Standardisierung schlägt Skaleneffekt

15.06.2009
Von Thomas Gießen 
Eine homogene IT-Umgebung ist die wichtigste Voraussetzung für Kosteneffizienz in der Informationstechnik.

Die IT-Einkäufer rechneten knallhart: Auf einen Schlag bestellten sie 16.000 USB-Sticks – den gesamten Bedarf ihres Unternehmens für die kommenden drei Jahre – und erhielten dafür vom Lieferanten einen satten Mengenrabatt. Die zunächst nicht benötigten Speicher wurden eingelagert. Offensichtlich erneut ein Triumph des Prinzips Masse: je höher das Volumen, desto günstiger die Leistung. Der Skaleneffekt schien sich wieder einmal bewährt zu haben.

Eine nachträglichen Analyse sorgte jedoch für Ernüchterung: Der zwischenzeitliche Preisverfall für USB-Sticks am Markt (im Schnitt 35 Prozent pro Jahr) hatte den Gewinn schon nach zwei Jahren dahinschmelzen lassen. Unter dem Strich zahlte das Unternehmen schließlich drauf.

Auch wenn sich vielleicht wenige IT-Einkäufer so dumm anstellen – beim Bezug von Produkten und Dienstleistungen lässt sich vielfach beobachten: Skaleneffekte werden überbetont. Die rein quantitative Betrachtungsweise prägt nicht nur den Einkauf, sondern auch strategische Entscheidungen wie die über ein Outsourcing. Dessen Vorteile werden ja ebenfalls oft mit dem erzielbaren Skaleneffekt begründet: Externe Dienstleister könnten nun einmal mit höheren Stückzahlen operieren und effizienter arbeiten, so die Argumentationslinie.

Nach dieser Logik müssten Großunternehmen mit großen Stückzahlen durchweg effizienter sein als kleine. Doch in der Realität trifft man oft auf das Gegenteil. So hat die Unternehmensberatung Compass untersucht, wie viele Kontakte ein Service-Desk-Mitarbeiter pro Woche bearbeiten kann – abhängig von der Zahl der insgesamt betreuten Anwender. Gemäß der Theorie des Skaleneffekts müsste eigentlich die Zahl der wöchentlich bearbeiteten Kontakte pro Mitarbeiter mit der Gesamtzahl der Anwender steigen. Ein linearer Anstieg war in der Praxis jedoch nicht feststellbar.

Vielmehr ließen sich der Untersuchung zufolge verschiedene Unternehmensgruppen bilden – abhängig von der Standardisierung der Infrastruktur und der Reife der Prozesse. Nur innerhalb dieser Klassen ließen sich die Skaleneffekte verfolgen – und zwar umso stärker, je homogener die jeweilige Infrastruktur war (siehe Grafik "Skaleneffekte erst in zweiter Linie").

Standardisierte Infrastruktur

Damit sind wir bei einem qualitativen Kriterium, das bei der Fixierung auf den Skaleneffekt meist aus den Augen verloren wird: Homogenität der Infrastruktur, erzielt durch Standardisierung. Wie Compass auf der Basis von etwa 2500 Unternehmensanalysen aus den vergangenen zwei Jahren nachweisen kann, ist die Homogenität einer IT-Umgebung nicht nur eine wichtige Vorausetzung für Skaleneffekte; vielmehr ist sie für die Produktivität sogar wichtiger als der reine Mengenvorteil.

Sehen wir uns doch einmal die Einflussfaktoren an, die zu einem Skaleneffekt führen können:

  • Der erste Faktor kommt im Einkauf zum Tragen: Größere identische Bestellmengen führen meist zu günstigeren Konditionen.

  • Der zweite Faktor betrifft die bessere Ressourcenauslastung, etwa wenn sich eine größere Anzahl von Usern einen Server teilt oder neue Software einmal zu einem Paket geschnürt und dann an 40.000 statt 10.000 Geräten ausgerollt wird.

  • Den dritten Faktor stellt das Personal dar: Für Notfälle, Krankheit oder Urlaub müssen die Unternehmen personelle Reserven vorhalten; je größer die Teams, desto günstiger die Relation zwischen den vorhandenen und den aktuell benötigten Mitarbeitern

Und welche Rolle spielt dabei die Standardisierung? Nun, es liegt auf der Hand, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Gerätetypen und Marken die ersten beiden Faktoren direkt negativ beeinflusst: Die identischen Bestellmengen sind kleiner, der Aufwand für den Support ist höher, und wenn beim Rollout die Software statt an 40.000 identische an viermal 10.000 Geräte verschickt werden muss, ist die Zeit- und Personalinvestition eben auch fast viermal so hoch.

