Die seit langem geforderte Reform der Spionagepraktiken des US-Geheimdienstes NSA ist vorerst gescheitert. Im Washingtoner Senat fehlten am Dienstagabend (Ortszeit) zwei der benötigten 60 Stimmen, um den sogenannten "Freedom Act" zur Debatte und anschließenden Abstimmung zu bringen. Das Gesetz sollte der Sammlung von Telefondaten im Rahmen des "Patriot Act" (Patrioten-Gesetz) deutlich engere Grenzen setzen. Auch Präsident Barack Obama hatte sich für das Vorhaben stark gemacht.
Vor allem Republikaner blockierten das Vorhaben des demokratischen Senators Patrick Leahy. Sie argumentierten, die USA könnten bei einer Verabschiedung nicht mehr ausreichend vor Terroranschlägen beschützt werden. Mitch McConnell, der künftige Mehrheitsführer in der Kammer, brachte auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die brutalen Enthauptungen entführter US-Geiseln ins Spiel. Es sei der "ungünstigsten Zeitpunkt, um unsere Hände hinter unseren Rücken zu binden" und die Arbeit der Geheimdienste zu beschränken.
Leahy warf seinen Gegnern dagegen "Panikmache" vor und appellierte in einer emotionalen Rede an die Senatoren, die amerikanische Verfassung zu schützen. Die Abstimmung sei aber das bislang stärkste Signal für eine NSA-Reform gewesen. "Die Gegner dieses Gesetzes verkennen, dass die meisten Amerikaner zutiefst, zutiefst besorgt sind über die Sammlung ihrer persönlichen Informationen", sagte Senator Mike Lee.
Der Entwurf sah vor, dass Verbindungsdaten künftig nicht mehr von der NSA, sondern von den Telefonanbietern direkt gespeichert werden. Die National Security Agency sollte diese dann erst mit einer Genehmigung des Geheimgerichts FISC durchsuchen dürfen. Der Geheimdienst hätte bei der Suche nach Terroristen nach bestimmten Namen fragen müssen, statt sämtliche Daten zu einer Telefon-Vorwahl oder einer Stadt zu sammeln. Zudem hätte die NSA ihre Anfragen einzeln begründen müssen.
Neben Datenschützern hatte sich besonders die IT-Branche für das Gesetz stark gemacht. US-Unternehmen hätten aufgrund der Angst vor Spionage bereits Verträge in Millionenhöhe verloren, hatte der Präsident der Consumer Electronics Association (CEA), Gary Shapiro, vergangene Woche in einem Brief an alle Senatoren (PDF-Link) geschrieben. Zu dem 2000 Mitglieder zählenden Branchenverband gehören unter anderem die Schwergewichte Apple, Google und Microsoft.
- Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht." - Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst." - Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben." - Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt." - James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf." - Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen." - Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst." - Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance." - ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."
Ab Januar halten die Republikaner die Mehrheit im Senat. Dass der "Freedom Act" dann erneut auf den Tisch kommt, ist unwahrscheinlich. Im Juni laufen allerdings die Anti-Terror-Gesetze im Rahmen des "Patriot Act" aus und damit die rechtliche Grundlage für die NSA, im großen Stil Daten zu sammeln. Erneuter Streit um die vom Informanten Edward Snowden enthüllte Schnüffelei ist damit vorprogrammiert. (dpa/tc)