DDR auf der Leipziger Frühjahrsmesse um Profilierung bemüht:

Schlüsseltechnologien sind auf dem Vormarsch

28.05.1982

Die Leipziger Frühjahrsmesse diente der DDR auch in diesem Jahr als willkommene Gelegenheit, neu realisierte Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik vorzustellen. Gegenüber der Fülle neuer Produkte des Veranstalterlandes nahmen sich die Exponate aus den anderen Comecon-Staaten vergleichsweise bescheiden aus. Klaus Krakat Mitarbeiter des Westberliner Wirtschaftsforschungsinstituts DW, hat sich für die COMPUTERWOCHE in Leipzig umgesehen.

Im Mittelpunkt der diesjährigen Messe standen die Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik im Werkzeugmaschinenbau. Die Kombinate aus diesem Bereich stellten zum Beispiel spezielle Dreh- und Fräsmaschinen, Manipulatoren sowie Industrieroboter vor. Wie hervorgehoben wurde, können die mit Mikroprozessorsteuerungen ausgerüsteten Bearbeitungszentren durch Hinzufügen von speziellen Werkstückspeichern zu Fertigungszellen erweitert werden.

Den technischen Kern dieser zum Teil neuen Erzeugnisse bilden frei programmierbare Mikroprozessoren vom Typ "CNC 600" sowie spezielle mikroelektronische Steuerungssysteme aus dem VEB (Volkseigener Betrieb) Numerik "Karl Marx", Karl-Marx-Stadt. Numerik ist der alleinige Produzent von Robotersteuerungen in der DDR und gehört zum Kombinat Automatisierungsanlagenbau in Ost-Berlin. Aus diesem VEB stammen auch die Handeingabe-Steuerung "CNC-H-600", eine frei programmierbare Steuerung für punktgesteuerte Industrieroboter und Manipulatoren, sowie die erstmals gezeigte frei programmierbare Prozeßsteuerung "PC 600".

Erhöhtes Niveau

Wie der Direktor für Absatz und Außenwirtschaft von Numerik, Meschner, mitteilte, hat sich durch die Anwendung der Mikroelektronik das Niveau der Steuerungstechnik in der DDR wesentlich erhöht. Daher sieht man sich auf der Grundlage der vorhandenen Möglichkeiten nunmehr in der Lage, auch auf westlichen Märkten aktiv zu werden. Die Absatzchancen werden dabei durchaus positiv eingeschätzt, zumal bereits enge Kontakte zu einem westlichen Industrieland - vermutlich Frankreich - geknüpft seien.

Der VEB Elektroprojekt und Anlagenbau in Ost-Berlin zeigte die Automatisierung von Industrieanlagen am Beispiel eines Walzwerkprozesses. Kernstück ist dabei das auf der Messe erstmals vorgeführte universelle mikrorechnergeführte Automatisierungssystem "audatec". Dieses System ist nach den Angaben des Herstellers als ein funktionell und räumlich dezentrales Anlagenautomatisierungssystem zu verstehen, das auf zwei Hierarchieebenen realisiert ist.

Der Einsatz der Mikroelektronik wurde auch von anderen Industriekombinationen demonstriert. Zu den auf der Messe vorgestellten Industrierobotern zählte beispielsweise der Roboter "IRS 300" mit kühlbaren Greifersystemen zur Handhabung von Werkstücken bis 300 Kilogramm Masse für Gießerei- und Schmiedebetriebe aus dem VEB Schwermaschinenbaukombinat "Ernst Thälmann" in Magdeburg. Als Neuheit stellte dieses Kombinat außerdem eine mikroprozessorgesteuerte Telefonaderstraße zur Herstellung plastisolierter Telefonadern und Schaltdrähte vor.

