Teamdienlich zu sein, steht in Konkurrenz zum Ego Groupware im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz Von Joachim Hoeder*

24.09.1993

Groupwareprodukte und Vorgangsbearbeitungssysteme beginnen die Kommunikation in Betrieben und Verwaltungen zu veraendern und ein ungeahntes Optimierungspotential auszuschoepfen. Wie wirken diese Systeme auf die Mitarbeiter? Werden sie als Individuen unterstuetzt? Ergeben sich objektive Nachteile oder zumindest Vorurteile von gewissen Benutzergruppen?

Natuerliches Kommunikationsverhalten wird durch neue Anwendungen in bestimmter Weise strukturiert. Nicht fuer jeden Anwender ist das angenehm. Dieser Artikel will potentielle Probleme und moegliche Vorurteile sowie Befuerchtungen aufzeigen, die bei der Einfuehrung solcher Systeme auftreten koennen.

Mit Hilfe der Vorgangsbearbeitung lassen sich formalisierbare Bearbeitungsprozesse zum Beispiel von Antraegen transparenter gestalten und zum Teil wesentlich schneller abwickeln. Sie werden steuerbar - ein Segen auch fuer den Kunden, der ausser kuerzeren Bearbeitungszeiten auch schnelle Statusmeldungen erhalten kann. Eine bessere Steuerung von fliessbandaehnlichen Bearbeitungsprozessen impliziert die genauere Messbarkeit der Prozessparameter.

Gerechte Konsequenz des Leistungsprinzips

Was fuer die Fertigungsindustrie seit Taylor und Ford zu Akkord und Fliessband fuehrte, wird fuer typische Massenvorgaenge im Verwaltungsbereich ebenfalls moeglich. Die Messbarkeit der Einzelleistung durch die IT-gestuetzten Tools erlaubt dies. Nicht, dass dies nicht auch schon ohne IT moeglich gewesen waere, doch die hohe Transparenz aller Prozessparameter ermoeglicht mitarbeiterbezogene, leichter ermittelbare und objektivere Daten.

Ist also Fliessbandarbeit am Bildschirm, Antragsbearbeitung im Akkord, eine gerechte Konsequenz des Leistungsprinzips in einer am Markt orientierten Gesellschaft oder Horrorvision der Sachbearbeiter?

Die Teamunterstuetzung steht im Vordergrund

Die Fliessbandarbeit brachte voellig neue Erfahrungen fuer die betroffenen Menschen mit sich. Doch im Laufe der Zeit wurden die Vorteile durch manche Nachteile ueberschattet, was zur Abkehr von dieser Art der Arbeit fuehrte. Arbeitspsychologen fanden heraus, dass die Nachteile hauptsaechlich im Wegfall von persoenlichen Freiraeumen und Kommunikationsarmut unter den Mitarbeitern ihren Ursprung haben, da das System das Individuum voellig im Griff hat. Der menschlichen Natur entspricht diese Entindividualisierung offenbar nicht, was unter anderen auch zu seelischen Problemen fuehrt. Langfristig gesehen brachte die Perfektionierung der Fliessbandfertigung nicht ueberall den gewuenschten Erfolg, weil sie sich eben zu wenig an den Beduerfnissen der Menschen orientiert, die als Produk-tionsfaktor nicht unabhaengig von den Umgebungsbedingungen "funktionieren". Der Vorgangsbearbeitung stehen aehnliche Moeglichkeiten offen, indes mit dem Vorteil, die Erfahrungen vieler Jahre Taylorismus nutzen zu koennen.

Von daher gilt es bei der Planung solcher Systeme nicht nur datenschutzrechtliche Aspekte, wie bei der Ermittlung personenbezogener Prozessparameter, zu beachten, sondern auch die Vertraeglichkeit dieser Arbeitsumgebungen fuer den Menschen allgemeiner zu untersuchen, um die moeglicherweise schaedlichen Faktoren, die aus den industriellen Prozessen bekannt sind, nicht IT-gestuetzt nachzubilden.

Groupwareprodukte, die Projektmitarbeiter und Entwicklungsteams unterstuetzen, haben eine ganz andere Aufgabe als Vorgangsbearbeitungssysteme und unterstuetzen eine andere Art der Kommunikation. Sie sind eine ideale Hilfe, besonders fuer oertlich verteilte Teams zum Beispiel im Vertrieb oder in der Entwicklung.

