Experten warnen vor einem Ende des Booms

Silicon Valley und der Traum vom unendlichen Erfolg

09.01.1998

Andreas von Bechtolsheim muß es eigentlich wissen. Der frühere Mitbegründer von Sun Microsystems und jetzige Vice-President von Cisco Systems sieht jedenfalls den Erfolg des Silicon Valley vor allem in der "kritischen Masse an Know-how und Risikokapital" begründet. Was der smarte Deutsche, der Ende der 70er Jahre auszog, um in Kalifornien sein Glück machen, damit meint, verdeutlichen folgende Zahlen: In dem rund 80 Kilometer langen Landstrich zwischen San Jose und San Franzisko sind derzeit mehr als 7000 High-Tech-Firmen, vorwiegend aus der IT-Branche, angesiedelt. Mehr als sechs Milliarden Dollar an Wagniskapital flossen der US-amerikanischen National Venture Capital Association (NVCA) zufolge 1996 allein in die unzähligen, vorwiegend kalifornischen IT-Start-ups. Zum Vergleich: Ganze 1,1 Milliarden Mark werden, wie Kenner der Szene schätzen, derzeit pro Jahr hierzulande in junge Firmen mit Wachstumsperspektive investiert - branchenübergreifend, versteht sich.

Die geballte Wirtschaftsmacht des Silicon Valley läßt sich noch anschaulicher darstellen: In nur zehn Autominuten reihen sich entlang des vielbefahrenen Highways 101 die Firmenzentralen von Intel, 3Com, Cisco Systems, Sun Microsystems und Netscape Communications quasi aneinander. Der kombinierte Umsatz dieser fünf IT-Companies lag 1996 bei etwa 40 Miliarden Dollar; ihr Börsenwert entsprach knapp 260 Milliarden Dollar, was höher ist als der der drei US-Autoriesen General Motors, Ford und Chrysler zusammen. Durchschnittlich an jedem vierten Tag ging 1997 Silicon-Valley-Unternehmen an die Börse. Seit 1994 sind in der Region 125000 neue Arbeitsplätze entstanden; 50 000 davon allein im vergangenen Jahr.

Mitentscheidend für das, wie das US-Wirtschaftsblatt "Business Week" unlängst schrieb, "ökonomische Wunder" an der San Francisco Bay ist nach Ansicht von Fachleuten die Rolle der dortigen Universitäten Stanford und Berkeley, die als "Kaderschmiede" für Software- und andere IT-Experten, vor allem aber auch als Know-how-Lieferanten fungieren. So manches Spin-off aus dem universitären Bereich brachte es zur Company mit Weltgeltung. Letztes prominentes Beispiel: Die Geschichte des Netscape-Gründers Marc Andreessen. Und natürlich spielt das eine Rolle, was die IT-Branche seit geraumer Zeit antreibt: die Vision vom weltumspannenden Electronic Commerce. Das Tal, einst ein Eldorado der Halbleiter-Produzenten, ist längst zum Nabel der weltweiten Networking- und Internet-Industrie geworden.

Doch das Silicon Valley hat auch seine Schattenseiten bekommen. Nicht nur von den täglichen Verkehrsstaus sowie den exorbitant gestiegenen Grundstückspreisen und Lebenshaltungskosten ist dabei die Rede, sondern von übergeordneten wirtschaftlichen Zusammenhängen. Zum Beispiel davon, daß der Region einmal mehr das Schicksal eines "Durchlauferhitzers" drohen könnte. Damit ist die Tatsache gemeint, daß aufgrund zunehmend schlechter werdenden Rahmenbedingungen wie zu knapper und zu teurer Gewerbeflächen sowie einem - trotz des einzigartigen unversitären Umfelds - eklatanten Mangel an Fachkräften das Silicon Valley in gewisser Weise die Vergangenheit einholen könnte. Schon einmal, nämlich Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, mußten die Kalifornier mitansehen, daß ihnen andere Regionen in den USA, zum Beispiel Austin/Texas oder Phoenix/Arizona, zeitweise den Rang als High-Tech-Zentrum abliefen.

Die größte Gefahr könnte Experten zufolge jedoch aus einer ganz anderen Ecke kommen - wenn man so will, Stärke und Schwäche des Silicon Valley zugleich. Nirgendwo sonst auf der Welt ist eine vergleichbare Konzentration von Fachleuten, "Spinnern", Leuten mit Ideen sowie aufgeschlossenen Kapitalgebern zu finden. Und an keinem Platz der Erde gilt in diesem Maße das Etikett, es zumindest "als Unternehmer probiert zu haben", schon als Auszeichnung. Reich werden zu wollen ist akzeptiert, und diejenigen, die nicht als Firmengründer und/oder CEO reüssieren, beziehen ihre Motivation, so gut wie Tag und Nacht für das Unternehmen zu arbeiten, aus weit unter dem vermeintlichen späteren Marktwert eingekauften Belegschaftsaktien.

Doch genau hier hören immer mehr Branchen-Insider eine Zeitbombe ticken. Die teilweise nicht mehr nachvollziehbaren Kurssteigerungen an den Börsen, die geradezu hysterischen Reaktionen der Analysten bei einer nur geringfügigen Verfehlung der quartalsbezogenen Ergebnisprognosen, zuletzt bei Intel und Oracle, zeigen, daß die "Konjunktur des Silicon Valley hoffnungslos überhitzt ist". Auch unter den seriösen Börsianern an der Wallstreet rechnet man insgeheim seit längerem mit einer deutlichen Abkühlung des Booms für die US-IT-Branche. Erste Anzeichen einer weltweiten Marktsättigung seien derzeit bereits im klassischen Netzwerkgeschäft spürbar. Dann, so ein Morgan-Stanley-Analyst, werden die Leute aufwachen und feststellen: "Das Tal hat seine besten Tage hinter sich.