Projekt-Management in der Praxis (Teil 7)

Situative Anpassung ist mehr gefragt als normative Konzepte

08.05.1992

Die Gestaltung des organisatorischen Rahmens variiert von Projekt zu Projekt sehr stark. Sie wird weniger durch normative Konzepte als durch die Anpassung an die jeweiligen Rahmenbedingungen bestimmt.

Der organisatorische Rahmen, in dem Software-Entwicklung überwiegend abgewickelt wird, ist das "Projekt", das heißt eine zeitlich, inhaltlich und personell abgegrenzte organisatorische Einheit. Gegenüber anderen Formen der Organisation von Arbeit im Büro wie auch in der Fertigung unterscheidet sich Projektarbeit vor allem dadurch, daß sie nicht als zeitlich unbegrenzte Aufgabe definiert ist - wie etwa der Einkauf bestimmter Waren, die Bearbeitung immer wieder anfallender Vorgänge -, sondern an die Erfüllung eines mehr oder minder klar umrissenen und abgegrenzten Auftrags gebunden ist. Das "Projekt" wird für diesen Auftrag ins Leben gerufen und endet mit seiner Erfüllung.

Ein Projekt, so definiert es die Norm DIN 69 901, ist "ein Vorhaben, das im wesentlichen durch die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist". Diese Einmaligkeit weist der Projektorganisation besondere Bedeutung für den Erfolg des Projekts zu. Sie muß für jedes Projekt neu geschaffen werden. Selbst dort, wo im Unternehmen feste, verbindliche Strukturen vorgegeben sind, bedarf es noch besonderer Aktivitäten, um diese in die konkrete Organisation eines Projekts umzusetzen: Materielle und personelle Ressourcen müssen geschaffen, Positionen und Gremien mit Personen besetzt werden.

In den untersuchten Projekten begegneten wir einer außerordentlichen Vielfalt unterschiedlicher Formen der Projektorganisation. Sogar im selben Unternehmen variierte die Organisationform von Projekten mit durchaus ähnlicher Aufgabenstellung und Größenordnung. So waren die Leitungs-, Steuerungs-, Abstimmungs- und Kontrollfunktionen in sehr unterschiedlicher Weise formal aufgeteilt und ausgewiesen.

In 24 Prozent der Projekte gab es lediglich einen Projektleiter. In sieben Prozent existiert neben dem Projektleiter noch eine Projektgruppe, in weiteren 26 Prozent neben einer Projektgruppe noch ein Entscheidungsgremium; in 42 Prozent der Projekte war die Leitungsfunktion zwischen einem Projektmanager und dem Projektleiter aufgeteilt, wobei in einem Drittel der Projekte diesen noch eine Projektgruppe und ein Entscheidungsgremium zugeordnet waren. Projekte in Anwenderunternehmen und Softwarehäusern unterschieden sich nicht grundsätzlich in der organisatorischen Gestaltung der Leitungs- und Kontrollfunktionen. Dagegen wiesen Großprojekte erwartungsgemäß komplexere Organisationsstrukturen auf. In fast allen diesen Projekten war die Funktionssteuerung von Projektleiter und Projektmanager sowie zusätzliche Entscheidungsgremien zu finden.

Auf der einen Seite finden sich Projekte, die mit relativ einfachen organisatorischen Strukturen auskamen: im wesentlichen mit einem Projektleiter, der das Projektteam leitete. Auf der anderen Seite existieren Projekte mit recht komplexen organisatorischen Strukturen, in denen neben dem Projektleiter noch andere Positionen und Gremien für die Lenkung und Steuerung des Projekts vorgesehen waren.

Gemein hatten die komplexen Formen der Projektorganisation die institutionelle Trennung der Funktion der eigentlichen Projektleitung, die primär für die fachliche Abwicklung des Entwicklungsauftrags verantwortlich war, von der Kontrolle und Steuerung des Projekts, vor allem auch unter wirtschaftlichen Aspekten. Zur Wahrnehmung der Kontrolle kam häufig ein Projektmanager zum Einsatz. Als weitere Funktion wurde die Berücksichtigung und Koordination der Interessen der verschiedenen involvierten betrieblichen Bereiche institutionell verankert, meist in Gremien, in denen Repräsentanten dieser Bereiche vertreten waren.