Der einfache Zugang zu gemeinsamen Informationen, die direkte Verwendung von Ergebnissen einzelner Teammitglieder durch andere, erlauben schnelle und effizientere Projektabwicklung. Die Unterstuetzung des Teams steht im Vordergrund von Groupwareprodukten. Das Individuum als Teammitglied ist eng eingebunden in das Team und angebunden an das Tool.

Die Teammitglieder "muessen wollen"

Es gibt beim Einsatz von Groupware, im Gegensatz zur organgsbearbeitung, wohl kaum potentielle objektive Probleme fuer die Mitarbeiter, wohl aber moegliche Vorurteile aus verschiedenen Motiven. Ihnen sollte begegnet werden, will man diese Tools optimal einsetzen.

Die Probleme bei der Teamarbeit, die einzelne Teammitglieder miteinander bekommen koennen, sind so alt wie die Teamarbeit selbst und liegen vornehmlich im zwischenmenschlichen Bereich, sprich in der Verschiedenheit der Individuen und den daraus resultierenden Reibungsflaechen.

Nun weiss jeder, der Projektteams leitet, dass teamdienliches Arbeiten zwar angestrebt und den Mitarbeitern immer wieder als wichtiges Gut vermittelt wird. Doch die Realitaet sieht anders aus. Teamarbeit setzt voraus, dass die Mitglieder teamdienlich arbeiten wollen. Dies ist nur sehr bedingt der Fall.

Grundsaetzlicher Konflikt zwischen Ego und Gruppe

Die Motivation, aus der wir Menschen unsere Antriebsenergie fuer die Arbeit nehmen, ist unterschiedlich. Die einen sind nur oder eher ueber das Ego zu motivieren, andere auch oder eher durch den Erfolg einer uebergeordneten Einheit (das Team, die Firma etc.) mit der sie sich identifizieren. Nun ist es einmal so, dass die Motivation ueber das Ego im Mittel viel staerker ist, als die Motivation durch ueberpersoenliche Dinge.

Das Hemd ist naeher als die Jacke, so drueckt es eine Binsenweisheit deutlich aus. Umsatz- oder profitabhaengige Gehaelter auch in Unternehmen mit "hoher Kultur" zeigen, auf welche Art der Motivation im Zweifesfall von Seiten der Unternehmensleitungen gesetzt wird. Teamdienlich zu sein, steht also immer in Konkurrenz zum Ego, ein Kommunikationstool, das teamdienliche Kommunikation unterstuetzt, damit grundsaetzlich auch.

Um typische Teamkonflikte beziehungsweise Motivationshemmnisse, die gerade bei Entwicklungsteams moeglich sind, deutlich machen zu koennen, wird von unterschiedlichen Charaktertypen ausgegangen:

- Der "kreative Egoist", der ideenreich einen wichtigen Beitrag fuer das Gruppenergebnis liefert und befuerchtet, dass sein Beitrag nicht genuegend seiner Person zugute kommt und in dem "Gruppentopf" untergeht.

- Der "Freiheitsliebende" oder auch "kreative Chaot" ob eher teamorientiert oder egomotiviert, der durch den "Zwang", seine Ergebnisse ueber ein Tool einer Gruppe zuzufuehren, sich in der Ausuebung seines persoenlichen Arbeitsstils behindert fuehlt, obwohl er grundsaetzlich keine Probleme damit hat, dass er mit seiner Kreativitaet eine Gruppe foerdert.

- Der "Schmarotzer", von dem die anderen Teammitglieder befuerchten, dass er die erhoehte Transparenz der Information nutzt, um seine Leistung uebergebuehrlich darzustellen, da er die Informationen erst einmal fuer seine persoenlichen Zwecke zu nutzen versucht.

In jedem Menschen sind die verschiedenen Typen, in ihrer Verteilung unterschiedlich gewichtet, angelegt. Dort, wo die Konzentration auf einen Typ besonders stark ist, ist auch die Gefahr von Vorurteilen gegen vermeindlich "gleichmachende" Groupwaretools in der Entwicklung moeglich.

Es ist der grundsaetzliche Konflikt zwischen Ego und Gruppe, in dem gruppenunterstuetzende Mittel immer Gefahr laufen, vor den Karren der Egoisten gespannt zu werden. Die Altruisten, die nicht auf der Hut sind, waren schon immer, wenn auch ohne ihre Absicht, die Wegbereiter der Egoisten.

