Gute Chancen fuer Computerfachleute

TK-Industrie: Viel Arbeit fuer wenige Mitarbeiter

23.02.1996

Grosse Hoffnungen stuetzen sich auf die Telekommunikationsindustrie, einer Wachstumsbranche mit, so die einhellige Expertenmeinung, Milliardenumsaetzen. Personal wird auch eingestellt - aber von den Hunderttausenden, gar Millionen Jobs, von denen Politiker traeumen, kann keine Rede sein. Die Telekom wird weiterhin Mitarbeiter entlassen muessen, und die Konkurrenzunternehmen sind Toechter riesiger Konzerne, die zum Teil von der Muttergesellschaft Personal rekrutieren. Gesucht werden entweder weniger qualifizierte Mitarbeiter fuer den Kundendienst, etwa in den sogenannten Call-Centern, oder Hochqualifizierte fuer den Netzaufbau und -betrieb oder das Marketing. Fuer Datenverarbeiter stellt die TK-Branche allerdings eine gute Alternative zum klassischen IT-Markt dar.

Ein ehemaliger Digital-Manager soll auf der Betriebsversammlung eines der neuen Telekommunikations-Unternehmen sinngemaess folgendes erzaehlt haben: Vor rund zehn Jahren sei sein Unternehmen auch dort gewesen, wo einige TK-Anbieter sich heute befaenden: gesund, dynamisch, attraktiv als Arbeitgeber, euphorische Stimmung, interessante Personalentwicklungs-Angebote etc. Es fehlte dann nicht die Warnung, dass es den neuen Konkurrenten der Telekom aehnlich ergehen koennte wie einigen Grossen der DV-Branche, so sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkennen und von der Woge der Begeisterung direkt in die Krise schlittern.

Sicher ist eines: In der Branche ist viel Bewegung, die Telekom- Konkurrenten suchen Mitarbeiter. Aber von uebereilten Einstellungen und wenigen geeigneten Kandidaten spricht kein Personaler. Experten wie Werner Schumacher, Leiter der Hauptabteilung Personalwirtschaft bei Mannesmann-Mobilfunk, zitierten gerne eine Studie des Bundesamtes fuer Post und Telekommunikation.

Die Bundesbehoerde stellte fuer 1995 einen Bestand von rund 350000 Beschaeftigten in der TK-Industrie fest und prognostiziert fuer die Jahrtausendwende etwa 300000 Mitarbeiter. Diese weniger optimistische Vorhersage haenge, so Schumachers Interpretation, sicherlich mit der starken Personalreduzierung bei der Telekom zusammen, die von 230000 auf 170000 Beschaeftigte abbauen will.

Auch wenn er in diesem Jahr bei Mannesmann Mobilfunk von 3100 auf 3800 Mitarbeiter aufstockt, sieht Schumacher dies "als Tropfen auf den heissen Stein". "Wie will die Bundesregierung die Arbeitslosigkeit um die Haelfte reduzieren?" fragt er sich. Der D2- Betreiber sucht in erster Linie Mitarbeiter fuer die Kundenbetreuung, "freundliche Geister am Telefon", wie er es nennt. Techniker sind bei ihm im Moment kaum gefragt "vielleicht zehn bis 20 in diesem Jahr". Die Systeme seien installiert und benoetigten nicht viel Wartung. Insgesamt daempft Schumacher die Hoffnungen derjenigen, die meinen, dass im Mobilfunk die Baeume in den Himmel wachsen. "Mehr als 15000 Beschaeftigte werden es auch bis zur Jahrtausendwende nicht sein", so seine Prognose. Schon jetzt sollen knapp ueber 10000 Menschen in dieser Branche arbeiten.

Weniger pessimistisch beurteilt Kerstin Koppenhagen die Perspektiven auf dem TK-Arbeitsmarkt. Die Beraterin des auf Telekommunikation spezialisierten Unternehmens Eutelis Consult GmbH in Ratingen rechnet damit, dass vor allem private Netzanbieter und Anwender Personal benoetigen. Sie sieht Mitarbeiterbedarf auf den Gebieten:

-Dienste- und Produktekonzeption,

-Netzaufbau und Vertrieb,

-Dienste- und Produkt-Marketing,

-Entwicklung sowie

-Marktforschung.

Recht gibt der Beraterin eine Stellenmarktauswertung des Hamburger EMC Medienservice. Danach erschienen 1995 in 34 ausgewerteten Zeitungen etwa 140 Prozent mehr Jobangebote in der TK-Industrie fuer DV-Spezialisten als im Jahr davor (siehe Grafik). Gesucht werden laut EMC-Untersuchung in erster Linie Systemingenieure und Kommunikationsfachleute.

Die Personaler der TK-Industrie profitieren unter anderem davon, dass genuegend DV-Profis auf dem Arbeitsmarkt zur Verfuegung stehen. "Es ist kein Geheimnis, dass der grosse Boom in der Computerindustrie vorbei ist", so Stefan Baustert, Vorstandsmitglied der Thyssen Telecom AG, verantwortlich fuer Personal, Controlling, Finanzen und Organisation.

