"Das Problem der Telekom sind die Besitzverhältnisse"

Verband fordert Maßnahmekatalog für die ostdeutsche TK-Infrastruktur

01.03.1991

Um die Telekommunikations-Misere in der früheren DDR ist es merklich ruhiger geworden - dies wohl weniger aufgrund nachhaltiger Fortschritte bei den Sanierungsmaßnahmen der Deutschen Bundespost Telekom als bedingt durch die Tatsache, daß andere Themen gegenwärtig die Schlagzeilen beherrschen. Seit April vergangenen Jahres gibt es den Verband Deutsche Telekom-Anwender e. V., der Unter nehmen in Fragen der Beschaffung und Installierung von Telekommunikations-Anlagen unabhängig beraten will. Die Organisation setzt die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit in den neuen Bundesländern. Mit dem Vorstandsvorsitzenden Hans-Joachim Vallery sprach CW-Mitarbeiter Gerhard Holzwart über erste Erfahrungen, Einschätzungen und die Zielrichtung des Verbandes.

CW: Wie kam es zur Gründung Ihrer Organisation und was ist die Zielsetzung des noch sehr jungen Verbandes?

Vallery: Wir alle vom Verband Deutscher Telekom-Anwender e.V. sind Fachleute mit zum Teil 25 Jahren Berufserfahrung. Als Mitarbeiter verschiedener großer TK-Unternehmen hatten wir uns regelmäßig zum Gedankenaustausch getroffen, bis irgendwann die Idee aufkam, einen Verband zu gründen nicht zuletzt, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß es überall an qualifizierter und unabhängiger Beratung fehlt.

CW: In welcher Hinsicht gibt es denn Beratungsdefizite?

Vallery: Im speziellen Bereich der Anschaffung und Installation von TK-Anlagen. Es gibt zwar eine Menge Ingenieurbüros, die auch in diese Richtung arbeiten, eine spezifisch TK-orientierte Beratungsleistung ist dort aber nicht möglich. Daher gründeten wir unseren Verband als unabhängige Organisation, um eine vollkommen neutrale Beratung in diesen Fragen anbieten zu können.

CW: Welche Zielgruppe sprechen Sie an?

Vallery: Im Prinzip kann jede, juristische Person, jedes Unternehmen, das Bedarf an entsprechender Beratung hat, bei uns Mitglied werden. Aufgrund der besonderen Situation in den neuen Bundesländern engagieren wir uns dort derzeit natürlich besonders. Insgesamt haben wir zur Zeit 70 Mitglieder, darunter zum Teil sehr namhafte Unternehmen. 70 Prozent unserer Mitglieder kommen aus Ostdeutschland.

CW: Wie finanziert sich der Verband Deutsche Telekom-Anwender

e. V.?

Vallery: Im gegenwärtigen Aufbaustadium noch zu einem Großteil aus privaten Rücklagen. Auch unser Mitgliedsbeitrag von jährlich 240 Mark reicht nicht zur Kostendeckung aus. Wir sind also darauf angewiesen, und das ist ja letztlich unsere Absicht, Beratungsleistungen gegen Honorar durchzuführen. Die ersten Beratungen samt Rechnungsstellung sind auch schon erfolgt, aber die Durststrecke müssen wir noch hinter uns bringen.

CW: Wie stellt sich Ihnen die aktuelle TK-Situation in den neuen Bundesländer dar?

Vallery: Über die veraltete Technik und Infra-Struktur ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Woran es im besonderen fehlt, ist die zu geringe Zahl an Vermittlungsstellen und Fernleitungen. Ein weiterer gravierender Punkt sind fehlende Planungsunterlagen. Man hat oft den Eindruck, daß jetzt die rechte Hand nicht weiß, was bei TK-Installationen in der früheren DDR die linke Hand geplant und verlegt hat. Im Bereich der chemischen Industrie existieren beispielsweise umfangreiche "versteckte Netze", deren Auswirkungen auf das Modernisierungskonzept der Bundespost man noch gar nicht absehen kann.