Dies gilt fuer Arbeitsteams im Kleinen, wie auch fuer Unternehmen im Grossen. Die Konzentration von Fuehrungskraeften, die dem dienenden Ideal fuer Unternehmen und Mitarbeiter ueberhaupt nicht entsprechen, ist unabhaengig vom kulturellen Anspruch eines Unternehmens sehr hoch. Gerade die DV-Branche versucht dieses Ideal neuer Unternehmenskulturen besonders deutlich umzusetzen, weil gerade sie, mit dem hohen Anteil von Teamarbeit, auch einen besonderen Nutzen aus ent- wickelteren - im Sinne geringererEgomotivation - Mitarbeitern zieht.

Es ist eine besondere Herausforderung fuer die Fuehrungskraefte, moeglichen Vorurteilen gegen gruppenunterstuetzende Hilfsmittel effektiv zu begegnen. Dem Egomotivierten zu verstehen zu geben, dass seine Leistung gesehen wird und nicht untergeht, ebenso wie dem Freiheitsliebenden, den es zur Disziplin zu motivieren gilt.

Die beste Motivation fuer das Team ist immer noch das Vorleben von dienendem Verhalten in Fuehrungspositionen, mit dem sich viele Fuehrungskraefte allerdings nicht leicht tun. Hier liegt die eigentliche Limitation, unter der die Glaubwuerdigkeit von Managern Politikern gleichermassen leidet.

Es wird eben von der Basis erkannt, ob man die Dinge lebt, die man von anderen erwartet, oder nicht. Entsprechend ist die Wirkung. Gruppenunterstuetzende Mittel beduerfen einer besonderen Sensibilitaet, um sie optimal zum Einsatz zu bringen. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter und besonders die Fuehrungskraefte nach solchen Faehigkeiten selektiert und durch Schulung den Spielraum der charakterlichen Flexibilitaet zu Gunsten der reiferen Anlagen nutzt, wird erfolgreicher sein und erfolgreicher gruppenunterstuetzende Hilfsmittel einsetzen. Denn persoenliche Reife ist hierbei der wesentliche Erfolgsfaktor.

"Mobbing" in den Unternehmen

Wie eingangs schon erwaehnt, sind diese Zusammenhaenge unabhaengig von den IT-unterstuetzten Tools gueltig, aber auch das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation wird durch diese Tools besser sichtbar und damit schaerfer in seiner Auspraegung.

In der Rezession, also in einer Zeit, in der sich haeufig Ellenbogenmentalitaet breit macht, sich also arbeitsklimazersetzendes Verhalten - Stichwort "Mobbing" - in den Firmen etabliert, ist es allerdings fraglich, ob Managementschulung mit dem Ziel hoeherer Sensibilisierung fuer psychologische Zusammenhaenge und die Optimierung von Gruppenprozessen eine Chance haben wird.

An der DV-Schulung wird ueberproportional gespart

Dass sich die Investition in die Qualifizierung wirtschaftlich allemal lohnt, steht ausser Frage und wird durch etliche Untersuchungen bestaetigt. Trotzdem wird an der Schulung im DV- Bereich ueberproportional gespart. Die Pleiten von Unternehmen, die vornehmlich DV-Schulung betreiben, belegen dies leider eindrucksvoll, und das in Deutschland, einem Land, das vornehmlich von seinem technologischen Vorsprung lebt. Wo liegt hier die Logik?

Aber denken wir an die vielen Egoisten in den Chefetagen, denen es einerlei ist, ob die Teams weit unter ihnen mit mehr oder weniger Wirkungsgrad arbeiten. Die Streichung von Qualifizierungsmassnahmen laesst sie Macht demonstrieren und vermeintliches Einsparungspotential kurzfristig ausschoepfen. Obwohl dies oft nicht einmal den kurz- bis mittelfristigen Interessen des Unternehmens dient.

Blockierende Egos sollen geoutet werden

Aber der Egoist, auch der im Management, ist nun einmal nicht so sehr daran interessiert, was fuer die Firma gut ist, sondern erst einmal daran, was fuers eigene Profil als Kostensparer in schwerer Zeit sich kurzfristig gut ausschlachten laesst.

Also lasst uns auf bessere Zeiten warten, bis sich vernuenftige Entscheidungen wieder faellen lassen, um auch Groupware noch optimaler einzusetzen oder "outen" wir alle Egos, die sich anschicken, in unserer immer komplexer werdenden IT-Welt, Qualifizierungen zu blockieren.

Diese Art Konfrontation koennte ausnahmsweise Wegbereiter einer besseren Kooperation werden.