Telekom nimmt Zukunftsmaerkte ins Visier Der Weg vom Staatsbetrieb zum neuen Multimedia-Dienstleister CW-Bericht, Gerhard Holzwart

18.02.1994

FRANKFURT/M. - Aufbruch zu neuen Ufern lautet die Devise bei der Deutschen Bundespost Telekom. So laesst sich der strategische Massnahmenkatalog zusammenfassen, mit dessen Hilfe Telekom-Chef Helmut Ricke sein Unternehmen als zentrale Kommunikationsdrehscheibe im europaeischen Markt positionieren moechte. Bei seiner Flucht nach vorne in eine durch Datenautobahnen und Dienste wie Pay-TV gekennzeichnete multimediale Zukunft will sich das Bonner Staatsunternehmen so schnell wie moeglich zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb wandeln.

Die Telekom sieht sich in der Pflicht und auch in der Lage, ihren Beitrag als nationaler Carrier mit internationalen Ambitionen zum Standort Deutschland zu leisten. Dies war sinngemaess eine der Kernaussagen der Mannen um Helmut Ricke vor versammelter Journalistenschar beim 3. Internationalen Pressekolloquium der Telekom. Drei Kernbereichen soll besondere Aufmerksamkeit gelten: einer verstaerkt globalen Ausrichtung der Geschaeftsaktivitaeten, dem Aufbau einer leistungsfaehigen technischen Infrastruktur sowie dem Auftreten als Service-Provider kuenftiger Multimedia-Dienste sowohl im Geschaefts- als auch im Consumer-Bereich.

So sollen beispielsweise nach Angaben von Gerd Tenzer, fuer den Bereich Technik Netze zustaendiger Telekom-Vorstand, die Information-Highways der Zukunft die unterschiedlichsten TK- Dienste unabhaengig von ihrer Bandbreite integrieren. Ziel der Telekom sei dabei ein volldigitales, breitbandiges Transportnetz auf Glasfaser- beziehungsweise ATM-Basis. Mit dieser Initiative zur Sicherung des Standortes Deutschland ist man, so Tenzer, alles andere als im Hinterfreffen gegenueber dem, was der amerikanische Praesident Bill Clinton unter dem Motto einer "National Information Infrastructure" als Eckpfeiler einer neuen Technologiepolitik ausgewiesen hat.

Dies gelte fuer das vor kurzem in 20 europaeischen Laendern eingefuehrte Euro-ISDN ebenso wie fuer die Erprobung von ATM, die die Telekom demnaechst zusammen mit 16 anderen Netzbetreibern beginnen wird. Diese Uebertragungstechnik gilt weltweit als Grundlage kuenftiger Breitbandvermittlungssysteme. Darueber hinaus setzt sich die Telekom nach den Worten Tenzers auch fuer die Realisierung transeuropaeischer Netze ein, etwa das gemeinsam mit France Telecom, British Telecom und der spanischen Telefonica forcierte Global European Network (GEN), das 1995 von einem "Managed European Transmission Network" abgeloest werden soll.

Allerdings ist die Errichtung von Datenautobahnen nach Tenzers Einschaetzung keine rein nationale Aufgabe. Dies zeige nicht zuletzt das Ende vergangenen Jahres vorgelegte Weissbuch der EU- Kommission, wo unter anderem vorgeschlagen wird, bis 1999 rund 40 Milliarden Ecu in einen europaeischen Super-Highway zu investieren. Die in diversen Multimedia-Zukunftsszenarien gehandelten Anwendungen und Dienste bedeuten jedoch letztlich, so der Telekom- Verantwortliche, dass "Glasfaser bis zum Endkunden benoetigt wird". Hier wolle sein Unternehmen pragmatisch vorgehen und sukzessiv in den naechsten Jahren im Einzelfall pruefen, ob auch "im Ortsnetz Kupferkabel durch die Glasfasertechnologie substituiert werden koennen".

