Erfahrungen eines lnformatik-Ingenieurs:

Statt Theorie mehr Praxis

16.05.1975

Exklusiv für CW Von Norbert Schrader

Was Norbert Schrader (27), Informatik-Ingenieur grad., System-Programmierer an der Hochschule der Bundeswehr in Neubiberg bei München, im folgenden darstellt, ist sicherlich auch ein wenig "Nestbeschmutzung". Dahinter steht aber die Überzeugung, daß es der Hochschulausbildung dient, wenn sie an der Praxis gemessen wird. rai

Aus eigenen Erfahrungen ist festzustellen, daß an bundesdeutschen Hochschulen eine zu heile praxisferne EDV-Welt aufgebaut wird. Bei Studien-Schluß an der Gesamthochschule Paderborn waren mir wohl einige Programmiersprachen bekannt, und ich konnte diese auch anwenden, jedoch fehlte das Verständnis für das Erkennen von Software-Problemen.

Es wäre deshalb zu begrüßen, würden im regulären Informatik - Ausbildungsweg an den Hochschulen nicht nur theoretisches Wissen vermittelt, das durch die rasche Entwicklung in der EDV sowieso schnell veraltet. Vielmehr sollte durch Einbeziehung von Praktikern als Lehrbeauftragte eine praxisnahe Ausbildung geboten werden.

Ein Hochschulabsolvent hat bei seinen ersten praktischen DV-Aufgaben nicht deshalb Schwierigkeiten, weil er etwa zu schlecht programmieren kann. In der DV-Praxis beschäftigt man sich vielleicht bis zu 20 Prozent mit der eigentlichen Problemlösung, die restliche Zeit wird zum Suchen eigener oder fremder Fehler verwendet. Die Vorstellung aber, die dem Studenten durch seine Ausbildung vermittelt wurde ist genau umgekehrt.

Meistens sind es Syntaxfehler, die durch wenig Praxis mit der Sprache hervorgerufen werden und in den für die Ausbildung typischen kleinen Programmen leicht zu finden sind. Daß zum Beispiel ein großes, komplexes Programm - im Gegensatz zu einem kleinen Algorithmus zum Aufaddieren einer Reihe nicht nur Fehler haben kann, sondern sie noch nach gründlichem Test haben muß - das ist eine Erkenntnis, die ein Praktiker besser vermitteln kann als ein Hochschullehrer.

Sicherlich, es ist schlecht möglich, in Übungen und Praktika ein Betriebssystem, einen Compiler oder ein vollständiges Lohnprogramm durch Studenten entwickeln, programmieren, testen und warten zu lassen; jedoch kann ein DV-Praktiker Beispiele für Probleme geben, die durch fehlerhaftes Design und unsaubere Implementierung entstehen.

Die Schwierigkeit, die ein lnformatik-AbsoIvent in der Praxis hat, liegt keineswegs darin, daß die Ausbildung schlecht war oder die theoretischen Grundlagen der Informatik fehlten, das einzige Problem ist, daß man nicht die Spur eines Zusammenhangs zwischen Theorie, die man gelernt hatte, und den konkreten Software-Problemen, die man lösen sollte, erkennen,

Der Praktiker an der Hochschule sollte zeigen, daß die Methoden für die Erkennung einer Syntax nicht nur im Syntax-Checker eines Compilers angewendet werden kann, daß sie auch für die Umsetzung von Dateien in eine andere Struktur einsetzbar sind. Sprachtheorie ist auch ein Hilfsmittel, routinemäßige Kanalprozeduren für Teleprocessing-Anwendungen zu realisieren. Eine finite-state-Maschine ist nicht irgendein esoterisches Gebilde, sondern eine rationelle Methode, ein Programm für die Konsolbedienung eines Rechners zu schreiben.

Solange eine Hochschule weiterhin wirklichkeitsferne und veraltete Methoden vermittelt, wird der Absolvent in der DV-Praxis Startschwierigkeiten haben. Er wird zu den Wald- und Wiesenprogrammierern gehören, von denen es in der EDV sehr viele gibt und die der DV zu einem unnützen Kostenfaktor verhelfen.