Analysten haben ihre Probleme mit der Übernahme

Schlumberger zapft Semas IT-Know-how an

23.02.2001
MÜNCHEN (ajf) - Sema, eine der größten europäischen IT-Dienstleistungsfirmen, soll verkauft werden. Rund 5,2 Milliarden Dollar in bar will der amerikanische Mischkonzern Schlumberger hinblättern, um sich mit IT-Know-how einzudecken. Über die wahren Motive des Deals rätseln die Analysten allerdings.

Dass der IT-Dienstleister Sema reif für eine Übernahme ist, war in der Branche ein offenes Geheimnis. Finanzielle Probleme und Management-Fehler hatten im letzten Quartal den Kurs genügend gedrückt, um eine Handvoll potenzieller Investoren anzulocken. Illustre Namen wie Siemens und EDS wurden gehandelt - die üblichen Verdächtigen eben. Nun ist es anders gekommen, und der Ausgang des Falles wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet: Mit Schlumberger betrat ein Käufer die Szenerie, dem ein höchst ungewöhnlicher Stallgeruch anhaftet - viel körperliche Anstrengung, wenig White-Collar-IT.

Mit DV hat der Konzern bislang nur am Rande zu tun, und dann hauptsächlich in Form von Smartcards und Lösungen für die IP-Netzsicherheit. Daneben entwickelt Schlumberger Messgeräte und Halbleitertester. Das Hauptgeschäftsfeld hingegen sind Ölförderdienste. Hier erzielte die Firma im Jahr 2000 einen Umsatz von sieben Milliarden Dollar und damit einen großen Teil der Konzerneinnahmen, die sich auf 9,6 Milliarden Dollar beliefen. Angesichts der Gewinne wird das Verhältnis noch deutlicher: Fast eine Milliarde Dollar rund ums Öl, 41 Millionen Dollar mit dem Rest. Wie passt nun Sema in dieses Bild, fragten sich vergangene Woche die skeptischen Beobachter?

Sema verschluckte sich an LHS

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt an strategischen Fehlentscheidungen des Sema-Managements. Unter der Führung von CEO Pierre Bonelli schluckte das französisch-englische Unternehmen im vergangenen Jahr den deutsch-amerikanischen Softwareanbieter LHS für stattliche 4,7 Milliarden Dollar. Die Company ist auf Abrechnungslösungen für die Telecom-Branche spezialisiert, ein Segment, das 2000 entgegen den Erwartungen gehörig unter die Räder kam und ohnehin nur einen Nischenmarkt darstellt. Marktbeobachter schätzten den Preis als überhöht ein, zudem gelang es dem Sema-Management nicht, die Unternehmen und Produktlinien zu integrieren, was auch öffentlich zugegeben wurde.

Im November musste der IT-Dienstleister darüber hinaus mitteilen, dass das Geschäftsjahr 2000 deutlich schwächer als erwartet ausfallen würde. Im ersten Schritt wurden die Gewinnerwartungen von 205 auf 160 Millionen Euro zurückgeschraubt, Anfang des neuen Jahres erschien selbst dieser Betrag plötzlich fraglich: Die gegenwärtigen Prognosen lauten auf einen Gewinn von 142 bis 150 Millionen Euro. Der Umsatz soll sich auf rund 2,3 Milliarden Euro summieren. Auch in Deutschland verlor das Unternehmen an Boden, in der aktuellen Lünendonk-Liste der umsatzstärksten IT-Beratungs- und Systemintegrationsfirmen belegt Sema lediglich den 25. Platz mit Einnahmen von 155 Millionen Mark - im Vorjahr rangierte man noch vier Plätze höher.

Nur sechs Prozent der Umsätze in den USA

Schuld an der Misere ist nicht nur die schleppende Entwicklung der LHS, sondern auch die Performance von Sema selbst. Nach Angaben der Meta Group hat es das Unternehmen nicht verstanden, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen. Trotz der Übernahme von LHS belief sich der europäische Umsatzanteil im Jahr 2000 noch auf 94 Prozent. Als Folge da-raus tat sich Sema schwer, im Wettbewerb um globale Verträge mitzuhalten.

Das Produktgeschäft des IT-Dienstleisters schrumpfte laut UBS Warburg um 15 Prozent, außerdem gingen die Erlöse im Outsourcing-Bereich um zehn Prozent zurück - man habe Probleme, sich gegen Branchenriesen wie EDS und Andersen Consulting durchzusetzen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass sich ein ehemaliger LHS-Manager nach der Übernahme anscheinend nicht an die Börsenrichtlinien gehalten und vor Ablauf einer Sperrfrist Aktien verkauft hatte. Als Folge der schlechten Nachrichten gab der Aktienkurs des Systemintegrators im November um 44 und im Januar erneut um zwölf Prozent nach - die Firma war reif für die Übernahme.

Übernahme im Schnellverfahren

Nach Angaben von CEO Bonelli wurden verschiedene Unternehmen bei ihm vorstellig, ein konkretes Angebot habe aber nur Schlumberger abgegeben. Dessen CEO Euan Baird teilte hinterher mit, dass man es eigentlich nur auf eine Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent abgesehen hatte. Da jedoch schon andere Interessenten im Gespräch waren, musste der Handel sehr schnell über die Bühne gehen. Die Amerikaner wollten offenbar um jeden Preis verhindern, dass ihnen der Deal von Konkurrenten wie Siemens, CSC oder EDS vor der Nase weggeschnappt wurde.

