Tools als Alibi

04.02.1983

Softwarehaus-Manager und DV/Org.-Chefs n propagieren den Einsatz von Entwurfswerkzeugen, Programmierer in den Shops der Anwender, je selbst Profis in den Weichware-Fabriken der DV-lndustrie verweigern hartnäckig die Gefolgschaft. So wird es gemeinhin dargestellt. Dokumentationsverhau und Normenstau komplettieren das Szenario. Man spricht in diesem Zusammenhang gern von einer Softwarekrise. Und so wird es von Zaungästen auch aufgefaßt. Man begnügt sich mit dieser Beschreibung, wie sollte es anders sein.

Brancheninsidern kann solche Verzeichnung schon gegen den Strich gehen. Denn das Bild E vom bockbeinigen Programmierer, der seine Suppe nicht essen will, stimmt hinten und vorne nicht. Tatsache ist nämlich, daß Programmier-Tools verkauft werden, auch Supertools wie PET, Delta oder Datamanager. Tatsache ist auch, daß viele Softwareentwickler durchaus bereit sind, derartige Automatisierungspakete einzusetzen, weil sie sich davon eine Erhöhung der Programmierproduktivität versprechen. In der Praxis zeigt sich dann leider oft, daß von den Vorzügen der hochgelobten Tools nicht viel übrigbleibt: Einzelne Funktionen sind nur schwach ausgebildet, andere fehlen gänzlich. Schon mancher Programmierer mußte die Erfahrung machen, daß er sehr bald die gewohnten Arbeitsmittel vermißte, wieder wie früher arbeiten wollte, um effektiver zu sein. Gedacht, getan. Und so vergammeln hochwertige Produkte in den Schubladen der Anwender, weil niemand mit den Tools arbeiten will.

Die DV-Abteilungen leiden darunter gleich doppelt: Zum einen sind Investitionsmittel, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten, in "scheintoten" Paketen gebunden, zum anderen verlieren viele Programmierer ihr Interesse an modernen Softwarewerkzeugen. Als lästig für den Leiter Programmierung kann sich auch die Erwartung der Endbenutzer erweisen, es ginge bei der Realisierung ihrer Anwendungen flotter voran, wenn in der Programmierabteilung mit Werkzeugen gearbeitet werde.

Vorübergehend können Tools, die zur Entlastung der Mannschaft angeschafft wurden, als Alibi für termingeplagte Programmierchefs dienen. Doch ihre Tarnfunktion erfüllen sie intern meist nicht lange. Dies nach draußen abzuschirmen, erfordert Cleverness und Fingerspitzengefühl. Denn die Anwender werden immer ungeduldiger. Was indes viel schlimmer ist: Viele Programmierer sind es mittlerweile leid, sich noch länger als kreative Chaoten abstempeln zu lassen, die die Methoden des Software-Engineering ablehnen. Kluge DV/Org.-Chefs sollten dazu stehen, daß es bei der Toolfrage nur vordergründig um Akzeptanz bei den Programmierern geht. Es geht vielmehr um Tool-Qualität und ein ausgewogenes Preis-/Leistungsverhältnis. Denn die Preise für Spitzenprodukte sind sündhaft. Außerdem fehlt noch jede Normungsbasis. Es gibt weder brauchbare Meßlatten noch anerkannte Einsatzrichtlinien. Jeder Softwareanbieter kocht sein eigenes Süppchen - Hauptsache, die Kasse stimmt.

Das kann nicht mehr lange gutgehen. Die große Mehrzahl der unabhängigen Softwareproduzenten hat erkannt, daß ein neuer Ansatz für das Software-Engineering gefunden werden muß. Hilfreich wäre es schon, wenn die Branchenleader ihre Vorstellungen über das "Wie" auf den Tisch legten, sind sie es doch allein, die die Problematik in ihrer vollen Tragweite überblicken können. Der Anwender kann in dieser Frage immer nur Zuhörer sein, dessen Geduld man freilich nicht über Gebühr strapazieren sollte. Bedauerlich wäre es, wenn das Gerede über die sogenannte Softwarekrise erst eine richtige Softwarekrise auslösen würde.