Es gebe daher aus dieser Branche viele potentielle, fachlich hochqualifizierte Mitarbeiter, die sich auch in einem TK- Unternehmen "bestens aufgehoben fuehlen koennen". Zudem seien die Universitaets- und Fachhochschulabsolventen der Nachrichtentechnik und Elektrotechnik sowie der Informatik "in der Regel fachlich sehr gut ausgebildet". Sein Unternehmen habe "wenig Probleme, neue Mitarbeiter zu finden", die die gewuenschte Qualifikation mitbringen. Man konnte "recht zuegig", sowohl aus dem eigenen Konzern als auch vom Arbeitsmarkt Beschaeftigte rekrutieren.

Thyssen Telecom beschaeftigt zur Zeit 220 Mitarbeiter und will bis Ende des Jahres auf 350 aufstocken. In etwa der gleichen Groessenordnung bewegt sich die Kandidatenrekrutierung bei Viag Interkom. Die Muenchner beabsichtigen, in diesem Jahr noch rund 80 Personen einzustellen, um dann ebenfalls die Beschaeftigtenzahl von 350 zu erreichen.

Nachdem Personalleiter Guenther Christmann im letzten Jahr in erster Reihe Mitarbeiter fuer den Vertrieb und den Kundendienst gesucht hat, liegt der Schwerpunkt 1996 auf den beiden grossen Feldern Netzwerkplanung, Implementierung und Netzwerkbetrieb einerseits sowie Marketing andererseits.

Wie sein Kollege Baustert sieht der Viag-Manager wenig Schwierigkeiten, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Unabhaengig davon, ob es um die Einstellung von Betriebswirten oder Technikern geht, legt Christmann groessten Wert auf die Persoenlichkeit des Bewerbers. Er bevorzugt "lieber Juengere mit Persoenlichkeit als gestandene Profis". Die Organisation des Unternehmens sei staendigen Veraenderungen unterworfen, und dazu benoetige er Menschen, die flexibel und teamfaehig seien.

Unter den Bewerbern fuer die Technikerstellen auf den Gebieten Sprach- und Datenkommunikation befaenden sich viele Mitarbeiter von Herstellern - also sowohl von Telefonfirmen als auch von Hard- und Software-Anbietern. Diese Kandidaten schaue er sich genauer an, da sie teilweise von der Unternehmenskultur ihres Arbeitgebers sehr stark gepraegt sind. Christmann geht es darum, wie glaubwuerdig die Kandidaten den gewuenschten Wechsel begruenden koennen.

Sein Ziel sei, sich nicht nur am Produkte-, sondern auch am Arbeitsmarkt rechtzeitig "einen guten Ruf zu erarbeiten". Fuer ihn heisst die Devise, den kuenftigen Mitarbeitern "Freiraum, Entwicklungsmoeglichkeiten und Verantwortung" zu geben.

Auf die 5000 neuen Jobs angesprochen, die durch das Joint-venture seines Arbeitgebers gemeinsam mit RWE und British Telecom entstehen sollen, bezeichnete er diese Zahl "durchaus als realistisch". Allerdings treffen sich die Personalexperten der drei Unternehmen erst in den naechsten Wochen. Zunaechst muesse die Struktur der kuenftigen Organisation stehen.

Wenig Jobs sieht Mannesmann-Personalchef Schumacher dagegen bei den Online-Diensten entstehen. Er glaubt nicht, dass beispielsweise die beiden deutschen Verlage Bertelsmann und Burda mit jeweils mehr als 100 Beschaeftigten arbeiten werden. "Die muessen doch zuerst sehen, wie es laeuft", so der Duesseldorfer Manager. Die Bedienbarkeit der Systeme muesse einfacher und die Kosten niedriger werden: "Wer kann sich bei der hohen Arbeitslosigkeit Telefonrechnungen von ueber 200 Mark leisten?" Er bezweifelt, dass die Kunden alles bezahlen werden, was Anbieter auf den Markt werfen.

Steigen werden auf jeden Fall die Anforderungen an die Mitarbeiter. In den letzten Jahren, so die Erfahrung der Eutelis- Beraterin Koppenhagen, "entwickelten und produzierten die Ingenieure fuer Ingenieure". Kuenftig muessten sie sich aber auf den Endkunden konzentrieren. Der Trend werde "zu Ingenieuren mit betriebswirtschaftlichem Know-how, die Marktdaten verstehen und interpretieren koennen", gehen.

Neben dem Experten auf einem Gebiet werde aber auch der Generalist benoetigt, der in der Lage ist, sich einen Ueberblick ueber den Markt - seine Angebote, Anbieter, Nachfrager und Technologien - zu verschaffen und diese Informationen fuer sein Unternehmen nutzbar zu machen. Diese Experten muessen sich zusaetzlich im unuebersichtlich werdenden Dschungel der Angebote zurechtfinden und die fuer ihr Unternehmen optimalen und kostenguenstigsten - nicht billigsten - Loesungen konzipieren.