Konsequenz: Rund 5,2 Milliarden Dollar, mehr als 40 Prozent über dem Durchschnittskurs der Sema-Aktie Anfang Februar, war Schlumberger bereit zu zahlen. Da die Kaufsumme in bar und nicht in eigenen Aktien beglichen werden soll, rechnet sich das Unternehmen mit Sitz in New York größere Chancen aus, dass die Investoren einem Aktientausch zustimmen. Angeblich konnte bereits die Einwilligung der Sema-Direktoren (0,1 Prozent der Anteile), von BNP Paribas (5,1 Prozent) und France Télécom (16,9 Prozent) für die Fusion eingeholt werden. "Es ist unsere freundlichste Übernahme", so Schlumbergers CEO Baird.

Für die Finanzanalysten fiel jedoch das Angebot eindeutig zu freundlich aus. Die Kommentare reichten von einem "heftigen Preis" über "eine Transaktion, die nicht nachvollziehbar ist" bis hin zu spontanen Absenkungen der Kursziele und Kaufempfehlungen. "Schlumbergers Schritte außerhalb des Ölgeschäfts verliefen bislang fast immer enttäuschend", berichtete William Herbert von Simmons & Co. gegenüber dem "Wall Street Journal". Außerdem sei dieser Deal größer als alle anderen zuvor - "zu groß", so ein Analyst der Deutschen Bank Alex Brown. Kollege James Stone von UBS Warburg pflichtete dem bei: "Wir hatten eigentlich erwartet, dass sie sich aus den Geschäftsfeldern abseits des Öls zurückziehen und nicht noch Geld hineinpumpen."

Auch der Chef von Schlumberger musste zugeben, dass Sema nicht der optimale Übernahmekandidat gewesen sei. Allerdings "steht die Informationstechnologie gerade am Anfang, und wir wollen daran teilhaben", so Baird gegenüber einem Nachrichtendienst. Außerdem gebe es verschiedene Synergieeffekte, die beiden Unternehmen helfen würden. Diese seien vor allem in der Telecom- und Versorgungsbranche zu finden, wo man gezielt die eigene Smartcard-Einheit mit Services verstärken wolle. Gerade in letzterem Segment sei Sema stark vertreten.

Ferner wird der IT-Dienstleister weiterhin Projekte für Dritte abwickeln, und nicht zuletzt ließen sich die Ölfelddienste von Schlumberger mit Integrations- und Outsourcing-Leistungen anreichern. Aufgefangen von Sensoren in den Bohrlöchern, gelangen die Informationen in die Datenbanken der Ölfördergesellschaften, werden dort analysiert und an die Desktops der Mitarbeiter ausgegeben, lautet Bairds Vision von seinem Konzern im Internet-Zeitalter: "Genau das brauchen wir."

Zu diesem Zweck sollen die rund 20000 Sema-Mitarbeiter mit einer Division von 10000 Schlumberger-Kollegen zusammengeführt werden. Ihr Chef wird vorerst Bonelli, dem nach den Management-Querelen Anfang des Jahres bei Sema der Rücktritt nahe gelegt worden war. Ein neuer COO wird ihm aber von der Muttergesellschaft zugeteilt. Man wolle die Firma "als Ganzes" erhalten, versprach Baird, daher sollen wichtige Manager mit finanziellen Zuwendungen an die neue Company gebunden werden. Er gehe davon aus, dass die Transaktion in einigen Wochen abgeschlossen sei, Probleme mit den Kartellbehörden erwartet Baird nicht.

Die Investoren vertrauten den Analysten

Die Kaufsumme von 5,2 Milliarden Dollar wird der Konzern wohl nicht so schnell verdauen können. In den Geschäftsjahren 2001 und 2002 soll sie sich nach Aussage des Schlumberger-Chefs gewinnsenkend auswirken, erst 2003 werde die Ausgabe neutralisiert sein. Analysten rechnen damit, dass dieses Jahr das Ergebnis von Schlumberger um bis zu 13 Prozent belastet wird. Die Investoren jedenfalls folgten Anfang der letzten Woche den Wallstreet-Experten: Der Aktienkurs von Schlumberger sank um rund 18 Prozent ab, gleichzeitig stiegen die Papiere von Sema um 16 Prozent an.

Um die hohe Schuldenlast zu finanzieren, spielt der Konzern zudem bereits Exit-Szenarios für einige Teilbereiche durch: Die Abteilungen Messgeräte und Halbleitertester könnten verkauft werden, Letztere brachten Schlumberger im vergangenen Jahr sowieso nur Verluste ein. Zusammen mit anderen Veräußerungen sei so innerhalb der nächsten Jahre ein Erlös von rund zwei Milliarden Dollar möglich. Mit dem Geld könnte sich Schlumberger dann ganz auf die wirklich interessanten Branchen konzentrieren: IT und Öl.

Winterschlussverkauf

Neben Sema hat Schlumberger Anfang Februar gleich noch zweimal zugeschlagen. Zuerst wechselte die Groupe-Bull-Tochter Bull CP8 für rund 325 Millionen Dollar den Besitzer. Das französische Unternehmen arbeitet im Smartcard-Bereich und verkauft speziell gesicherte Chiplösungen und Applikationen an Banken und den Telco-Sektor. Zwei Tage nach Sema wurde das Unternehmen PCS Innovations übernommen. Die Firma entwickelt Plattformen, Tools und Dienste für mobile Internet-Zugriffe. Finanzielle Details wurden in diesem Fall nicht genannt. Wie auch Sema werden beide Firmen in die Schlumberger-Division Test & Transactions integriert.

Links

- www.slb.com

- www.schlumberger-deutschland.de

- www.sema.com

Abb: Kurskorrekturen

Bekanntes Bild: Der Einkäufer verliert an Börsenwert, der Übernahmekandidat hingegen erfreut sich plötzlicher Beliebtheit. (Quelle: CW-Grafik)