Kolumne

"Späte Einsicht"

23.06.2000
Heinrich Vaske, stellvertretender Chefredakteur CW

Die SAP AG ist von ihrem Do-it-yourself-Prinzip abgewichen - nicht erst mit dem Commerce-One-Abkommen, sondern schon vorher, durch einen ähnlichen Vertrag mit dem Customer-Relationship-Management-(CRM-)Spezialisten Clarify. Wie schwer es SAP-Mitgründer Hasso Plattner gefallen sein muss, über seinen Schatten zu springen, machen Äußerungen aus dem Jahr 1998 deutlich.

Die Frage, ob SAP die ganze New-Dimension-Palette allein entwickeln wolle, beantwortete Plattner damals im CW-Gespräch: "Ja. Es macht keinen Sinn, so zu kooperieren, dass andere unsere Schnittstellen nutzen dürfen und wir ihnen auch noch dabei helfen, unsere BAPIs zu benutzen." Dieser Denkansatz hätte SAP um ein Haar die Wettbewerbsfähigkeit - und viele Aktionäre ein Gutteil ihres Geldes - gekostet. Das Geschäft mit betriebswirtschaftlicher Standardsoftware geriet ins Stocken, die neuen Märkte CRM, Supply-Chain-Management (SCM) und E-Business hoben ab, ohne dass SAP teilnahm.

Schwache Ergebnisse, protestierende Kunden, abwandernde Mitarbeiter und nörgelnde Anleger zwangen das Walldorfer Management schließlich dazu, die Schwächen in den eigenen Reihen wahrzunehmen und auf Kooperationskurs auszuweichen. Dabei verstand es Plattner meisterhaft, der Öffentlichkeit die Niederlage als Sieg zu verkaufen. Kooperationen seien im Internet-Zeitalter unumgänglich, SAP könne angesichts des atemberaubenden Tempos im Markt unmöglich alles allein entwickeln, teilte er nun seinen vergesslichen Zuhörern mit.

De facto ist der Schwenk zu einer offeneren Unternehmenspolitik aus der Verzweiflung geboren, aus der Erkenntnis heraus, laufende Entwicklungsprojekte zu keinem befriedigenden Ende führen zu können. Der Sinneswandel kommt spät, aber wohl nicht zu spät. Zum einen ist SAP unangefochtener Marktführer im ERP-Segment und hat deshalb Zutritt zu allen namhaften DV-Shops. Zum anderen konnte mit Commerce One ein Partner gefunden werden, der neben Ariba deutlicher Branchenführer im Segment Online-Marktplätze ist. Mit der Kooperation und der Beteiligung haben sich die Walldorfer zurück ins Zentrum des Geschehens katapultiert - zur Erleichterung ihrer Kunden, die nun wieder auf Innovationen und auf eine enge Verzahnung ihrer Online- und Back-Office-Produkte hoffen dürfen.