Anwender haben sich offenbar von der dritten Generation noch nicht gelöst:

Täglicher DV-Trott hemmt den Blick nach vorn

23.08.1985

MÜNCHEN (CW) - Um die Produktivität der Programmentwicklung zu steigern, gilt die Software der vierten Generation als "Zauberformel" schlechthin. Doch das Gros der Anwender ist offensichtlich noch weit davon entfernt neue Methoden, Verfahren und Werkzeuge in ihren DV-Hallen zu dulden (siehe Grafiken). COMPUTERWOCHE veröffentlicht auszugsweise die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu "Stand und Entwicklungstendenzen des Einsatzes von Programmiersprachen, -methoden und -systemen in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis", die Professor Dietrich Seibt und Klaus Wirtz von der Universität Essen durchführten.

Global betrachtet gibt es wohl vier wesentliche Unterschiede zwischen neueren und den bisher verfügbaren Unterstützungssystemen der vierten Generation, die beachtet werden müssen:

- Die Unterstützungswirkungen, der neuen Systeme sind umfassender, das heißt, sie reichen tief in das Vorfeld der Systementwicklung hinein. Unterstützt wird der Prozeß der Definition von Anforderungen (requirements) an das zu entwickelnde Software-System, zumindest der systemtechnischen Anforderungen, die unmittelbar zum Entwurf der Programme notwendig sind. Man spricht in diesem Zusammenhang mit Recht von Software-Engineering-Environment-Systemen (SEES).

- Der gesamte Prozeß der Systementwicklung, des Systemeinsatzes und der Systemwartung wird bis hinunter auf die Ebene der Teilaktivitäten und Zwischenprodukte formalisiert und standardisiert. Auf diese Weise wird die Basis für eine erheblich präzisere Steuerung und Kontrolle (Management) dieses Prozesses geschaffen.

- Die Gesamtzahl der als Bestandteile der "neuen" Systeme verfügbaren software-technologischen Werkzeuge ist größer als die Anzahl der Werkzeuge in den alten" Systemen. Höher ist auch der Integrationsgrad beziehungsweise die Kompatibilität zwischen den Werkzeugen, was zu verbesserter Wirksamkeit des Gesamtsystems führen dürfte.

- Die meisten neuen Systeme enthalten in ihrem Zentrum ein Data-Dictionary-System (DDS), durch das im Prinzip alle Arten der Behandlung von Daten über die in Entwicklung Einsatz und Wartung befindlichen Anwendungssysteme auf eine einheitliche Basis gestellt und umfassend unterstützt werden.

Neuere Systeme bauen auf Erfahrungen mit den bisherigen softwaretechnologischen Unterstützungssystemen auf und verwenden viele Bestandteile der bisherigen Systeme. Basis ist häufig ein erprobtes Projektphasenschema, das alle Entwicklungs-, Betriebs- und Wartungsphasen des System-Lebenszyklus umfaßt. Das Phasenschema wird meist ergänzt und konkretisiert durch ein detailliertes Projektmodell (mit systematisch abgegrenzten und präzise definierten Aktivitäten und Teilprodukten je Projektphase), welches unter anderem als "Steuerleiste" zur Projektführung dient.

Zur Unterstützung werden aufeinander abgestimmte software-technologische Werkzeuge angeboten. Der "Werkzeugkasten" enthält sowohl generell einsetzbare als auch phasenspezifische Tools, die mit ausgewählten Strukturierungsprinzipien und -methoden (funktionsorientiert und datenstrukturorientiert) verträglich sind. Beispiele für solche Werkzeuge sind verschiedene Programmiersprachen, unter Umständen eine eigene benutzerfreundliche Anwendungsdefinitionssprache, Generatoren, Post- und Pre-Prozessoren, "Syntax-Checkers" und spezielle Testhilfen sowie Werkzeuge zur automatischen Berechtigungsprüfung, zur Verifizierung/Validierung von Daten und zur automatischen Bildschirmführung.

Im Zentrum steht häufig ein Data-Dictionary-System und eine Methoden-(Werkzeug-)Bank, durch die Auswahl der jeweils benötigten Komponenten unterstützt und ihre Integration gesteuert wird.

Durch ein ausgereiftes Bibliothekskonzept, das auf mehreren Ebenen unterschiedliche Zwecke und Adressaten berücksichtigt, werden alle Zwischen- und Endprodukte der Systementwicklung für die jeweils Verantwortlichen jederzeit zugänglich gemacht.

Einige Systeme bieten interaktive Produktionsüberwachungs- und -steuerungsinstrumente, durch die besonders die Aktivitäten des Entwicklungs-Managements unterstützt werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, autonome Kleinrechner als Träger zu nutzen, wodurch die Anwendungsentwicklung einen hohen Grad von Unabhängigkeit und Flexibilität gewinnt.

Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz von Systemen der vierten Generation

- Transparenz verschaffen über die funktionalen Fähigkeiten und über die Grenzen des neuen Systems

- Funktionen-/Leistungs-Überblick

- Restriktionenliste

- Kosten-Überblick (Personal, Hardware, Software)

- Terminologische Vereinheitlichung

- Standardisierung der Vorgehensweisen in allen Phasen des System-Lebenszyklus

- Schaffung der Hardware- und Betriebs-System-Voraussetzungen

- Schaffung der Voraussetzungen für eine einheitliche Datenbasis für die Systementwicklung

- Organisatorische Voraussetzungen

- Auswahl und Motivierung der zukünftigen Erstbenutzer

- Aufstellung eines Schulungsplans

- Planung und Durchführung einer bewußten Pilot-Erprobungsphase mit konsequenter Kontrolle der Zielerreichung

- Aufstellung eines Plans zur Anpassung/Modifikation bestimmter Komponenten des software-technologischen Unterstützungssystems zur Berücksichtigung bestimmter betriebsindividueller Besonderheiten

- Planung und Durchführung der schrittweisen Voll-lmplementierung

- Formale Veränderung von Ablaufstrukturen und Kompetenzen auf seiten der Programmierung der Organisation und der Benutzer

- Aufstellung eines Plans zur schrittweisen Umstellung bestehender, in Wartung befindlicher Anwendungssysteme

- Installierung eines umfassenden Controlling der Entwicklung/Wartung

* Entnommen aus dem Arbeitsbericht der Universität Essen zu "Stand und Entwicklungstendenzen von Programmiersprachen, -methoden und -systemen in der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis".