Interview mit Heike Simmet, Hochschule Bremerhaven

Teilen und spielen

23.04.2013
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven, erklärt CW-Redakteur Joachim Hackmann, warum Teilen ein Megatrend ist. Und warum viele Unternehmen dessen Vorteile (noch) nicht nutzen.

CW: Was ist Shareconomy?

Simmet: In der Vergangenheit ließ sich alle zehn bis 15 Jahre eine grundlegende Neuentwicklung beobachten. Zurzeit wird der Begriff des Teilens betont, und Shareconomy ist dafür ein Sammelbegriff, der aber auch eine neue Form der Collaboration beschreibt. Shareconomy ist ein ernst zu nehmender Megatrend.

CW: Das Teilen von Ressourcen und Wissen ist eigentlich kein neues Thema. Warum rückt es gerade jetzt in den Vordergrund?

Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven
Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven
Foto: Heike Simmet

Simmet: Die technischen Möglichkeiten spielen dabei eine gewaltige Rolle. In den vergangenen Jahrzehnten war es sehr viel schwieriger, etwas zu teilen, weil man zunächst immer enorme Hemmschwellen und Hindernisse überwinden musste. Geändert hat sich auch der Umgang mit Informationen. Besonders in der Arbeitswelt wurden früher Informationen gebunkert, weil Hierarchien über den Zugriff auf Wissen funktionierten. Je ausgeprägter die Hoheit über Informationen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, die Karriereleiter zu erklimmen. Die junge, ins Berufsleben drängende Generation ist mit dem Internet und der Computertechnik aufgewachsen. Sie denkt anders, sie denkt per se in Richtung Teilen.

Heike Simmet

Heike Simmet lehrt Marketing, Social Media, Customer Care und Change-Management an der Hochschule Bremerhaven. Sie leitet zudem das Labor Marketing und Multimedia (MuM).

CW: Welche Beispiele für Techniken, die das Teilen vereinfachen, gibt es?

Simmet: Zunächst einmal hat die Verbreitung der sozialen Netze und sozialen Software wesentliche Grundlagen geschaffen. Bedeutenden Einfluss hat auch die Datenmenge, die heute frei verfügbar zur Verfügung steht. Damit wird das Teilen und Diskutieren zum Vergnügen. Es macht einfach mehr Spaß, Videos und Bilder auszutauschen und zu kommentieren.

CW: Kann sich innerhalb weniger Jahre ein kompletter Sinneswandel im Miteinander von Kollegen und Menschen einstellen?

Simmet: Natürlich nicht überall. Selbst Unternehmen, die das Thema vorantreiben, stoßen auf unglaubliche Widerstände, was die Nutzung und Akzeptanz von Social Media und Social Software betrifft.

Das Thema wird vor allem von der jungen Generation vorangetrieben. Sie fordert ein solches Arbeitsumfeld. Das erleben wir beispielsweise immer wieder in der Hochschule. Für die Studenten ist es völlig normal, Projekte über moderne Medien zu betreiben, ohne ein persönliches Wort miteinander auszutauschen. Sie verfolgen dabei einen eigenen Arbeitsstil. In vielen Unternehmen herrschen noch konservative Vorstellungen darüber, welche Informationen man veröffentlichen darf und welche nicht, was öffentlich bewertet werden darf und was nicht.

CW: Der Erfolg vieler Firmen basiert auf Fachwissen. Dringt Know-how nach außen, etwa zu Konkurrenten, ist das Geschäftsmodell perdu. Das sind ernst zu nehmende Einwände.

Simmet: Ja, aber die Unternehmensgrenzen weichen doch schon seit Jahren auf. In vielen Branchen sind strategische Netzwerke gang und gäbe. In der Automobilindustrie teilt man wie selbstverständlich Forschungsergebnisse - das sind Vorläufer der Shareconomy. Heute wird das Ganze mit den neuen technischen Möglichkeiten nur deutlich einfacher und schneller.

CW: Strategische Kooperationen haben eine begrenzte Dimension, wenn es um das Teilen von Wissen geht. Dafür gibt es auch Kontrollmechanismen.

Simmet: Shareconomy bedeutet nicht, sämtliches Know-how preiszugeben. Auch in sozialen Netzen werden Informationen gezielt und punktgenau geteilt. Wenn man Crowdsourcing-Plattformen einrichtet, um Kunden um Ideen für neue oder bessere Produkte zu bitten, kann natürlich jeder Konkurrent die öffentlichen Vorschläge einsehen. Er sieht aber nicht, wie das Unternehmen die Informationen be- und auswertet, welche Auswahlprozesse es entworfen hat, um die Vorschläge zu verarbeiten, und welche Ideen später realisiert werden.

CW: Wird das Geschäftsmodell des Crowdsourcings nicht überschätzt? Woher sollen genügend Experten mit ausreichend Zeit kommen, um ein solches Modell zum Erfolg zu führen?

Foto: tovovan, Shutterstock.com

Simmet: In Unternehmen laufen viele Pilotprojekte. Der Vorteil des Crowdsourcings ist, dass es viele recht gute Lösungen etwa aus dem SaaS-Umfeld gibt, um Projekte zu starten. Der Investitionsaufwand für den Aufbau von Crowdsourcing-Plattformen ist überschaubar. Sicher, in der Regel sind es noch Pilotprojekte. Viele zeigen aber, dass das Prinzip funktioniert.