CW: Wie behelfen sich denn gegenwärtig westdeutsche Unternehmen angesichts der unbefriedigenden TK-Situation in Ostdeutschland?

Vallery: Einmal weichen die Unternehmen auf die von der Telekom neu geschalteten Satellitenverbindungen aus. Diese sind zwar recht teuer, gewährleisten aber einen halbwegs reibungslosen Telefonverkehr von und nach Ostdeutschland. Darüber hinaus werden in der Nähe der früheren Zonengrenze sogenannte Ausnahmeanschlüsse geschaltet, das heißt, ein Ost-Berliner Teilnehmer bekommt beispielsweise einen Anschluß mit West-Berliner Nummer. Vor allem aber kommen auch die längst eingemotteten Fernschreiber wieder zum Fragen, da das Telex-Netz in den östlichen Bundesländern hervorragend funktioniert.

CW: Eine Renaissance veralteter Technologie" also?

Vallery: Veraltet würde ich nicht direkt sagen, aber natürlich hat das Telefax dem Fernschreiber eindeutig den Rang abgelaufen. Wenn sie jedoch derzeit einen reibungslosen Kontakt mit Ostdeutschland herstellen wollen, sind sie überwiegend noch auf den Fernschreiber angewiesen.

CW: Stellt die marode TK-Infrastruktur in der Ex-DDR nach Ihren Erfahrungen überhaupt ein Investitionshemmnis für westdeutsche Unternehmen dar?

Vallery: Eigentlich nicht, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie von manchen befürchtet. Gerade aus unseren jüngsten Erfahrungen können wir von Fällen berichten, wo ganze Etagen von ostdeutschen Firmen mit der entsprechenden Anzahl von Nebenstellen an westdeutsche Unternehmen vermietet wurden. Diese Möglichkeit ist durchaus gegeben und wird auch zunehmend genutzt.

CW: Sind denn ostdeutsche Unternehmen in ihrem Überlebenskampf überhaupt in der Lage, von ihrer ohnehin unzureichenden Kommunikationstechnik noch Kapazitäten abzugeben?

Vallery: Die Situation ist ja die, daß die ostdeutsche Wirtschaft in der Tat vor dem Kollaps steht. Das bedeutet, daß viele Unternehmen drastischen Personalabbau vornehmen müssen; Amtsanschlüsse deshalb in der vorhandenen hohen Anzahl nicht mehr benötigt und somit faktisch frei werden könnten. Leider haben wir es in diesem Zusammenhang mit zwei Problemen zu tun. Einmal wird die Möglichkeit der Abgabe überflüssiger Nebenstellen aufgrund eines nach wie vor fest verankerten Besitzstanddenkens durch die verbliebenen Mitarbeiter verzögert und blockiert. Zum zweiten müssen natürlich die in der Regel 30 bis 40 Jahre alten betrieblichen TK-Anlagen trotz guter Wartung und Pflege großflächig modernisiert oder komplett erneuert werden. Hier hat die westdeutsche TK-Industrie bereits ein Eldorado entdeckt und verkauft Unmengen. Mit dem Ergebnis, es wird Geld gemacht, nicht immer allerdings zum Vorteil der Kunden.

Bei unseren Beratungsgesprächen mußten wir immer wieder feststellen, daß die Gutgläubigkeit vor Ort in den neuen Bundesländern zum Teil schamlos ausgenutzt wird. Wenn wir sehen, wie die örtliche Industrie, die ja ums Überleben kämpft, in manchen Fällen durch Geschäftemacher regelrecht übers Ohr gehauen wird, müssen wir dies auf das schärfste verurteilen.

CW: Hat denn die Deutsche Bundespost Telekom die notwendige, Manpower und Ressourcen, um die Sanierung des ostdeutschen TK-Netzes federführend voranzutreiben?