Kleine Firmen sind oft produktiver

Inhomogenität der Systeme hat vielfältige Ursachen. Oft ist sie historisch bedingt: Verschiedene Fachabteilungen haben unterschiedliche Anforderungen, oft "Erbhöfe", spezielle gewachsene Anwendungen verlangen differenzierte Server. Bei einem Großkonzern durften die Anwender aus sage und schreibe 17 verschiedenen "Standard"-Hardwarekonfigurationen wählen. In einem anderen Unternehmen waren 300 verschiedene Desktop-Anwendungen im Einsatz, die ebenfalls als Standard galten. Besonders nach Firmenzusammenschlüssen stellt sich die Infrastruktur in der Regel äußerst heterogen dar; so sind zum Beispiel oft verschiedene Telefonanlagen in Gebrauch, deren Vor-Ort-Service hohe Wegekosten verursacht. Ein Merger, an dem zweimal 10.000 Mitarbeiter beteiligt sind, bedeutet also keineswegs automatisch einen Skaleneffekt; häufig verursachen diese 20.000 Anwender sogar einen – auch relativ – höheren Aufwand als vorher.

Der Skaleneffekt ist somit die Frucht, die ein Unternehmen nur ernten kann, wenn es vorher in Homogenität investiert hat. Doch die Chance auf Homogenität nimmt mit der Unternehmensgröße ab. Das liegt daran, dass sich in Großunternehmen zahlreiche Komplexitätstreiber breitmachen: unterschiedliche Sprachen, eine höhere Markenvarianz, verschiedene Gerätetypen (zum Beispiel CAD-System), größere Bandbreite bei den Arbeitszeiten, höhere Fertigungstiefe und mehr Anwendungslandschaften. Was den Homogenitätsgrad seiner Infrastruktur betrifft, setzt sich ein Großunternehmen quasi aus mehreren kleinen zusammen. In der Folge weisen kleinere, hochstandardisierte Unternehmen bei gleicher Fertigungstiefe und Prozessreife deutliche Vorteile gegenüber größeren, nur mäßig standardisierten Unternehmen auf.

Das heißt allerdings nicht, dass Großunternehmen in puncto Homogenität kapitulieren müssen. Zwar ist nicht jeder Komplexitätstreiber eliminierbar; doch ist es durchaus möglich, deren Auswirkungen einzuschränken. So kann sich beispielsweise der IT-Einkauf zusichern lassen, dass die Hersteller für eine bestimmte Zeit baugleiche Geräte liefern. Solche "chargenreinen" Bestände senken den Supportaufwand.

Exoten müssen Exoten bleiben

Im Unternehmen selbst sollte die IT die Anzahl der Plattformen konsequent reduzieren. Beispielsweise durch die strikte Regel, dass maximal je drei Desktop- und Notebook-Typen zur Auswahl stehen. Ausnahmen sind nur bei strengster Bedarfsprüfung zulässig. Benötigt beispielsweise die Entwicklung CAD-Rechner, dürfen diese auch nur dort eingesetzt werden. Rough Books bleiben dem technischen Außendienst mit extrem harten Anforderungen vorbehalten, Tablet-PCs den Vertriebsmitarbeitern im Feld. Die eiserne Regel lautet: Exoten müssen im Unternehmen auch Exoten bleiben.

Voraussetzung ist, dass die Fachseite den Willen zur Standardisierung teilt und bereit ist, auf lieb gewordene Erbhöfe zu verzichten. Ein probates erzieherisches Mittel können prohibitive Preise sein: Für vom Standard abweichende Anforderungen wird ein deutlich höherer Zuschlag fällig. (qua)

Vorteile der Homogenität

  • Bessere Servicequalität: Im Problem-Management lassen sich Fehlerursachen einfacher bestimmen.

  • Effizientere Prozesse: Zum Beispiel muss bei baugleichen Geräten ein wegen Störung ausgetauschtes Gerät nicht mehr zurückgetauscht werden, woraus sich im Support ein geringerer Aufwand für Leistungsempfänger und Leistungserbringer ergibt.

  • Vereinfachte Testumgebungen: Das kommt bei der Softwareverteilung und bei Rollout-Tests zum Tragen.

  • Kostensenkung durch Skaleneffekt: Die Einkaufskonditionen werden günstiger, die Ressourcenauslastung ebenfalls.