Steuerrad für das Alignment-Schiff

08.02.2007
Ein Programm-Office hilft, geplante Projekte an der Unternehmensstrategie auszurichten und Prioritäten zu setzen. Wie das gehen soll und was dazu nötig ist, erläuterte eine Arbeitsgruppe des CIO-Circle.
Das Programm-Office dient als Entscheidungsgremium. Das Projektbüro bereitet die Entscheidungen vor.
Das Programm-Office dient als Entscheidungsgremium. Das Projektbüro bereitet die Entscheidungen vor.

Ganz oben auf der Prioritätenliste der IT-Verantwortlichen stehen manche Themen, auf die Außenstehende nicht von allein kämen. Dazu gehört das Programm-Office; als die Mitglieder der Anwendervereinigung CIO-Circle (www.cio-circle.org) im vergangenen Jahr ihre bevorzugten Workshop-Themen wählten, rangierte es unter den ersten drei. Gegen Ende des Jahres fanden sich die interessierten CIOs zusammen, um zu diskutieren, welche Aufgaben das Progrnamm-Office erfüllen kann, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wie sich dieses Ziel erreichen lässt.

Was ist ein Programm-Office?

Der CIO-Circle-Workshop definierte den Begriff folgendermaßen:

• Das Programm-Office plant, priorisiert, entscheidet, beauftragt, steuert und überwacht Projekte, die zum einen innovative, geschäftliche oder gesetzliche Ziele verfolgen und sich zum anderen in einem mittelfristigen, interdisziplinären, geschäftsübergreifenden "Programm" zusamenfassen lassen.

• Es unterstützt alle Unternehmensteile und Fachbereiche bei der Umsetzung von Projekten, indem es Methodenkompetenz bereitstellt. Je nach Bedarf leitet es diese Projekte auch.

• Dabei trifft es häufig Entscheidungen, die ansonsten von der Unternehmensleitung verantwortet würden; in jedem Fall bestimmt es die Entscheidungs- und Eskalationswege.

Best Practice: Der Projektsteckbrief

Aus Sicht der Workshop-Teilnehmer hat es sich bewährt, jeden Projektantrag mit einem "Steckbrief" zu versehen. Er sollte maximal zwei Seiten umfassen und mindestens folgende Informationen enthalten:

• Aufftraggeber,

• Problemstellung, Zielsetzung und Aufgaben,

• Projektleiter,

• Start- und Endtermin,

• Kriterien zur Priorisierung und

• eine Beschreibung des beabsichtigten Nutzens.

Fragen für die Projektpriorisierung

• Welche Bedeutung hat das Projekt für die Prozesse?

• Was passiert, wenn es nicht gemacht wird?

• Welchen Kapitalwert symbolisiert es?

• Wie wirkt es sich auf die Zufriedenheit der externen Kunden aus?

• Inwieweit verbessert es die Entscheidungsgrundlage in den Prozessen und Geschäftsbereichen?

• Welchen Beitrag leistet es zur Unternehmens- oder Bereichsstrategie?

Alle Antworten müssen sich quantifizieren lassen (zum Beispiel auf einer Skala von 1 bis 6 oder als Barwert).

Mit knappen Ressourcen arbeiten

Die Ausgangssituation ist fast überall dieselbe: Hohen Ansprüchen der Fachabteilungen stehen beschränkte IT-Ressourcen gegenüber. Daraus folgt eine erbitterte Konkurrenz der Abteilungsleiter um die Durchsetzung ihrer Lieblingsprojekte. Das Interesse des Gesamtunternehmens bleibt dabei schon mal auf der Strecke.

Genau diesen Effekt soll ein Programm-Office vermeiden helfen. Aus Sicht der Workshop-Teilnehmer soll es:

• eine einheitliche Methodik in der Auswahl und Abwicklung von Projekten schaffen,

• auf diese Weise den Einfluss lokaler Fürstentümer eindämmen,

• die Auswirkungen von Projekten im größeren Zusammenhang transparent machen,

• die den Projekten innewohnenden Risiken aufdecken und managen,

• Templates und Master-Frameworks für Projekte und Programme schaffen,

• die Entwicklung selbst effizienter und effektiver machen,

• Doppelentwicklungen vermeiden,

• Änderungsanforderungen verwalten und

• durch Standards den Austausch von Personal zwischen den Projekten vereinfachen.