Ein schönes Beispiel liefert Tchibo. Das Unternehmen hat ein Ideenportal aufgesetzt, wo Kunden Verbesserungsvorschläge einreichen konnten. Auch das ist nicht wirklich neu, es nannte sich früher das "betriebliche Vorschlagswesen". Dort konnten Mitarbeiter und Kunden ihre Ideen einbringen.

CW: Das "betriebliche Vorschlagswesen" klingt nicht sonderlich einladend.

Simmet: Nein, das war es auch nicht. Dahinter stand oft ein bürokratischer Vorgang mit überschaubarer Beteiligung. Heute stehen Lösungen zur Verfügung, die die Abläufe beschleunigen. Ganz entscheidend ist vor allem die Interaktion. Wer unmittelbar Feedback auf seinen Vorschlag bekommt, ist motiviert, sich weiter zu beteiligen. Plötzlich macht Mitmachen Spaß. Das Ganze hat einen spielerischen Charakter und nicht den bierernsten Hintergrund des betrieblichen Vorschlagswesens.

Auf die gleich Art und Weise funktioniert auch die Beteiligung im Unternehmen. Wenn die Mitarbeiter merken, dass ihre Meinung andere Kollegen interessiert, dass ihre Beiträge bewertet werden, dann macht der Gedankenaustausch Freude und verliert den Charakter von Arbeit. Der Informationsaustausch wird damit zum Selbstläufer. In solchen Umgebungen treffen zwei Megatrends aufeinander: Shareconomy und Gamification.

CW: Den Zusammenhang müssen Sie näher erläutern.

Simmet: Was motiviert Menschen, zu teilen? Sie tun dies vor allem dann, wenn sie die Aussicht haben, etwas zurückzubekommen. In der Shareconomy ist das in der Regel kein Geld, sondern Wertschätzung oder spielerischer Erfolg: Wer viele Beiträge schreibt bekommt ein Krönchen, einen besonderen Online-Status, oder er ist eine Runde weiter.

CW: Das ist doch der Traum eines jeden Arbeitgebers: dem Mitarbeiter statt einer Gehaltserhöhung ein Krönchen zu geben.

Simmet: Tatsächlich hat sich immer wieder gezeigt, dass Geld allein zur Motivation nicht ausreicht. Jeder, der online veröffentlicht und sich in sozialen Netzen bewegt, kennt das Gefühl, wie man sich über "Likes", Empfehlungen und Kommentare freut.

CW: Aber irgendwann wird es doch lächerlich, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeitern nur Online-Credits zugesteht.

Simmet: Das Fatale an dem System ist, dass es sich nach einer Weile abnutzt. Den eingerahmten "Mitarbeiter des Monats" in der McDonald-Filiale nimmt auch kaum noch jemand ernst. Irgendwann muss etwas Neues her. Im Moment dreht sich die Spirale aber ohnehin. Warum nicht teilnehmen?

CW: Teilnehmen kann nur, wer am PC arbeitet. Droht in produktionslastigen Unternehmen, wo Mitarbeiter nicht zwingend einen PC-Arbeitsplatz haben, eine soziale Spaltung?

Simmet: Die Grenzen zwischen Beruf und Alltag verschwinden ohnehin. Für nahezu alle Menschen ist der Umgang mit Internet-fähigen Geräten wie Smartphones und Tablets heute selbstverständlich. Die meisten kommen ohne einen ständigen Zugang zum Internet nicht mehr aus.

CW: Raten Sie Unternehmen zu einem "Shareconomy-Manager", um die Vielzahl der Kanäle zu bedienen und die Datenflut zu verwerten?

Foto: alphaspirit, Fotolia.com

Simmet: In letzter Konsequenz ist ein solcher Manager überflüssig, zumindest was die Interaktion betrifft. Das System aus Informationen, Feedback und Bewertungen aus der Crowd speist sich idealerweise selbst. Mit einem Shareconomy-Manager würde man wieder hierarchische Strukturen einziehen.

CW: Die erfolgreichen Beispiele für Crowdsourcing stammen meist aus dem Privatkundengeschäft. Sind derartige Ansätze auch im B2B-Umfeld denkbar?

Simmet: Der Austausch in reinen B2BCommunities ist heute noch begrenzt. Das liegt daran, dass die Geschäftswelt noch von Generationen geprägt wird, die sich öffentlich über soziale Netze nur zögerlich austauschen. Das wird sich durch die nachwachsenden Generationen ändern.

CW: Also ist es keine Frage des Inhalts oder der Masse, sondern der Einstellung?

Simmet: Häufig ja, obwohl Netzwerke im B2B-Umfeld eigentlich eine lange Tradition haben. Die Logistikbranche ist beispielsweise sehr konservativ, sehr netzwerkerfahren und wenig Social-Media-affin. Die Unternehmen dort haben seit Langem erkannt, dass sie durch unternehmensübergreifende Kooperationen enorme Vorteile gewinnen. Der Netzwerkgedanke ist ihnen demnach vertraut. Die modernen sozialen Netze scheuen sie aber noch aus Unkenntnis.

CW: Ist Shareconomy nicht lediglich die konsequente Fortführung der Arbeitsteilung?

Simmet: Im Grunde ja. Es geht um die synergetische Nutzung von Wissen und Ressourcen, die sonst brachliegen würden. Da gibt es ein unglaubliches Potenzial. Der Trend zum Teilen wird sich definitiv verstärken. Wir stehen am Anfang einer Entwicklung, die in Shareconomy, Crowdsourcing und Open Innovations wurzelt. (mhr)