Beendet das Internet die Erfolgs-Aera der SAP?

US-Forscher: Intranets bedrohen die SAP-Welt

05.04.1996

Noch wird der Status quo in den Unternehmen eindeutig durch Softwarepakete wie dem von der SAP AG oder deren Wettbewerbern bestimmt, schreiben die Wissenschaftler in einem Kommentar in der CW-Schwesterpublikation "Computerworld". Das sei nachvollziehbar, denn mit dem umfassenden, integrierten Programm liessen sich die wichtigsten Geschaeftsprozesse abdecken. Allerdings sei die Software auch extrem teuer; Kauf und Implementierung der Applikationen schluegen normalerweise mit Millionenbetraegen zu Buche. Zudem machten die meisten Unternehmen leidvolle Erfahrungen bei der Einfuehrung von R/3 - eine der schwierigsten Aufgaben, die eine DV-Abteilung ueberhaupt bewaeltigen koenne.

Bereits im naechsten Jahr, so die Prognose der Professoren, koennte es zu einem dramatischen Richtungswechsel kommen.

Die alles entscheidende Frage zur Zukunft von Geschaeftsanwendungen laute: Wird es der Software-Industrie gelingen, eine Serie von Intranet-Modulen fertigzustellen, die billiger, leichter einzufuehren und besser zu warten sind als die komplexe R/3- Software?

Ravi Kalakota von der University of Rochester in New York und Andrew Whinston von der University of Texas in Austin sehen deutliche Anzeichen dafuer, dass dieser Generationswechsel eintreten wird. Man muesse sich nur einmal die Java-Web-Seite von Sun Microsystems ansehen http://java.sun.com , um zu ahnen, wohin die Reise gehe. Dort wird im Rahmen des "Java-Financial-Portfolio" demonstriert, wie Broker ueber eine einheitliche Benutzer- Schnittstelle Boersenkurse abfragen und ihre Transaktionen per Spreadsheet kalkulieren koennen. Diverse Anwendungen dienen dazu, die Aktienkurse aufzubereiten und die im Internet verfuegbaren Berichte zu sammeln.

"Es ist offensichtlich, dass sich mit Java-Applets und anderen Web- Techniken Module entwikkeln lassen, die mit all dem rivalisieren, was SAPs R/3 heute bietet", konstatieren die Wissenschaftler. Diese Loesungen wuerden voraussichtlich preiswerter und skalierbar angeboten. Allerdings weisen Kalakota und Whinston darauf hin, dass Kernprobleme der Client-Server-Architekturen auch in der schoenen neuen Internet-Welt erhalten blieben: Hard- und Software-Upgrades sind zu bewaeltigen, der Bedarf an schnellen Netzleistungen steigt, und die Personalkosten bleiben hoch. Daher komme auf die Chief Information Officers (CIOs) die Aufgabe zu, Intranet-Projekte mit hoher Geschaeftsauswirkung herauszusuchen. "Kein Zweifel, das Zeitalter der Intranets ist gekommen", schliessen die Wissenschaftler euphorisch.

Whinston und Kalakota stehen mit ihren Prognosen nicht allein. George Colony, Gruender und President der Marktforschungsgesellschaft Forrester Research, erklaert im CW- Interview: (siehe CW Nr. 13 vom 29. Maerz 1996, "Den bunten Web- Seiten folgt die Aera des Internet-Computing") "Das Intranet wird in den kommenden zwei Jahren den grossen Durchbruch schaffen." Zu den Internet-Perspektiven von R/3 befragt, antwortet Colony: "R/3 ist bei aller Modularisierung ein Monolith und zudem ein sehr geschlossenes Sy- stem." Es sei riskant, heute noch ein solches Paket zu kaufen. "Es wird R/3-Aequivalente geben, die im weltweiten Netz laufen".