US-Heimatschutz: Big Brother 3.0

28.01.2008
Das US-Department of Homeland Security (DHS) will Reisende künftig bis in die intimsten Details durchchecken.

Wir schreiben das Jahr 2012: Sobald Sie ein Flughafengebäude betreten, werden Sie von Maschinen beobachtet. Sind Sie ein Tourist - oder ein Terrorist, der sich als Urlauber tarnt? Noch während Sie die Fragen der Sicherheitskontrolleure beantworten, beginnen die Systeme, Sie abzuchecken. Dabei speist eine Reihe von Sensoren - Video, Audio, Laser, Infrarot - eine Flut von Echtzeitdaten zu Ihrer Person in einen Computer ein, der über spezielle Algorithmen zur Erkennung verdächtiger Individuen verfügt.

Das System deutet Ihre Gesten und Mimik, analysiert Ihre Stimme und sondiert Ihren ganzen Körper, um Temperatur, Pulsrate, Atmung und andere physiologische Merkmale zu bestimmen - all das, um herauszufinden, ob Sie eventuell Täuschungsabsichten hegen. Wer den Test nicht besteht, wird einer aggressiveren Inspektion unterzogen.

Nicht etwa Science-Fiction

Es handelt sich hierbei nicht etwa um vage Zukunftsvisionen: Die US-Heimatschutzbehörde DHS ist nach einem Bericht der CW-Schwesterpublikation "Computerworld" längst dabei, dieses futuristisch anmutende Szenario Wirklichkeit werden zu lassen.

Seit die DHS-Abteilung Human Factors im Juli 2007 Forscher mit der Entwicklung von Techniken für das "Project Hostile Intent" beauftragte, ist das Interesse an - wie es einige Wissenschaftler nennen - "Behavioral Profiling" zur Aufdeckung von Täuschungsversuchen gestiegen. Das Projekt widmet sich der Entwicklung von Systemen, die verhaltensspezifische und physiologische, mit Täuschung assoziierte Schlüsselmerkmale automatisch identifizieren und analysieren.

Das DHS hegt ehrgeizige Pläne für die Technik: Schon in diesem Frühjahr ist eine erste Demonstration für die US-Verkehrsverwaltungsbehörde TSA (Transportation Security Administration) vorge-sehen. 2012 soll dann der System-Rollout etwa an Flughäfen und Grenzübergängen beginnen.

Skeptikern zufolge dürfte die Entwicklungszeit für ein solches System den vom DHS angesetzten Rahmen deutlich sprengen. Nach Einschätzung von Bruce Schneier, Security-Experte und Chief Technology Officer (CTO) bei BT Counterpane, braucht die für das DHS-Projekt benötigte Technik mindestens noch 15 Jahre: "Wir beherrschen ja noch nicht einmal die Gesichtserkennung."

Laut Sharla Rausch, Director der DHS-Abteilung Human Factors, erzielt die Behörde aber bereits positive Resultate: So liege die unter Laborbedingungen erzielte Präzisionsrate derzeit zwischen 78 und 81 Prozent. Im Echtbetrieb müsse die Trefferquote natürlich höher sein, räumt die Heimatschützerin ein.

Die Forschungsaktivitäten konzentrieren sich auf drei Kernbereiche. Dabei handelt es sich zum einen um die Erkennung von Gesten und "Microfacial Expressions", sprich: minimalen Veränderungen in der Mimik, die nur für den Bruchteil einer Sekunde wahrzunehmen sind. Zum anderen werden Variationen in Stimm-lage und -lautstärke als mögliche Indikatoren für Unaufrichtigkeit analysiert. Drittens beschäftigen sich die vom DHS beauftragten Wissenschaftler mit der Erfassung physiologischer Merkmale wie Blutdruck, Pulsrate, Hautfeuchtigkeit und Atmung, wie sie traditionell von Lügendetektoren gemessen werden.

Anhand der Kombination dieser Faktoren hofft das DHS, Trefferquoten zu erzielen, die über die eines Lügendetektors hinausgehen. Damit liegt die Messlatte nicht allzu hoch, denn Polygrafen werden von Wissenschaftlern seit jeher in Frage gestellt. Trotz jahrzehntelangem Fein-Tuning sind die Testergebnisse der Detektoren vor Gericht nach wie vor unzulässig und hängen Experten zufolge stark von den Fähigkeiten des Prüfers ab.