Vallery: Das ist pauschal nicht zu beantworten. Ich glaube, das größte Problem der Telekom sind die ungeklärten Besitzverhältnisse. Was nützt es eigentlich, wenn die Telekom zur Zeit 22 000 Baumaßnahmen für Vermittlungsstellen und Netzverlegungen in Auftrag oder Planung hat und sie andererseits gar nicht weiß, ob und wie die Standortfrage geklärt ist. Ein zweites Problem - und davon spricht kaum einer - ist die westdeutsche Zulieferindustrie. Dieser Wirtschaftszweig konnte bis heute nicht in den Ausmaß seine Produktionskapazitäten erhöhen, das eigentlich erforderlich wäre, um den Bedarf, der hier entstanden ist, zu decken. Das heißt, die Telekom gerät auch in einen technischen Engpaß. Ob dies kurzfristig zu beheben sein wird, ist aus unserer Sicht mehr als fraglich. Nach unseren Berechnungen müßten die Produktionskapazitäten mindestens um 25 Prozent, wahrscheinlich sogar um bis zu 50 Prozent angehoben werden, um den Bedürfnissen kurzfristig gerecht zu werden.

CW: Es wurde seitens der Postministeriums ja angekündigt, daß auch private Anbieter zugelassen werden sollen. Könnte dies die Situation entspannen?

Vallery: Die Deutsche Bundespost Telekom sollte wirklich verstärkt auch mittlere und kleinere Unternehmen vor Ort in die Sanierungsmaßnahmen einbinden. Zumindest Modernisierungen in kleinerem Ausmaß

könnten so relativ zügig vorangebracht werden - von den positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt will ich gar nicht erst reden. Es sind auch schon eine Reihe von Ausschreibungen durch die Telekom erfolgt, inwieweit diese abgeschlossen oder Aufträge schon erteilt worden sind, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.

CW: Wie stellt sich denn der Verband Deutsche Telekom-Anwender e.V. die Sanierung der ostdeutschen TK-Infrastruktur vor?

Vallery: Durch ein Bündel von Maßnahmen, die ich zum Teil schon genannt habe. Wir sind als Verband der Meinung, daß als erstes und so schnell wie möglich die Eigentumsfrage geklärt werden muß. Zweitens sehen wir es als notwendig an, daß die westdeutsche TK-Industrie ihre Produktionskapazitäten den Anforderungen soweit wie möglich anpaßt. Drittens sollte die Bundespost intern besser organisiert und in die Lage versetzt werden, scheller als bisher Aufträge zu vergeben und von ihrer Monopolstellung abzurücken.

Wenn beispielsweise nicht auch durch Arbeitskämpfe der gute Wille, hier etwas zu tun, gelähmt würde, könnte dies auch einiges bewirken. Wenn, ganz allgemein gesagt, durch unbürokratische Maßnahmen ein eindeutiges Bekenntnis zum Aufbau einer weitgehend neuen TK-Infrastruktur geleistet würde, dann könnten die von der Deutschen Bundespost gesteckten Ziele innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens, vielleicht sogar schon vorher, erreicht werden. Nur sind hierfür natürlich entsprechende politische Entscheidungen zu treffen.

In diesem Zusammenhang würden wir als Verband es begrüßen, wenn die kürzlich beschlossene Zusatzabgabe der Telekom im Rahmen des Bundeshaushalts eine zweckgebundene Verwendung für die ostdeutschen TK-Belange finden würde. Als letztes: Was die Produktionskapazität der westdeutschen TK-Industrie betrifft, müßte die Bundesregierung, wenn sich anderweitig keine Bedarfsdeckung abzeichnen sollte, nach einer EG-weiten Lösung Ausschau halten.

CW: Welche Ziele hat sich Ihre Organisation für die nächste Zeit gesteckt?

Vallery: Wir wollen einmal natürlich unseren Mitgliederstamm weiter kontinuierlich ausbauen. Wir möchten unseren Mitgliedern eine qualifizierte Beratung bei der Anschaffung und Installation von TK-Anlagen bieten und ihnen in einem zweiten Schritt die diverse Postdienste wie beispielsweise ISDN näher bringen, deren sinnvoller Einsatz nach unserer Auffassung deutlich zur Kostenminimierung beiträgt. Und wir wollen als Verband eine Größe erreichen, die uns mehr als heute befähigt, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Verbänden nachhaltig zur Lösung der eben besprochenen Fragen beizutragen.