Bestandsaufnahme der deutschen Software-Landschaft:

Vom Programmgesellen zum Softwareingenieur

25.06.1976

BONN - "Nach 20 Jahren Datenverarbeitung sind wir in der Bundesrepublik von der Kunst in das Stadium des Handwerks gekommen - man kann jetzt sozusagen Programmiergeselle oder -meister werden. Wir müssen aber zum ingenieurmäßigen Arbeitsstil kommen", erklärte im Bonner Wissenschaftszentrum Dr. Günther Marx vom Bundesministerium für Forschung und Technologie anläßlich der Vorstellung der Ergebnisse zweier Studien, die das BMFT in Auftrag gegeben hatte. Die Diebold Deutschland GmbH untersuchte "Einsatzmöglichkeiten software-technologischer Methoden mit Normungseffekt" und stellte dabei fest: "Von den teilweise mit hohen Kosten erworbenen und implementierten Methoden werden mindestens 30 Prozent wegen mangelhafter Handhabbarkeit nicht eingesetzt." Folgerung: Bei Fördermaßnahmen sei leichter Nutzung beim Anwender mehr Gewicht beizumessen als theoretischen Ansprüchen oder einer Vielzahl unterschiedlicher Randbedingungen. Die Normung soll nach Diebolds Meinung auf Begriffe, Darstellungsformen und gegebenenfalls einzelne Elemente wie Schnittstellen oder Algorithmen beschränkt bleiben: "Eine Normung vollständiger software-technologischer Methoden oder der ihnen zugrunde liegenden Modelle ist nicht sinnvoll."

Unbehagen und Skepsis

Neben einer Reihe spezieller Empfehlungen für die künftige Förderpolitik kam Diebold zu dem Ergebnis: " Es ist notwendig, Informationen über vorhandene Methoden zu verbreiten, Erfahrungen einem größeren Benutzerkreis zugänglich zu machen und Maßstäbe für die Quantifizierung des Nutzens software-technologischer Methoden zu entwickeln."

"In der Studie ist das Unbehagen zusammengetragen, das uns alle drückt" kommentierte H. Kaukuris (Quelle, Fürth) bei einem Experten-Panel. "Ich glaube aber nicht, daß vor 1980 kompatible Methoden da sind."

"Stand und Entwicklung des Marktes für mehrfach verwendbare Anwendungssoftware" untersuchten gemeinsam die Infratest-Wirtschaftsforschung (München) und der Mathematische Beratungs- und Programmierdienst (Dortmund). Ihr wichtigstes Ergebnis: Der derzeitige Bestand an Anwendungssoftware ist bei den Universalrechner-Anwendern zu 79 Prozent und bei den MDT-Anwendern zu 40 Prozent selbst erstellt. Vom Rest entfällt der geringste Teil auf Standard Software unabhängiger Anbieter. Die Mitarbeiter der Anwender sind zu 50 Prozent mit Wartungsarbeiten ausgelastet und würden durchschnittlich viereinhalb Jahre benötigen, um die zur Zeit geplanten Projekte zu realisieren - der beabsichtigte Realisierungszeitraum beträgt aber im Mittel nur zwei Jahre.

Nach Expertenmeinung wird sich das Nachfragepotential für mehrfach verwendbare Software von 1975 bis 1980 mehr als verdoppeln. Aus Anwendersicht sei neben den immer wichtiger werdenden Kostenüberlegungen vor allem - der Zeitgewinn durch Einsatz von Fremdsoftware maßgebend.

Gegenüber externer Software-Unterstützung sind die Anwender - so Infratest/ mbp - immer noch skeptisch. Über 50 Prozent klagten bei der Befragung über ungenügendes Angebot oder schlechte Erfahrungen. Infratest/mbp: "Damit sich Standardsoftware dauerhaft auf dem Markt bewähren kann, müssen die Anbieter ihr Image, die Qualifikation der Mitarbeiter und die Solidität der Unternehmen verbessern, die angebotenen Programme von vornherein als Standardlösung konzipieren , sie flexibler und wartungsfreundlicher gestalten

und besser dokumentieren.

Die Diebold-Empfehlungen

In der Studie "Einsatzmöglichkeiten software-technologischer Methoden mit Normungseffekt" empfiehlt die Diebold Deutschland GmbH die Förderung von Methoden, die auf Produkt- oder Projektmodellen basieren ( dabei werden unter Produktmodellen problemneutrale maschinenabhängige Beschreibungen der Elemente und der Struktur des Softwareproduktes verstanden ( unter ProjektmodeIlen Beschreibungen der an einem Software-Erstellungs- und Wartuntgs-Prozeß beteiligten Mittel und ihrer Verknüpfungen):

- interaktiven Programmierverfahren sowie von Verfahren, die auf Checklists und Fragebogen sowie auf Tabellen und grafischen Darstellungen beruhen;

- Projektstandards und Beschreibungsstandards (Richtlinien zur Strukturierung und Abwicklung des Software-Erstellungsprozesses bzw. für eine einheitliche Beschreibung der zu lösenden Aufgabe und des entsprechenden Programmes;

- schritthaltender Software-Dokumentation;

- Verwendungsnachweisen für Software-Bausteine;

- Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Makro-Softwarestrukturierung;

- Test- und Integrationsstrategien (Anweisungen für die Berücksichtigung von Test- und Integrationsnotwendigkeiten bei Entwurf und Codierung von Software);

- Unterstützung der Endbenutzer in den Fachabteilungen bei ihrer zunehmenden Beteiligung an der Programm-Erstellung.