Unicode beseitigt Sprachbarrieren

06.04.2006
Von Otto Schell 
Wer länderübergreifend SAP-Lösungen einsetzt, sollte sich überlegen, auf Unicode umzustellen. Allerdings birgt der Schritt Risiken und muss daher gut vorbereitet werden.

Es ist ein paar Jahre her, da waren die meisten IT-Abteilungen damit beschäftigt, ihre Systemlandschaften "Jahr-2000-fähig" oder "Euro-kompatibel" zu machen. Der Vergleich mag hinken, aber prinzipiell kann die Umstellung auf "Mehrsprachigkeit" einer Systemlandschaft als technisches Projekt gesehen werden. Dennoch steckt mehr dahinter. Während bei den beiden vergangenen Vorhaben ein Stichtag im Vordergrund stand, eröffnet die Mehrsprachigkeit von SAP-Systemen die Möglichkeit, Anwender, Informationen und Geschäftsprozesse technik- und unternehmensübergreifend zusammenzuführen.

Umstellung in Schritten

Vorbereitung:

• Projektteam initialisieren und trainieren (unter anderem Unicode-Projektleiter, IT- und Business-Teammitglieder, Berater);

• Umfang des Projekts bestimmen;

• Daten-/Prozessanalyse;

• Terminplanung unter Berücksichtigung von Ausfallzeiten;

• Review seitens SAP Globalization Services.

Konvertierung:

• Testläufe im Sandbox-System vornehmen, um Laufzeiten abzustimmen;

• Verifizierung der Ergebnisse mit SAP Optimization Ser- vices und Vor-Ort-Integra- tions-Check;

• Automatisierte Umstellung.

Nach der Konvertierung:

• Verifizierung der Datenkonsistenz;

• Tests unter Berücksichtigung länderspezifischer Einstellungen.

Was ist Unicode?

Unicode ist ein internationaler Standard, der jedem Zeichen aus jeder Sprache eine eindeutige Zahl zuweist. Gegenwärtig sind im Unicode-Standard über 90 000 Zeichen definiert, und es gibt Raum für über eine Million weitere Zeichen.

SAP will mit Unicode die vollständige Internationalisierung der Software und eine bessere Integration von Mysap mit Internet-Techniken erreichen. In Unicode-SAP-Systemen können Zeichen aus praktisch jeder Sprache in der Datenbank abgelegt werden.

Bisher hatten international agierende Firmen Probleme damit, Daten aus unterschiedlichen Regionen der Erde zu verwalten, da nicht alle Zeichensätze, die eventuell für eine bestimmte Anwen- dung benötigt werden, parallel in einem Non-Unicode-SAP-System installiert sein können. So ist beispielsweise eine internationale Adressdatenbank mit Anschriften aus Japan, Korea, West- und Osteuropa in einem Non-Unicode-System nur mit erheblichem Mehraufwand pflegbar. Mit Unicode ist dieses Mehrsprachenproblem gelöst.

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Lesen Sie zum Thema Unicode-Migration auch den Beitrag auf Seite 28.

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Inkompatible Zeichensätze

Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle über Landesgrenzen hinweg verbessern wollten, mussten bisher aufgrund inkompatibler Zeichensätze in Kauf nehmen, dass Veränderungen am Template (unternehmensinterner Standardprozess) oder in der Datenstruktur erheblichen Programmieraufwand mit sich brachten. Durch Darstellung der Zeichen auf verschiedenen Sprachseiten und -tabellen (Single Code Page) war eine rasche Anpassung schwierig.

Um die gleichen Prozess- oder Datenstrukturen beispielsweise in Deutschland und Ungarn oder Polen abzubilden, wurden mindestens zwei Zeichensatzseiten benötigt. Hätte man ein weiteres Land hinzugefügt, wäre eine dritte hinzugekommen.

Sprachenübergreifend

Die Unicode-Technik erleichtert solches Vorgehen über verteilte Systemlandschaften, Länder und Sprachen hinweg - unabhängig davon, ob das Unternehmen Standardsoftware einsetzt oder nicht. Damit ist die Datenübertragung sowohl unter SAP-Systemen wie auch zwischen SAP- und Nicht-SAP-Systemen ohne Datenverlust oder -verfälschung möglich.

Innerhalb der SAP-Systemlandschaft wurde bisher der Datenaustausch mittels "Multi Display Multi Processing" (MDMP) realisiert. Seit R/3 4.6C gibt es die Unicode-Option, wobei auch ein gemeinsamer Betrieb von MDMP und Unicode-Umgebungen möglich ist. Die Administration gemischter Systeme birgt zwar noch Fehler, sie hat aber den Vorteil, dass der einzelne Anwender in der von ihm gewünschten Landessprache arbeiten kann.

