Hard- und Softwaremannschaften spielen sich oft den Schwarzen Peter zu:

Versprechungen beherrschen den Softwaremarkt

13.04.1984

Programme können viele schreiben. Wie bei allen Produkten, deren Qualität sich dem Benutzer nicht auf den ersten Blick erschließt, ist auch der Markt für Software von allerlei Scharlatanerie und großen Versprechen bevölkert. Das beginnt bei den Kleinanzeigen in den Heimcomputerzeitungen, in denen erste Gehversuche in Basic als wohlfeile Produkte angeboten werden, und setzt sich fort bis an Die Verhandlungstische großer Konzerne, an denen Vesprechungen für Softwarequalität tönen, für die jeder Hintergrund fehlt.

Kein Anwender will einfach nur Software kaufen, sondern das "Qualitätsprodukt Software". Auch wenn es nicht explizit ausgesprochen wird, so hält jeder es doch für selbstverständlich, daß das Produkt korrekt die gestellten Aufgaben löst, wartbar ist und Änderungen sowie Anpassungen ermöglicht. Ganz gleich, ob es sich um Standardprogramme oder maßgeschneiderte Softwaresysteme handelt: Effizienz, Zuverlässigkeit, einfache Bedienbarkeit sind immer Kriterien, die als implizite Forderung hinter dem Qualitätsprodukt Software stehen.

Methoden und Qualität

Um so erstaunlicher ist es, industrieübliche Praktiken zu beobachten. Es werden auf der Grundlage inkonsistenter, unvollständiger Neuschreibungen Festpreisangebote erstellt, wobei manchmal die Erstellung des Pflichtenheftes die erste Aktivität ist. Es ist die Festpreisausschreibung eines größeren Betriebes bekannt, der auf der Grundlage von zwei DIN-A4-Seiten sein Hochregallager automatisieren lassen wollte. Das mag im Einzelfall an der Unerfahrenheit von industriellen Anwendern liegen, aber die Unbekümmertheit, mit der Software- und Vertriebsspezialisten an solche Problemstellungen herangehen und hochwertige Qualität versprechen, ist äußerst erstaunlich. Zumindest sollten Methoden und Werkzeuge zur Softwareerstellung beim Partner vorhanden sein und benutzt werden, sollten Projektmanagement, Projektablaufpläne etc. transparent gemacht werden. Dabei genügt es für ein ernst zu nehmendes Softwarehaus nicht, Arbeitsweise und Produkte dem State of the Art der Software-Ingenieurwissenschaft anzupassen. Durch aktive Forschungs- und Entwicklungsarbeit muß es bestrebt sein, diesen State of the Art voranzutreiben. Denn nur so kann es seine Vorteile gegenüber eventuellen Eigenentwicklungen ausspielen und "gute" Software vorweisen.

Äußerst kritisch sollte sich ein Anwender mit der Art der Testphase auseinandersetzen, die ihm angeboten wird. Nach amerikanischen Erhebungen verbraucht sie rund 50 Prozent der Entwicklungskosten. Wie oft sieht man zu nächtlicher Stunde Programmierer verbissen ihre Programme austesten, die seit Wochen zu 90 Prozent fertig sind und deren letzte Fehler angeblich schon vor Tagen behoben wurden. Man könnte noch interpretieren, daß nun die Qualität in die Software hineingetestet wird. In Wirklichkeit geht hier die Saat der Fehler und Sünden in den frühen Phasen zum ersten Mal richtig auf. Ein mangelhaftes Pflichtenheft und der Ansatz "code first, design later" verbunden mit chaotischem Testen sind allzuoft die Ursache des zu beobachtenden Phänomens. Neben der Testphase kann auch die Wartungsphase, also die gesamte Nutzungsdauer eines Softwaresystems, zu einer kostspieligen Angelegenheit werden. Personalintensivität, Fahrtkosten etc. rücken die Folgekosten für Hard- und Software mehr und mehr in den Blickpunkt. Diese Folgekosten werden zu Lebzeiten eines Systems unmittelbar von dessen Verfügbarkeit beeinflußt. Diese Verfügbarkeit kann durch Maßnahmen und Werkzeuge des Softwarehauses beträchtlich erhöht werden. Ferndiagnosesysteme, Akustikkoppler und ähnliche Begriffe sollten jedenfalls kein Fremdwort für einen guten Softwareproduzenten sein.

Spätestens in der Nutzungsphase verschmelzen Hard- und Software zu einem Ganzen, werden ein System das entweder funktioniert oder nicht. Jeder Anwender befindet sich dann in einer glücklichen Lage,

wenn er es mit einem Lieferanten zu tun hat, sich nicht jedesmal die Gretchenfrage stellen muß: Liegt es an der Prozedur oder vielleicht doch an der Platte? Häufig und ganz natürlich die Reaktion der Hardware- und Software-Wartungsmannschaften, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dies geht immer zu Lasten des Kunden, verlängert Ausfallzeiten, treibt die Kosten in die Höhe. Daher ist es in den weitaus meisten Fällen für einen Anwender am bequemsten und am preiswertesten, Hard- und Software gemeinsam bei einem Lieferanten zu ordern, einen Ansprechpartner und Verantwortlichen zu haben, nicht bei einem reinen Softwarehaus, sondern beim Systemhaus zu kaufen. Die Branche hat diesen Trend längst erkannt und sich auf Wandel eingestellt zum Vorteil der Auftraggeber: Die Avantgarde der ehemaligen Softwarehäuser ist bereits zu Systemhäusern geworden.

* Wolfgang Schönfeld ist Geschäftsführer bei der GEI Gesellschaft für Elektronische Informationsverarbeitung mbH, Aachen.