Schon jetzt hat die Telekom, wie Tenzer in einer vorlaeufigen Bilanz zeigte, rund 1,4 Millionen Kilometer Glasfaserstrecke im Regeleinsatz im Fern- und Orts- verbindungsnetz verlegt. Als weltweit erster Netzbetreiber habe der Carrier ferner im Herbst 1993 privat und geschaeftlich genutzte Teilnehmeranschluesse planmaessig mit Glasfaser ausgebaut.Bis 1996 sollen allein 1,2 Millionen Haushalte in den neuen Bundeslaendern einen serienmaessigen Glasfaseranschluss erhalten. Glasfaser bis zum Endkunden sei jedoch, so Tenzer, keine Weltanschaungs-, sondern eine Kalkulationsfrage. Wer, wie Tenzer auf die Multimedia-Euphorie in den USA anspielte, diese Ausstattung innerhalb von zehn Jahren flaechendeckend realisieren zu koennen glaubt, habe "von der Technik und den Marktrealitaeten keine Ahnung".

Eine Ahnung hat man nach eigener Einschaetzung bei der Telekom indes, was die zukuenftigen Wachstumsmaerkte betrifft. Jedenfalls ist fuer das demnaechst privatisierte Postunternehmen all das, was sich unter dem Schlagwort Multimedia zusammenfassen laesst, kuenftig wichtiger als das bis dato eindeutig im Vordergrund stehende Kerngeschaeft des Telefondienstes. Dabei wird sich, wie Dieter Gallist, fuer die Bereiche Marketing und Privatkunden zustaendiger Telekom-Vorstand, in einer Art Nabelschau durchblicken liess, kuenftig der Markt fuer die multimediale PC-basierte Individualkommunikation - sowohl im Geschaefts- als auch im Privatleben - zusammen mit dem Massenkommunikationsmittel Fernsehen "auf Basis einer einheitlichen technologischen Plattform bedienen lassen". Konsequenz fuer die Telekom: Der breite Multimedia-Markt hat fuer das Postunternehmen in Zukunft "essentielle Bedeutung".

Neben dem Geschaeft mit Datex-J, Video-Conferencing beziehungsweise digitalem Bildtelefon gilt dies insbesondere fuer die kuenftigen Pay-TV-Kunden, die Gallist zufolge momentan nur fuenf Prozent der etwa 20 Millionen Haushalte mit Kabelfernseh- beziehungsweise Satellitenempfang ausmachen. Um diesen Kundenkreis mit massgeschneiderten Angeboten ansprechen zu koennen, arbeitet die Ricke-Mannschaft derzeit an der Ausgliederung eines weiteren Tochterunternehmens; mit im Boot werden, wie Gallist bestaetigte, die bundesdeutschen Mediengiganten Bertelsmann sowie die Kirch- Gruppe und wahrscheinlich auch das ZDF sitzen.

Pay-TV wird dabei aber nur der erste Schritt der neuen Media Service GmbH in Richtung Multimedia-Markt sein. Bereits 1995 soll in Deutschland auch "Pay-per-View" angeboten werden, bei dem der Kunde nur noch die tatsaechliche Nutzungszeit bezahlen muss. Mit "interaktivem Fernsehen", das via einen Rueckkanal - zunaechst ueberwiegend ueber das herkoemmliche Telefonkabel - ab 1996 an den Start gehen soll, will die neue Telekom-Tochter ab 1997 mit Video on demand und diversen Dialogdiensten starten, die beispielsweise Tele-Einkaeufe ermoeglichen sollen.

Am vorlaeufigen Ende der Entwicklung soll ein Dienst namens "Teledialog" stehen, der Multimedia-Konferenzen, aber auch Videospiele mit mehreren Teilnehmern zulaesst. Gemessen an der derzeitigen Multimedia-Realitaet in deutschen Landen mit rund 18 000 registrierten Videokonferenzstunden im Jahr 1993 waere dies laut Gallist "ein Quantensprung". Dennoch oder gerade deswegen sei man bei der Telekom entschlossen, dieses Potential zu erschliessen und zu nutzen; nicht selbst als Programmanbieter, aber "als Dienstleister fuer Programmanbieter und deren Kunden".