In der Integrations- und Applikationsplattformen "Netweaver" lassen sich Ländereinstellungen einfach und ohne aufwändige Administration handhaben. Dies setzt allerdings Unicode-fähige Systeme voraus. Das führt dazu, dass Unternehmen künftig verstärkt auf Unicode umstellen werden. Die Dienstleistungen der SAP Globalization Services stellen dazu Werkzeuge bereit und unterstützen den Anwender. Hierzu gehören Unicode-Workshops und Trainings, Projekt-Reviews sowie spezielle Optimierungsdienste.

Analyse der Systemlandschaft

Eine Unicode-Umstellung bedarf eines Projekts. Das klingt trivial, betrachtet man aber die Auswirkungen dieses Schrittes für ein international agierendes Unternehmen, sollte man hier mit Sorgfalt und von zentraler Stelle unterstützt vorgehen. Dazu zählt, das nötige Know-how aufzubauen und Check- listen für die Migration zu erarbeiten. Gleiches gilt für externe Firmen, die die Systeme des Anwenders administrieren. Zu den Aufgaben des Projektteams gehört neben der System- und Datenanalyse, unternehmensspezifische Modifikationen der Business-Software zu berücksichtigen.

Bei der Konvertierung heterogener Systemlandschaften - das heißt, wenn neben der R/3 Add-on-Produkte eingesetzt werden, die zum Teil schon auf Unicode basieren - nimmt die Komplexität zu. Zudem besitzen Unternehmen nicht selten mehrere SAP-Installationen, die auf verschiedenen Release- oder Upgrade-Ständen basieren. Das Projekt lässt sich für alle SAP-Programme im Unternehmen in einem Schritt oder in Stufen realisieren. Die eigentliche Umstellung der Zeichensätze erfolgt Tool-gestützt und automatisiert, wobei das System in dieser Zeit nicht zur Verfügung steht. Das Projektteam sollte alles daran setzen, die Ausfallzeit möglichst kurz zu halten.

Die Umstellung einer SAP-Installation vollzieht sich in der Regel in mehreren Stufen über die Entwicklungssysteme bis hin zum Produktivsystem. Dazu werden unter anderem Kopien der produktiven Umgebungen erstellt, denn nur Testläufe mit vollständigen Datensätzen gewährleisten die nötigen Aussagen über die Qualität der Konvertierung beziehungsweise die nötigen Schlussfolgerungen über die Dauer der Umstellung. Im Anschluss sollten alle Tests, die im Vorfeld in Testsystemen erfolgt sind, auch im Produktivsystem ablaufen. Auf diese Weise lassen sich die Datenkonsistenz sowie die Länder- und Spracheinstellungen prüfen. Vielfach läuft die Unicode-Umstellung auch parallel zur Einführung neuer Geschäftsprozesse beziehungsweise zusätzlicher Module. Diese können dann ebenfalls getestet werden.

Orientierung für R/3-Nutzer

Doch die Umstellung auf Unicode ist keine nette Idee, sondern eine strategische Entscheidung, an der SAP-Anwender nicht vorbeikommen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Support für MDMP langfristig ausläuft. Unternehmen, die auf "Mysap ERP 2005" wechseln wollen, müssen sich daher schon jetzt damit befassen, wie sie ihre Systeme umstellen. Wer R/3 Enterprise (4.7) oder Mysap ERP 2004 nutzt, kann vor einem Upgrade auf das Release 2005 auf Unicode migrieren. Eine Unicode-Umstellung bietet zudem die Chance, unter Einbeziehung der Fachbereiche länderübergreifende Geschäftsprozesse effizienter zu machen.

Aufwand verringern

Für die Unternehmen heißt die Gretchenfrage, wie sie Aufwand und Risiken der Unicode-Einführung einschränken können. Noch gibt es keine Patentre- zepte, weil jede Organisation eine andere IT-Landschaften hat. Auch lässt sich der wirtschaftliche Nutzen der Umstellung zumindest bisher noch schwer vermitteln.

Nutzer von SAP-Programmen, die noch nicht umgestellt haben, werden über kurz oder lang nicht daran vorbeikommen. Generell lautet die Empfehlung aus der Praxis, dass die Anwender eher früher den Schritt gehen sollten. Dies gilt besonders, wenn Unternehmen im Zuge der Internationalisierung in vielen Ländern vertreten sind oder ihre Geschäftstätigkeit dahingehend ausdehnen. Denn je mehr länderspezifische Einstellungen bei einer Umstellung auf Unicode zu berücksichti- gen sind, desto komplexer wird sie. (fn)