"Im Großen und Ganzen geht es darum, die Projekte an der Unternehmensstrategie auszurichten und die richtigen Prioritäten zu setzen", fasst Werner Scherer zusammen. Als CIO des inhabergeführten Mittelständlers Döhler Group mit Sitz in Darmstadt hat er es weniger mit konkurrierenden Abteilungsfürsten zu tun als mit einem starken Unternehmenschef: "Unser Programm-Office war früher der Inhaber. Aber er hat erkannt, dass man ein stetig wachsendes Unternehmen auf die herkömmliche Art nicht mehr steuern kann."

Software-Tools können beim Programm-Management helfen - vor allem in größeren Unternehmen mit verzweigten Strukturen. Gute Erfahrungen mit "Change Point" von Compuware hat Michael Müller-Wünsch gemacht. Der Director ICS, Corporate Sustainability, Security and Fraud bei Ceva Logistics (früher TNT Logistics) in Wolfsburg nutzt das Softwareprodukt für das Multi-Projekt-Management und die Budgetüberwachung, "um einen zentralen Überblick über unsere föderative Struktur zu behalten", wie er es formuliert. Aber auch er betont, dass es im Grunde kein Standardwerkzeug gebe, das die entscheidenden Themen des Programm-Office - "Transparenz und Effizienz sowie Risiko-, Portfolio- und Projekt-Management" - vollständig abdecke.

Funktion oder Institution?

Programm-Office ist eine klassische Management-Aufgabe, die auch mit Management-Methoden gelöst werden müsse, bestätigt Falk Janotta. Der ehemalige CIO und heutige IT-Interims-Manager mit Büro in Wilhelmshaven fungierte als Moderator des CIO-Circle-Workshops. Die Teilnehmer des Arbeitskreises kamen aus den unterschiedlichsten Unternehmen. Zu ihnen zählte auch Torsten Niemietz, CIO der Nordzucker AG, Braunschweig: "Ich war dabei, weil ich wissen wollte, ob sich das Programm-Office, das ich von meinem vorherigen Arbeitgeber Kellogg’s kannte, auf Nordzucker übertragen ließe", berichtet er, "und dabei habe ich festgestellt, dass bei uns das Entscheidungsgremium die Vorstandssitzung ist". Daneben gebe es Lenkungsausschüsse, die wie ein Programm-Office funktionierten: "Das heißt, wir haben diese Funktion, aber sie ist bei uns noch nicht im eigentlichen Sinn institutionalisiert."

Auch bei Döhler ist das Programm-Office eine Funktion, keine Institution. "Um dafür jemanden freizustellen, sind wir zu klein", sagt Scherer. Die "großen" Entscheidungen würden ohnehin vom Board oder vom Inhaber getroffen, "aber das Programm-Office bereitet diese Entscheidung mundgerecht vor". Wie das funktioniert, skizziert er folgendermaßen: Im Programm-Office benennen die Prozess-Manager ihre Anforderungen - mit dem Ziel, den größtmöglichen Business-Nutzen zu erzielen. Dem werden die Aufwandsschätzungen gegenübergestellt. Am Ende ergibt sich daraus das Projektbudget.

Kein Nutzen, kein Projekt

"In unserer Firmenkultur gibt es nicht von vornherein ein festes Budget", erläutert der CIO, "wir fragen erst einmal, was wir im kommenden Jahr erreichen wollen, und daraus entsteht dann das Budget." Selbstverständlich stelle er ab und an auch mal den Vergleich zum Vorjahr her, aber der spiele eine untergeordnete Rolle: "Wir sind nicht budget-, sondern nutzengesteuert." Auch bei Ceva Logistics und Nordzucker ist das Budget quasi das Ergebnis des Planungsprozesses.

