nur einmal mehr ihre in gewisser Hinsicht gerechtfertigte Sonderstellung im Markt unterstrichen haben. Bereits 1991 gegründet, gilt Sapient nicht nur als einer der Pioniere unter den so genannten New-Economy-Dienstleistern, sondern mit einem quasi von Beginn an umfassenden Portfolio aus Beratung, E-Business-Lösungen sowie Beteiligungs- und Coaching-Programmen für Startups auch als einer der wenigen historisch gewachsenen Komplettanbieter. Auch in seiner zuletzt bilanzierten Berichtsperiode vermochte das Unternehmen zu überzeugen. So konnte Anfang August für das am 30. Juni beendete zweite Quartal 2000 eine gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres 96-prozentige Umsatzsteigerung auf 125,8 Millionen Dollar gemeldet werden, der Gewinn nach Steuern kletterte von 8,2 auf 15,6 Millionen Dollar.

Mit diesen Wachstumsziffern können derzeit jedoch nicht alle der noch vor kurzem hochgejubelten US-amerikanischen Internet-Dienstleister glänzen. Bereits Anfang September schockten beispielsweise IXL und Viant Anleger und Analysten mit Gewinn- und Umsatzwarnungen. So teilte IXL mit, das seine Einnahmen im laufenden dritten Quartal vermutlich um 15 bis 20 Prozent niedriger ausfallen werden als im zweiten Quartal, als noch 119,2 Millionen Dollar in die Kasse der Amerikaner geflossen waren.

Zudem sei im Gegensatz zu ursprünglichen Prognosen statt eines Gewinns auf dem Niveau des zweiten Quartals (3,4 Millionen Dollar) mit einem geringfügigen Minus zu rechnen.

Wettbewerber Viant stellte ebenfalls einen Umsatzrückgang von zwölf bis 15 Prozent in Aussicht. Den Reigen der Hiobsbotschafts-Vermelder schloss vorerst vergangene Woche Razorfish ab. Die Company, deren Gründer und CEO Jeffrey Dachis als einer der schillerndsten Figuren der gesamten US-Internet-Branche gilt, meldete für das am 30. September beendete dritte Quartal ebenfalls Alarmstufe eins: Der Umsatz betrage voraussichtlich knapp 78 Millionen Dollar und liege damit nur ein bis zwei Prozent über dem vergleichbaren Vorjahreswert, hieß es in einer Mitteilung. Zudem werde man mit einem Gewinn je Aktie von maximal vier Cent die ursprünglichen Prognosen deutlich verfehlen.

Die Wallstreet reagierte auf diese Negativmeldungen äußerst verschnupft. Die Aktien der betroffenen Firmen mussten teilweise einen Kursverlust von mehr als 40 Prozent hinnehmen. Eine Art Götterdämmerung an der Börse, weil der Sinkflug der entsprechenden Titel bereits seit längerem anhält und zudem auch Aktien von Wettbewerbern in den Abwärtssog gerieten, die bis dato noch keinen Anlass für eine Krisenstimmung boten. So verloren beispielsweise auch die Papiere von Sapient, Scient und March First dramatisch an Boden.

Anzeichen für Ende des Goldrausches mehren sichMit der Ursachenforschung für diesen Einbruch in der Gunst der Anleger tun sich die meisten Analysten jedoch schwer. Ausschlaggebend scheinen offenbar mehrere Gründe zu sein. Enttäuschte Erwartungen in puncto Geschäftsverlauf sowie strukturelle Probleme wie im Falle IXL, wo 350 Mitarbeiter sowie President Bill Nussey das Unternehmen inzwischen verlassen haben, sind jedenfalls nur ein Mosaikstein unter vielen. Schon seit Monaten galt es unter Insidern der US-Internet-Szene als ausgemacht, dass der vielzitierte Goldrausch irgendwann ein jähes Ende finden würde. Jedenfalls damit, dass, wie oft kolportiert wurde, die "Schaufelverkäufer" (mit diesem "Image" kokettier(t)en die Dienstleister der New Economy recht gerne) mehr und vor allem schneller verdienten als die Goldsucher selbst.

Letztere, also vor allem die unzähligen Internet-Startups, sind nun bekanntlich zu einem nicht unerheblichen Teil - zumindest in den USA - wieder von der Bildfläche verschwunden, mussten Konkurs anmelden oder zumindest ihre Geschäftsaktivitäten rigoros den Einnahmen anpassen. Zahlreiche Dotcoms kommen deshalb, so die kühle Analyse vieler Fachleute an der Wallstreet, mangels Geld als Auftraggeber für Razorfish & Co. kaum mehr in Frage. Was sich um so schlimmer auswirken dürfte, als viele der New-Economy-Dienstleister - quasi ihrem Namen alle Ehre machend - vor allem mit dem Aufbau technischer Plattformen sowie entsprechender Beratung für Newcomer-Firmen schnelles Geld verdienten. So erzielte beispielsweise Scient eigenen Angaben zufolge noch im vergangenen Jahr mehr als 50 Prozent seiner Umsätze mit jungen Internet-Firmen; im zurückliegenden dritten Quartal wurde dieser Anteil jedoch auf "unter zehn Prozent" gedrückt.

Gelingt dieser Kurswechsel bei einigen der genannten Firmen nicht, dürfte dem "Dotcom-Blues" ein "I-Builder-Blues" folgen, heißt es unter Insidern spöttisch. Doch bei den zahlungskräftigeren Kunden der Old Economy konnten, entgegen oft verbreiteten anderslautenden Botschaften, die freakigen Agenturen und Dienstleister bisher nicht nennenswert landen.

New-Economy-Dienstleister sind nicht gut aufgestelltAuch dafür gibt es Gründe. Zum einen das offenbar gelungene Comeback der klassischen Beratungshäuser, vor allem der so genannten Big Five, die mit aller Macht in das Internet-Business drängen und dabei vor allem über eines verfügen, was ihrer noch verhältnismäßig jungen Konkurrenz abgeht: den direkten Zugang/Kontakt zu den Entscheidungsträgern bei den Anwenderfirmen, die nolens, volens ihr Internet-Geschäft aufbauen müssen. Hinzu kommt Experten zufolge noch ein anderes Handicap der "neuen Dienstleister". Viele sind in ihrem Produktportfolio zu diffus und breit aufgestellt - haben sich in dem Bemühen, zum Komplettanbieter zu avancieren, entweder technologisches Know-how oder Beratungskompetenz hinzugekauft. Jetzt kämpfen nicht wenige mit Integrationsproblemen. "Um künftig eine führende Rolle im Markt zu spielen, ist ein kulturell gewachsenes Know-how in Teilbereichen gefordert, nicht undifferenzierte End-to-End-Services", heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Analyse von Forrester Research.

Viele Experten erwarten jetzt den Beginn einer harten Auslese im Markt, halten die jüngsten Einbrüche bei Razorfish, IXL und Viant für keine Eintagsfliegen. Die spannendste Frage dürfte dabei sein, ob beziehungsweise wann der Katzenjammer von Teilen der US-Szene auf die deutsche und skandinavische Agenturlandschaft übergreift. Bei Firmen wie Pixelpark, Sinner Schrader und Icon Medialab will man bisher noch nichts von Katerstimmung oder schlechter Geschäftsentwicklung wissen - von Umsatz- oder gar Gewinnwarnungen keine Spur. Sinner-Schrader-Sprecher Marc Pohlmann ließ es jedenfalls gegenüber der CW nicht an klaren Worten nicht fehlen. Sein Unternehmen habe mit der Bekanntgabe der Zahlen für die ersten neun Monate des Geschäftsjahres 1999/00 nicht nur Rekordumsätze gemeldet, sondern auch eine erhöhte Gewinnprognose abgegeben. Letzteres habe man "nicht ohne Grund gemacht".

Abb: Abwärtstrend: Die Aktien der meisten führenden US-amerikanischen IT-Dienstleister und -Agenturen verloren zuletzt geradezu dramatisch an Boden. Quelle: CW