Schluß mit Zuckerbrot für Computerverkäufer

18.02.1983

Jetzt hat er s geschafft, der Computer! Endlich wurde ihm die Ehre zuteil, die er seit langem verdient hat. Das New Yorker Magazin "Times" hat ihn "zur Maschine des Jahres" erkoren und dem Computer damit den gesellschaftlichen Stellenwert zugewiesen, der ihm zusteht. Zwar kommt die gesellschaftliche Anerkennung des Computers ein wenig spät; denn schließlich schreiben wir bereits in einem Jahr das Orwellsche Jahr 1984, aber gut Ding will nun eben mal Weile haben.

Mit dieser Großtat wird sich schlagartig einiges ändern. Hatten früher die EDV-Verkaufsprofis so ihre liebe Mühe den künftigen EDV-Anwender von den Vorteilen des Computers und seiner Leistungen zu überzeugen, so wird das künftig ganz anders sein. Über Motivationsargumente für den EDV-Einsatz brauchen die EDV-Verkaufsprofis jetzt nicht mehr nachzudenken.

Haarspalterei

Was war doch früher die ganze Motivationssuche, die Aufstellung der Vorteile und Nutzen, die der EDV-Einsatz dem Anwender bringt, für eine kleinliche Haarspalterei! Argumente, die keine waren, mußten zu Verkaufsschlagern hochstilisiert werden. In Bits und Bytes mußten sich die Verkaufsprofis auskennen, hatten über Zugriffsmethoden und Dateistrukturen vorteilhafte Worte zu finden, mußten mit Response- und Zykluszeiten feilschen und mit Speicherkapazitäten wie Roßhändler handeln.

Viele EDV-Verkäufer hatten denn auch mit dieser haarspalterischen Effekthascherei ihre liebe Not! Aber es kam noch schlimmer! Langsam aber sicher setzte sich nämlich die Erkenntnis durch, daß die Software es ist, die den Herrn Computer zum eigentlichen Leben erweckt. Jetzt mußten sich die EDV-Verkaufsprofis mit Finanzbuchhaltung, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Auftragsbearbeitung mit Fakturierung und mit Materialwissenschaft herumschlagen und auseinandersetzen. Ein mühevolles Unterfangen; denn die zukünftigen EDV-Anwender schickten ihre Buchhaltungsprofis und Sachbearbeitermanager in die Verkaufsschlacht die von EDV wenig, von ihren Fachgebieten aber um so mehr verstanden. Nur richtige EDV-Verkaufsprofis, 100-Prozent-Leute also, konnten mit sicherem Auftreten und technischem EDV-Einmaleins den ganzen Vorteil- und Nutzenwirrwarr der Software erfolgreich umschiffen und Aufträge schreiben.

Hier vollzog sich in der Tat ein radikaler Wandel. Selbst der beste 100-Prozent-EDV-Verkaufsprofi mußte feststellen; daß mit einem schnellen Auto, mit Selbstbewußtsein und lockeren EDV-Vokabeln keine Aufträge mehr zu machen sind. Eine bittere Pille! Die Verkaufsprofis mußten in den sauren Apfel beißen, mußten sich um Soll und Haben kümmern, Buchungsschlüssel kennen, die Vorteile der permanenten gegenüber der Stichtagsinventur aufzeigen können und über Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz, Hauptabschlußübersicht und Deckungsbeiträge fundiert Bescheid wissen, um mitreden zu können. Mehr noch: Die Verkaufsprofis mußten ihr Interesse für schnelle Autos und Tennis zumindest zeitweise an den Nagel hängen.

Zwischenzeitlich hatten sich die Verkaufsförderer, die bekanntlich am Schreibtisch sitzen und ausschließlich von den Erfolgen der Verkaufsprofis leben, eine Softwaremotivationsschulung ausgedacht. Grundlage der Schulung waren hieb- und stichfeste Vorteile, die dem EDV-Anwender durch Einsatz der Software und des Herrn Computers nicht unerhebliche Kosten einsparen.

