Software-User protestieren gegen Praktiken der Industrie Deutscher Anwenderverband will Anbietern auf die Finger klopfen CW-Bericht, Alexander Deindl

27.04.1995

MUENCHEN - "Wir machen darauf aufmerksam, dass es nach dem Stand der Technik nicht moeglich ist, Computersoftware so zu erstellen, dass sie in allen Anwendungen und Kombinationen fehlerfrei arbeitet" - so oder aehnlich lautet die Passage in den allgemeinen Geschaeftsbedingungen, mit denen Software-Anbieter die in anderen Industriebereichen laengst uebliche Qualitaetskontrolle umgehen und den Verkauf von fehlerhaften Produkten rechtfertigen. Gegen diese Praktiken wendet sich der neugegruendete Bundesverband Software- Anwender e.V. (i.G.), Grafrath.

Insgesamt 112 zumeist mittelstaendische Unternehmen und private Anwender zaehlt der Verband, der sich als eine Art Gegenpol zur Software-Industrie versteht. Ziel der Vereinigung ist es, so der Vorsitzende Meinhard Mueller, Inhaber des Aktenvernichtungsunternehmens Alpenland GmbH, ein Forum fuer Firmen und Privatanwender zu bilden, die durch offensichtliche wie verdeckte Programmierfehler geschaedigt wurden oder diese vermeiden moechten.

Anwender: Wir sind doch keine Testfahrer

Der Verband wolle seinen Mitgliedern in Rechtsfragen zur Seite stehen und im Interesse der Anwender auch Musterprozesse fuehren. Zudem sei ein Schwarzbuch mit Hunderten von Fallbeispielen in Arbeit, in denen Anwender von Nachteilen berichten, die sie infolge von Produktfehlern erlitten haben. Experten pruefen die angegebenen Schaeden, um menschliche Fehler seitens der Anwender auszuschliessen. Das Werk werde ab Mitte Mai dieses Jahres auch in den Online-Diensten "Internet" und "Compuserve" zur Verfuegung stehen.

Mueller bringt auf den Punkt, was in den Koepfen der Verbandsmitglieder vorgeht: "Wir moechten in Zukunft ein Woertchen mitreden." So wehrt er sich gegen das Argument der DV-Multis, Programme seien naturgemaess immer fehlerbehaftet: "Diese Ausrede gilt bei keinem anderen Produkt." Fuer Autos im Wert von 20 000 Mark werde schliesslich auch eine Rueckrufaktion wegen eines defekten, zwoelf Mark teuren Tankdeckels gestartet. Selbst bei schlichten Rasierapparaten raeume der Haendler ein Umtauschrecht ein. Heutzutage seien zu viele Erwerbstaetige auf die DV angewiesen, als dass man blauaeugig bis zur naechsten Produktversion warten koenne, ohne die Gewissheit zu haben, ein fehlerloses Paket zu bekommen. Die eigenhaendige oder durch Spezialisten durchgefuehrte Suche nach Softwarefehlern koste Mueller zufolge oft weit mehr als das Produkt selbst.

"Anwender sind doch keine Testfahrer", protestiert Manfred Matschollek, Vorsitzender des Bauratgeber e. V., Starnberg- Leutstetten, gegen die Produkte und Services der Anbieter von Individualloesungen und Standardapplikationen. Um sich nicht laenger als Versuchskaninchen missbrauchen zu lassen, habe Matschollek sich dem Anwenderverband angeschlossen. "Ich erhoffe mir dadurch lediglich ein wenig Fair play seitens der Industrie", so Matschollek, der in dem Anwenderverband eine Art TUEV der Softwarebranche sieht.

Richardis Zieglmeier, Geschaeftsstellenleiterin beim Verband der Softwareindustrie Deutschlands e.V. (VSI), Muenchen, sieht allerdings finanzielle Probleme auf die Anwendervereinigung zukommen, wenn diese die Prozesskosten und finanziellen Risiken bei allen Klagen der Anwender gegen Software-Anbieter uebernehmen will. Sinn mache der Verband nach Ansicht von Zieglmeier jedoch, wenn den Softwareherstellern Wuensche oder Anregungen von Anwendern uebermittelt werden. Der VSI jedenfalls werde der neuen Vereinigung als Ansprechpartner zur Verfuegung stehen.