Was hier so harmlos klingt, ist in vielen Unternehmen ein Hauen und Stechen. Schließlich hat das Programm-Office auch die Pflicht, Projekte abzulehnen, wenn sie redundant erscheinen und der erwartete Nutzen nicht dem errechneten Aufwand entspricht. "Ob die aus den Fachbereichen vorgestellten Projekte umgesetzt werden, wird im Rahmen des Screening-Prozesses entschieden und im Budget-Monitoring überprüft", bestätigt Müller-Wünsch.

Dieser Prozess gehört zu den Kernaufgaben des Programm-Office. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung ist dabei ein wichtiges, aber nicht das einzige Kriterium, so Nordzucker-CIO Niemietz: "Es gibt auch Projekte, die sich solchen Betrachtungen entziehen. Nehmen wir nur einmal ein Upgrade, zu dem Sie von der SAP, Microsoft oder einem Hardwarehersteller quasi gezwungen werden." Sowohl Nordzucker als auch Kellogg’s hätten deshalb einen Scoring-Mechanismus entwickelt, in dessen Verlauf qualitative Fragen an die Projekte gestellt und anhand der Antworten Punkte vergeben würden: "So lässt sich Vergleichbarkeit herstellen."

Eine Frage der Kultur

Nachvollziehbare Kriterien und quantitative Beurteilungen helfen, Zank und Streit aus dem Weg zu gehen. Doch das ist laut Müller-Wünsch auch eine Frage der Unternehmenskultur: "Wir haben uns darauf geeinigt, dass das Programm-Office dazu beitragen soll, unnütze Projekte zu vermeiden und das Unternehmen ganzheitlich zu steuern. Transparenz ist dabei ausdrücklich gewünscht." Das Programm-Office bereite die Projekte auf und erstelle die Entscheidungsvorlagen, auf deren Grundlage die Steering Group dann entscheide, wie die Programme voranzutreiben seien: "Ob man hier eher den Streit betont oder die Suche nach einem Konsens, entscheidet die Unternehmenskultur."

Die Bedeutung der IT-Kompetenz

Ob die Entscheidungen des Programm-Office akzeptiert werden, hängt auch von dessen Zusammensetzung ab. "Die hat häufig eine stark politische Komponente, weil die Business-Bereiche dort ihre Interessen durchsetzen wollen", weiß Janotta aus Erfahrung. Deshalb müsse ein Programm-Office-Manager politisches Geschick und hohe Kommunikationsfähigkeit besitzen.

Auf der anderen Seite sollte das Office aber auch fachlich kompetent besetzt sein, fordert der IT-Interims-Manager: "Um eine Entscheidung über ein bestimmtes Projekt zu treffen und diese mit Kostenargumenten zu stützen, ist IT-Know-how notwendig." Zumindest sollte das Gremium fachkundig genug sein, um die Bewertungen von Know-how-Trägern seinerseits einschätzen können. Ein dritter wichtiger Aspekt ist Janotta zufolge die Entscheidungs- und Konsensfähigkeit des Programm-Office.

Schilderungen aus der Praxis bestätigen Janottas Empfehlungen. Bei Döhler beispielsweise stammen zwei Drittel der Teilnehmer aus den Fachbereichen und nur ein Drittel aus der IT. Ein ähnliches Bild bietet sich bei Ceva Logistics. "Das Programm-Office muss stark mit Business-Know-how ausgestattet sein", konstatiert Müller-Wünsch. "Eine ordentliche Portion IT-Verständnis hilft immer, aber es ist nicht so, dass eine bestimmte Fachqualifikation vorhanden sein muss." Gefragt seien vielmehr Leute, die interdisziplinär denken, Methodenkompetenz mitbringen und "eine gewisse intrinsische Durchsetzungsfähigkeit in der Persönlichkeit" aufweisen.

Auf der anderen Seite sieht Döhler-CIO Scherer hier auch seine Zunftgenossen in die Pflicht genommen: "Ich kann nur empfehlen, dass der CIO oder IT-Leiter der Treiber und Lenker ist. Schließlich wird er daran gemessen, ob er die richtigen, also nutzbringenden, Projekte kostenoptimal umsetzt." Auch die IT der Ceva Logistics hat einen Mitarbeiter nahezu fulltime für das Projekt-Office freigestellt.

