Universität Karlsruhe forscht mit 1,7 Milliarden Operationen pro Sekunde: Hochleistungscomputing mit Mono-Vektorrechner VP400-Ex

12.05.1989

Noch nicht absehbare Einsatzmöglichkeiten für komplexe Vektorrechner erproben die Universität Karlsruhe und die Siemens AG in einem fünfjährigen Kooperationsabkommen. Mit dem Hochleistungsrechner VP400-EX sollen neue Bereiche für Supercomputing erschlossen werden. Auf dem Programm stehen unter anderem Molekülmodellierung und die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen.

Bei der offiziellen Inbetriebnahme des Superrechners betonte der Rektor der Universität, Professor Heinz Kunle, daß der Rechnerbereich für eine Technische Hochschule von zentraler Bedeutung sei. Der badenwürttembergische Minister für Wissenschaft und Kunst, Professor Helmut Engler, wies bei der Vorstellung des Projektes darauf hin, daß die Technische Hochschule auch im internationalen Rahmen in der verfügbaren Rechnerleistung an der Spitze sei und für 1991 die Anschaffung eines weiteren Höchstleistungsrechners geplant ist. Die bereits bei Siemens bestellte VP-1000-Ex repräsentiere die nächste Supercomputergeneration und werde die Rechenkapazität nochmals verdoppeln.

Glasfasernetz verbindet Arbeitsplätze mit Zentralrechner

Im Rahmen ihrer Konzeption für die rechnerunterstützte Forschung will die Universität den Wissenschaftlern die Möglichkeit einräumen, Probleme von größter jeweils noch beherrschbarer Komplexität direkt am oder in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu bearbeiten. So werden vom Rechenzentrum allein im Rahmen des Kooperationsprojektes nmit Siemens 60 Höchstleistungs-Workstations über den Campus verteilt in Pools aufgestellt. Die Institute werden in etwa die gleiche Zahl für den direkten Einsatz am Arbeitsplatz beschaffen. Diese Arbeitsplatzrechner sind über das universitätsweite Glasfasernetz mit den Zentralrechnern im Universitätsrechenzentrum und über das Landesnetz DELWÜ mit denen anderer Universitäten verbunden.

Die Supercomputer-Leistung der VP400-EX soll auch mit der mittelständischen Industrie der Region zugänglich sein. Das Rechenzentrum der Universität Karlsruhe offeriert Anwendern aus der Wirtschaft mit ihren Abteilungen Rechneranwendungen/Supercomputer und Numerikforschung für Supercomputer eine personelle Unterstützung.

Der installierte Vektorrechner VP400-EX kann bis zu 1,7 Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde durchführen. Er ist damit der schnellste derzeit lieferbare Mono-Vektorprozessor. Die hohe Rechenleistung und der 512 Megabyte große Arbeitsspeicher mit einer Zugriffszeit von 55 Nanosekunden erschließen den Wissenschaftlern völlig neue Möglichkeiten zur Simulation dreidimensionaler und zeitabhängiger Systeme. Die Ergebnisdaten daraus können nur noch mit graphischen Methoden analysiert und interpretiert werden. Deshalb benötigt die VP400-EX spezielle Rechner für die Vor- und Nachbereitung. Hierzu werden von der Universität Karlsruhe die Höchstleistungs-Workstations mit ihrer hochauflösenden Grafik eingesetzt. Der Datentransfer erfolgt über das Glasfaser-Hochgeschwindigkeitsnetz der Universität. Der Vektorrechner vollzieht die zeitintensiven Schritte der Problemlösung. Andere Rechner fungieren als Ein- und Ausgabestationen. Teilweise werden sie auch als Verwaltungsrechner zur Archivierung großer Datenmengen benötigt.

Die neuen Höchstleistungsrechner VP400-EX sind regional in ein kompatibles Cluster von Vektorrechnern ein gebunden. Dazu gehören eine Siemens VP50 im Kernforschungszentrum Karlsruhe, eine Siemens VP 100 an der Universität Kaiserslautern und eine Cray-2 an der Universität Stuttgart. Über das Landesnetz kann jeder Forscher auf heterogene Rechnerarchitekturen und vielfältige Anwendersoftware zugreifen.