Die Zusammensetzung der Projektgruppen und Entscheidungsgremien variierte dabei sehr stark. In den Projektgruppen waren typischerweise vertreten neben dem Projektleiter Angehörige der jeweils betroffenen Fachabteilungen, anderer Zentralabteilungen - etwa der Organisationsabteilung. In den Entscheidungsgremien saßen typischerweise die Leiter der jeweiligen Bereiche.

Aufschlußreicher als eine Beschreibung der zahlreichen unterschiedlichen Formen der Projektorganisation ist eine Auseinandersetzung mit den Prinzipien und den Bedingungen, die ihre Entstehung bestimmt haben. Bemerkenswert erscheint, in wie vielen Projekten die Projektorganisation quasi "erfunden" wurde, und zwar in ganz wörtlichem Sinn: Erst im Projektverlauf "fand" man zu einer (neuen) Form der Projektorganisation. Dabei orientierte man sich meist weniger an "fertigen" Vorlagen, etwa aus der Literatur oder anderen Unternehmen, als an den auftretenden Schwierigkeiten oder den jeweiligen Rahmenbedingungen. Im weiteren Verlauf wurde diese Projektorganisation dann in vielen Projekten ein- oder mehrmals verändert, sei es, weil sie nicht bewährt hatte, sei es, weil sich Rahmenbedingungen verändert hatten.

Nur gut die Hälfte der untersuchten Projekte verfügten bei Projektbeginn auch über eine formal ausgewiesene Projektorganisation. In 17 Prozent der Projekte entstand sie erst im Projektverlauf. Diese Organisation wurde dann in 40 Prozent der Projekte noch ein- oder mehrmals verändert, teils offiziell, teils informell. Nur ein Viertel der Projekte hatte zu Beginn eine feste Projektorganisation und behielt diese auch im Verlauf bei. In immerhin gut einem Fünftel - durchweg kleinere Projekte - gab es nach Einschätzung der befragten Projektverantwortlichen keine formalisierte Projektorganisation im eigentlichen Sinn.

Fehlende Formalisierung beziehungsweise späte Entstehung der Projektorganisation sowie häufige Änderungen derselben deuten darauf hin, daß in einem beträchtlichen Teil der Projekte die Projektorganisation weniger als ein Instrument diente, durch das ein normativer Rahmen für die Projektabwicklung geschaffen werden sollte, sondern eher reaktiv, als Antwort auf die jeweils gegebenen Bedingungen gehandhabt wurde. Idealtypisch lassen sich zwei Grundkonzeptionen unterscheiden, die die Gestaltung und den Umgang mit der Organisation von Entwicklungsprojekten bestimmten:

- Das normative Konzept: Die Projektorganisation wird gleichsam als das Gefäß begriffen, das mit der jeweiligen Projektaufgabe gefüllt wird, das dem Projektablauf somit seine Form gibt, ihn strukturiert. Diese Projektorganisation ihrerseits ist Ausdruck von Normvorstellungen und Richtlinien, die im Unternehmen gelten.

- Das situative Konzept: Projektorganisation wird begriffen als ein Instrument, dessen Handhabung primär an den jeweils gegebenen Rahmenbedingungen ausgerichet ist (verfügbare Personalressourcen, Machtverteilung etc.), sozusagen deren "Verarbeitung" für die Projektdurchführung bewerkstelligen soll. Projektorganisation hat sich diesen Gegebenheiten anzupassen, nicht diese zu strukturieren.

In der Praxis stießen wir nur relativ selten auf eine konsequente Anwendung der einen oder anderen Grundkonzeption. Vor allem konsequente Umsetzungen normativer Konzepte waren selten. Charakteristisch für viele Projekte war vielmehr ein Ineinanderwirken der beiden Konzepte: Normative Gestaltungsansätze erfuhren situative Anpassungen.

Die relativ häufigen Veränderungen der Projektorganisation können gewertet werden als ein Indiz für den starken Veränderungsdruck, dem diese ausgesetzt ist. Für die Stärke dieses Anpassungsdrucks spricht die Tatsache, daß es auch in einer Reihe von Projekten mit ausgesprochen "normativer" Projektorganisation zu "situativen" Veränderungen kam. Dies gilt bemerkenswerterweise insbesondere für Großprojekte. In mehr als der Hälfte dieser Projekte entstand die Projektorganisation erst im Projektverlauf, in allen wurde sie dann noch meist offiziell - verändert. In kleinen und mittelgroßen Projekten dagegen gab es fast durchweg bereits zu Projektbeginn einen festen organisatorischen Rahmen, und dieser wurde auch seltener verändert.