Weshalb Größe zählt

Die Handlungsfähigkeit eines Gremiums ist oft eine Frage der richtigen Größe. Sie schwankt nach Einschätzung der Workshop-Teilnehmer zwischen sechs und zehn Mitgliedern. "Es bringt nichts, wenn alles und jeder paritätisch vertreten ist, aber am Ende wird nichts mehr entschieden", so die kategorische Aussage von Nordzucker-CIO Niemietz. Wichtig sei die räumliche Nähe der Office-Mitarbeiter, deshalb sollte das Team nicht mehr als zehn Personen umfassen.

Janotta sieht die optimale Größe bei sechs bis acht "Entscheidern". Darüber hinaus seien operative Tätigkeiten notwendig, um die Entscheidungen vorzubereiten, den Business-Case zu ermitteln, zu fragen, welchen Aufwand ein Projekt in der IT verursacht und welche Systeme betroffen sind. Diese Arbeit rechnet der Interims-CIO aber nicht zur eigentlichen Entscheidungsfindung: "Die lässt sich beispielsweise in ein Development-Steering-Team oder ein Projektbüro auslagern."

Für Müller-Wünsch ist auf jeden Fall wichtig, dass das Programm-Office eine eigenständige organisatorische Einheit bildet, "die sich nicht immer wieder anders und temporär zusammenfindet, sondern sich tagtäglich damit beschäftigen, die eingehenden Initiativen aufzuarbeiten". Wie lang das Gremium Bestand haben müsse, sei allerdings eine andere Frage: "Wir stecken nicht unerheblich Ressourcen in das Programm-Office, weil wir glauben, dass wir durch das strukturierte Vorgehen am Ende auch Geld sparen", bekennt er, "aber wenn eine Organisation einen genügend hohen Reifegrad erreicht, kriegt sie das nach einiger Zeit vielleicht selbst hin." Wenn das Programm-Office erst einmal "drei oder fünf Jahre" gute Arbeit geleistet habe, seien die Prozesse möglicherweise "eingeschwungen", das Methoden-, Monitoring- und Controlling-Know-how in die Organisation diffundiert und ein dediziertes Programm-Office nicht mehr nötig.

Transparenz im Programm-Office

Wie Müller-Wünsch andeutet, lässt sich auch für das Programm-Office eine Art Business Case ermitteln. Der Erfolg eines solchen Gremiums liegt nach Ansicht des IT-Managers darin, "dass möglichst viele Projekte die Erwartungen erfüllen, die in sie gesetzt wurden - hinsichtlich der Dreifaltigkeit Funktion, Zeit und Budget". Die Investitionen in das Programm-Office ließen sich rechtfertigen, "wenn es Ihnen gelingt, nachzuweisen, dass mit einem Programm-Office die Dinge häufiger so eintreffen, wie sie geplant wurden".

"Bei Kellogg’s war das früher einfach", erinnert sich Niemietz, "da wurde nicht nach dem Business Case gefragt, weil die Akzeptanz einfach da war". Auf der obersten Unternehmensebene sei man der Ansicht gewesen, dass alle Änderungsanforderungen und neuen Projekte eine zentrale Stelle durchlaufen müssten. Als flankierende Maßnahme wirke hier das Herstellen von Transparenz für die Fachbereiche: "Jeder Landesfürst muss wissen, was da eigentlich entschieden wird und wann es entschieden wird." Bei Kellogg’s habe das Programm-Office deshalb einen monatlichen Newsletter herausgegeben.

Anzeichen für Erfolg

Auch dem Programm-Office kann ein wenig Marketing sicher nicht schaden. Aber die beste Werbung nutzt nichts, wenn sich der Erfolg nicht nachweisen lässt. Dafür gibt es aus der Perspektive der Unternehmensleitung ein ganz klares Anzeichen, sagt Janotta: "Das Ziel des Programm-Office ist erreicht, wenn es gelingt, ein sinnloses oder viel zu teures Projekt gar nicht erst zu starten oder in einer frühen Phase zu stoppen, denn damit kann man bares Geld sparen."