Schulungsgegenstand war unter anderem:

- Artikelumsatzstatistik - Vorteil: Genaue Übersicht über die verkauften Artikel des letzten Monats/Quartals mit dem jeweils erzielten Deckungsbeitrag pro Artikel und Artikelgruppe

- Ladenhüter- und Rennerliste - Vorteil: Auflistung der Artikel mit den besten Umsatzerfolgen. Auflistung der Artikel, die aus dem Sortiment entfernt werden müssen (Ladenhüter)

- Offene Postenbuchhaltung

- Vorteil: Exakte Übersicht über die bestehenden Außenstände. Rechtzeitige Eintreibung der Forderungen durch das dreistufige Mahnverfahren. Dadurch Erhöhung der Liquidität des Unternehmens. Vermeidung von Verlusten durch Verjährung

- Lagerbestandsführung - Vorteil: Reduzierung der Kapitalbindung durch Bildung des optimalen Lagerbestandes bei hoher Lieferbereitschaft. Liquiditäts- und Zinsvorteil

- Managementinformationssystem - Vorteil: Zusammenstellung aller wichtigen Kennzahlen für den Chef des Unternehmens. Informationsvorsprung. Wichtig für schnelle Entscheidungen, um Schaden zu vermeiden

- und so weiter.

Mancher 100-Prozent-Verkaufsprofi hat den Kopf geschüttelt.

Sollen diese Kleinhäppchen etwa dem heutigen dynamischen Unternehmer den EDV-Einsatz schmackhaft machen?

Aber nicht doch! Erfolgsgewohnte EDV-Verkaufsprofis meinten, daß sie bereits nach der ersten Schulung der motivationsbringenden Softwareargumente feststellen konnten, daß so keine Umsätze zu machen sind. Die kleinliche Suche nach Vorteilen kostet Zeit, kostet Geld. Wer ersetzt denn - bitte schön - dem Verkaufsprofi die Umsatzeinbußen und Einkommensverluste, während er mühsam positive Argumente erlernen und vorteilhaft zerpflücken muß.

Niemand. Also bitte!

Wen wundert's also, daß die Erfolgsverkaufsprofis nach alt bewährter Manier weiter mit ihren schnellen Autos an die Verkaufsfront fahren, wortreich mit EDV-Vokabeln den Herrn Computer verkaufen und Versprechungen machen, die weder der Computer noch der Rechtsanwalt des Vertrauens realisieren können. Schade, daß die Programmierer, die die Versprechungen der Verkaufsprofis in die vorhandenen Programme mühsam einbauen müssen, geduldig sind, wie trächtige Mutterschafe.

Gott sei Dank wird diesem Kleinkram, dieser Haarspalterei jetzt endlich ein Ende gesetzt. Mit Zuckerbrot und -häppchen wird jetzt Schluß gemacht!

Die 100-Prozent-EDV-Verkaufsprofis atmen auf. Der Tennisschläger und die schnellen Autos können wieder mobil gemacht werden. Jetzt hat der EDV-Verkaufsprofi eine Trumpfkarte in der Hand, die er von ausspielen kann: den Computer, den "Mann des Jahres".

Nicht bluffen lassen

Welcher künftige EDV-Anwender kann sich noch erfolgreich dagegen wehren, daß der "Mann des Jahres", der Computer, in seinen Geschäfsräumen tätig werden will, wenn dieser vorhat, die Probleme des Anwenders zu lösen? Jedem künftigen EDV-Anwender werden bei diesem Gedanken die Knie zittern- er wird vor Ehrfurcht stumm bleiben, nicht nach Preis-/Leistungsverhältnis fragen und Vorteile und Nutzen errechnen wollen.

Nun denn; EDV-Verkaufsprofis frisch ans Werk! Good luck! Der "Mann des Jahres" steht hinter Ihnen!

Warnung: Es soll hierzulande trotz allem noch mündige EDV-Interessenten und EDV-Anwender geben, die sich weder von Männern des Jahres noch von schicken Autos bluffen lassen!