Die Anschaffung des Superrechners erfolgte im Rahmen der vom Bund und vom Land Baden-Württemberg mit 43 Millionen Mark geförderten Modernisierung der Computerinfrastruktur der Universität Karlsruhe. Dazu gehören auch Hochleistungs-Workstations. Weitere finanzielle Mittel, die den Anteil der öffentlichen Hand beträchtlich übersteigen, wurden von der Siemens AG, dem Kernforschungszentrum Karlsruhe und weiteren Firmen bereitgestellt. Allein die tatsächlichen Anschaffungskosten des Höchstleistungsrechners sollen bei 60 Millionen Mark liegen.

Das Engagement der Siemens AG ist eingebettet in ein Kooperationsabkommen für das Projekt Odin. Die Abkürzung steht für Optimale Datenmodelle und Algorithmen für Ingenieur- und Naturwissenschaften auf Hochleistungsrechnern. Neue Anwendungsbereiche für das Supercomputing sollen im Projektrahmen vor allem in der Molekülmodellierung, in den Geowissenschaften, bei der Lösung von Umweltfragen, in der Offshore-Technik, in Forschungsvorhaben im Bereich Dampf- und Gasturbinen sowie für die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen erschlossen und als Standardsoftware in hochoptimierter Form angeboten werden.

Uni entwickelt Benutzerumgebung für Vektorrechner

Neben dem Superrechner VP400EX nutzt das Odin-Programm auch die spezielle Computerinfrastruktur in Karlsruhe. Die Anwender der Hochleistungsworkstations und alle

anderen Benutzer können über das Hochgeschwindigkeitsglasfasernetz der Universität mit dem Supercomputer kommunizieren.Über das Karlsruher Lichtleiter-Kommunikationsnetz erfolgt auch die Einbindung in internationale Computernetze.

Nach Angaben von Professor Dr. Adolf Schreiner, dem Direktor des Rechenzentrums der Universität Karlsruhe, besteht die Hauptrichtung des Odin-Projektes darin, das modelltechnische und algorithmische Know-how der Universität beim Einsatz von Vektorprozessoren in den Ingenieur- und Naturwissenschaften mit dem Vektorprozessor Know-how von Siemens zusammenzuführen. Dabei soll neben fachspezifischer Software auch eine anwendungsfreundliche Benutzerumgebung für Vektorrechner entwickelt werden. Schreiner: "Im Projekt wird sichergestellt, daß die entwickelte Software Forschungsstandard hat. Wo es sinnvoll erscheint, sollen aber durchaus auch marktgängige Produkte entstehen können. In allen Fällen ist das Entwicklungsziel eine auf Vektorrechnern lauffähige Software, die weltweit vermarktet werden kann."

Die fachspezifische Anwendersoftware für Vektorrechner wird in Zusammenarbeit zwischen den fachkompetenten Instituten und dem Rechenzentrum der Universität entwickelt. Sehr komplexe Problemstellungen, wie sie beispielsweise bei der Berechnung der Sicherheit einer Reaktorschale gegen Flugzeugabstürze auftreten, erfordern Programme, die in ihrer Datenstruktur und im Algorithmus optimal auf den Höchstleistungsrechner VP400-EX zugeschnitten sind. Hierzu werden die Spezialisten der Numerikforschung für Supercomputer des Rechenzentrums herangezogen.

Auch Wissenschaftler außerhalb der Universität Karlsruhe werden über die bestehenden Kommunikationsnetze in Problemlösungen für das Odin-Projekt einbezogen werden. Geplant ist auch, Fragestellungen aus der Wirtschaft im Odin-Rahmen zu verfolgen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projektes Odin wird die Entwicklung eines Anwendungspaketes für die Optimierung verschiedener Varianten des Fast Fourier Transform sein.

In der wissenschaftlichen Arbeit ist durch die Verfügbarkeit eines Höchstleistungsrechners bei vielen mathematischen Simulationen der Übergang von zweidimensionalen zu dreidimensionalen Modellen möglich. Die Ergebnisse solcher Experimente liegen so nahe an der Realität daß zukünftig oftmals teuere Experimente eingespart werden könnten.

Während die Ingenieure mit dem beschränkten Hauptspeicher der früheren Vektorrechner-Generationen nur zweidimensionale Modelle behandeln konnten, ist durch die von der VP400-EX repräsentierte neue Leistungsklasse auch die Berechnung dreidimensionaler Modelle mittlerer Komplexität möglich.