Klassisches Beispiel einer solch reaktiven Handhabung der Projektorganisation ist ein Projekt, in dessen dreijährigen Verlauf die Projektorganisation fünfmal verändert wurde. Dabei gab es an sich ein für das Unternehmen verbindliches Modell der Projektorganisation.

Zu den Rahmenbedingungen, die zu situativen Anpassungen der Projektorganisation Anlaß gaben, gehörten Veränderungen im Projektauftrag - insbesondere dann, wenn dieser ausgeweitet wurde, technische Schwierigkeiten und vor allem Verzögerungen in der Projektabwicklung, die die Einhaltung vorgegebener Termine und Budgets gefährdete.

Bisweilen gaben solche Verzögerungen überhaupt erst den Anstoß zu der Schaffung einer stärker formalisierten und gegliederten Projektorganisation. In solchen Fällen war die Anpassung beziehungsweise stärkere Formalisierung der Projektorganisation häufig Teil eines Krisen-Managements, das einen drohenden Abbruch oder ein Aus-dem-Ruder-Laufen des Projekts abwenden sollte.

Dies ließ sich insbesondere in "kontroversen" Projekten erkennen, in denen Modifikationen in der Projektorganisation als Mittel herangezogen wurden, um vorhandenen Konfliktstoff zu bewältigen. Von der Neugestaltung der Projektorganisation erhoffte man sich die Auflösung verhärtetet Konfliktkonstellationen - eine Rechnung, die allerdings nicht immer aufging.

So wurde in einem Projekt, das durch immer wieder auftretende Konflikte zwischen Projektleitung, anderen Stellen im Unternehmen und einem externen Softwarehaus belastet war, während seiner vierjährigen Laufzeit die Proiektorganisation sechsmal verändert, ohne daß dies zu einer wirklichen Lösung führte.

Bei solcher Nutzung der Projektorganisation als Instrument der Konfliktbewältigung war immer wieder erkennbar, daß die Organisation um Personen realisiert wurde. Die Lösung vorhandener Schwierigkeiten suchte man vor allem auf der Ebene personeller Maßnahmen. Organisatorische Veränderungen waren also weniger daran ausgerichtet, neue strukturelle Bedingungen zu schaffen als personelle Umstrukturierungen zu erleichtern. Die tieferliegenden Ursachen - etwa ungenaue oder widersprüchliche Kompetenzabgrenzungen - blieben häufig davon unberührt und damit weiter wirksam.

Hier wird die widersprüchliche Wirkung einer "situativen" Handhabung der Projektorganisation deutlich. Einerseits ermöglicht das sehr pragmatische Eingehen auf die jeweils auftretenden Schwierigkeiten eine rasche Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen beziehungsweise die Korrektur organisatorischer Ansätze, die sich als nicht tragfähig erwiesen haben. Andererseits zeichnet sich die Gefahr ab, daß solche Schwierigkeiten nicht wirklich beseitigt werden, daß an den Symptomen und nicht an den eigentlichen Ursachen angesetzt wird mit der Folge, daß auch unter veränderten organisatorischen Bedingungen sich diese immer wieder bemerkbar machen. Häufig ergab sich der Eindruck, daß mit eher kosmetischen Veränderungen in der Projektorganisation strukturelle Probleme gelöst werden sollten. Für den Prozeß der Software-Entwicklung konnte sich die geringe Stabilität der Projektorganisation belastend auswirken und trug zu Verunsicherungen und unklaren Zielperspektiven bei.

Eine Folge dieses Widerspruchs ist, daß wir nur relativ selten auf Organisationsformen trafen, die erkennbar "falsch" waren, häufiger jedoch zeigte sich, daß der formale organisatorische Rahmen, den man einem Projekt gegeben hatte, in der Praxis nicht ausgefüllt wurde. (wird fortgesetzt)

*Professor Friedrich Weltz ist Geschäftsführer der Sozialwissenschaftlichen Projektgruppe, München, und Honorarprofessor an der Universität Göttingen;

Rolf Ortmann ist Mitarbeiter der Sozialwissenschaftlichen Projektgruppe, München.