Lügen hören und sehen

Ein ganzes Heer von Forschern bastelt mittlerweile an den Teilen des Hostile-Intent-Puzzles. Julia Hirschberg, Professorin für Informatik an der Columbia University, versucht etwa zu ergründen, inwieweit sich die Täuschungsversuche eines Lügners anhand variierender Sprachmerkmale aufdecken lassen. Bislang sollen 250 akustische, lexikalische und die Intonation betreffende Besonderheiten identifiziert worden sein, die auf die Unaufrichtigkeit einer Person hindeuten könnten. Die aktuelle Trefferquote von 67 Prozent sei zwar "nicht überwältigend", aber besser als bloße menschliche Beobachtung, behauptet die Wissenschaftlerin.

Nun basieren diese Ergebnisse lediglich auf Experimenten unter Laborbedingungen, was laut Hirschberg "nicht ideal" ist. Hinzu kommt, dass die Trefferquote je nach Persönlichkeit des Probanden variiert. Bislang will die Forscherin etwa fünf Typen identifiziert haben, deren Kenntnis die Interpretation der Ergebnisse verbessern kann. Allerdings ist zu bezweifeln, ob die Prüfer an Flughäfen oder Grenzkontrollen über den hierzu erforderlichen Einblick verfügen.

Dimitris Metaxas, Informatikprofessor an der Rutgers University, wurde vom DHS beauftragt, mittels Technik die Bedeutung kaum wahrnehmbarer Gesichtsausdrücke und Gesten zu ergründen und zu analysieren. Dabei geht es um "nicht der Norm entsprechende und potenziell mit Täuschungsmanövern assoziierbare" Bewegungen etwa von Augenbrauen und Mund sowie Kopf und Schultern. Genauer will der Forscher nicht werden - die Indikatoren, für die er sich interessiert, sollen geheim bleiben.

Skeptikern zufolge wird eine Erkennungstechnik der geplan-ten Art niemals funktionieren. Die Ekman Group hat TSA-Personal in Verfahren geschult, die dabei helfen, die Minimalveränderungen in der Mimik zu erkennen und zu deuten. Laut John Yuille, Director der Beratungsfirma, handelt es sich bei der Methodik um eine "Sozialwissenschaft, die nicht zu automatisieren ist". Gesichtsausdrücke könnten nur Hinweise auf Unaufrichtigkeit geben, erforderten aber "menschliches Interpretieren".

Technik ist für Metaxas nicht das Problem. Die Basistechnik zur Gesichtsuntersuchung will er bereits realisiert haben: So sollen damit ausgestattete Kameras, bis zu 2,7 Meter von dem Probanden entfernt, schon Präzisionsraten zwischen 70 und 80 Prozent liefern. Verbessert werden müss-ten aber die Algorithmen, die die-se Gesichtsausdrücke in Bezug zu Täuschungsabsichten setzen. Dazu benötige er mehr Informationen von Psychologen.

Ethnisches Profiling?

Experten zufolge sind Indikato-ren für Täuschung oder Betrug stark kulturabhängig. Eine Analyse, die diesen Aspekt vernachlässigt, würde demnach weniger zu einem verhaltensbasierenden als vielmehr zu einem ethnischen Profiling führen. Tatsächlich soll das Project Hostile Intent "kulturell neutrale" Indikatoren entwickeln. Rausch ist überzeugt, dass das DHS bis 2010 über Maschinen verfügt, die rein auf kulturübergreifende Faktoren hin testen.

Für Barry Steinhardt, Director des Technology and Liberty Project bei der American Civil Liberties Union, birgt das vom DHS anvisierte Personen-Screening vor allem die Gefahr, dass sich ethnische Minderheiten in einem Netz aus Verdacht und Misstrauen verfangen. Anlass zu echter Sorge sieht er jedoch vorerst nicht. Das Project Hostile Intent sei lediglich das jüngste Beispiel für eine Vielzahl ebenso kostspieliger wie gescheiterter Initiativen der Heimatschutzbehörde und der TSA. "Hunderte von Milliarden Dollar" seien seit den Terroranschlägen im September 2001 auf diese Weise verschwendet worden. (kf)