Im Vordergrund des Exponateprogramms des VEB Carl Zeiss Jena stand die neue Ausrüstungsgeneration mikrolithografischer Geräte; sie ist vornehmlich auf die Arbeit mit Silizumwafern von 150 Millimeter Durchmesser sowie auf VLSI-Technik ausgerichtet. Wie verlautete, sind sämtliche Geräte in enger Zusammenarbeit mit sowjetischen Partnern entwickelt worden.

Im Ausstellungsprogramm des VEB Kombinat Robotron, Dresden, nahmen ebenfalls Anwendungen einen besonderen Platz ein. Vorgestellt wurden spezielle Lösungen für Maschinenbaubetriebe, die gemeinsam von Robotron und dem Werkzeugmaschinenbau der DDR ausgearbeitet worden sind. Robotron zeigt darüber hinaus unter der Bezeichnung "komplexe Materialwirtschaft für Industrie und Handel" eine neue Softwarelosung mit dem Basisrechnersystem A 6402 und der Möglichkeit, onlinegekoppelte Bildschirmterminals einzubeziehen. Außerdem präsentierte der Dresdner VEB einen neuentwickelten "Arbeitsplatz für Konstrukteure und Technologen" zur Herstellung von Leiterplatten. Die Basis hierfür ist das Mikrosystem K 1620.

Robotron mit vielen Neuentwicklungen

Als Beitrag für den Einsatz von Gerätetechnik und Software in der Medizin stellte Robotron das mikrogesteuerte Krebsbestrahlungs-Planungssystem "dopsy-r" vor. Hauptbestandteile dieses Systems sind der Robotron-Mikrorechner K 1630 mit speziellen Ein-/Ausgabegeräten. Die Hardware-Konfiguration des K 1630 besteht aus der Zentraleinheit mit Arithmetikprozessor (bei einer Verarbeitungsbreite von 16 Bit parallel mit einem Adressierungsbereich von 256 KB). Als Datenträger werden ein Kassettenplattenspeicher mit 25-MBit-Platte sowie zwei Floppy-Disk-Laufwerke mit 3,2-MBit-Laufwerk verwendet. Wie es am Robotron-Stand auf der Messe hieß, bietet das Bestrahlungssystem die Möglichkeit, für jeden Patienten die optimale Dosis aus einer Vielzahl von Variationsmöglichkeiten auszuwählen.

Zu den weiteren Neuentwicklungen von Robotron zählt der Steuerrechner "SK 4310 ENSAD" für den Einsatz in der Nachrichtentechnik. Er ist die gerätetechnische Basis für die Steuerung von Fernsprechvermittlungszentralen bis zu 4000 Anschlußeinheiten. Der Prozessor verarbeitet ungefähr 300 000 Operationen pro Sekunde. Für die Bearbeitung der vermittlungstechnischen Probleme stehen 46 zum Teil spezielle Arbeitsbefehle sowie 18 Kontrollbefehle zur Verfügung. Eine besondere Unterbrechungs- und Prioritätensteuerung gestattet die Bearbeitung in acht Programmniveaus. Die Verarbeitungsbreite der acht Register beträgt 16 Bit.

Neben den Hardware-Erzeugnissen aus dem Erzeugnisprogramm "Dezentrale Datentechnik" zeigte Robotron die bereits vor einem Jahr erstmals vorgestellte Zentraleinheit "EC 2655 M" mit einem neuentwickelten Serviceprozessor sowie "Eser" -Peripherie aus anderen Comecon-Ländern. Als besonderes Merkmal der neuen Robotron-Hardware des Eser wurde vor allem hervorgehoben, daß sich durch die Berücksichtigung hochintegrierter Schaltkreistechnik die Hauptspeicherkapazität um 200 Prozent erhöht habe. Das Gerätevolumen sei gleichzeitig um ein Drittel reduziert worden. Auf der Messe wurden erstmals die Geräte des Erzeugnisprogramms "Dezentrale Datentechnik" demonstriert.

Von den OEM-Baugruppen standen neben weiterentwickelten kontaktlosen Tastaturen-eine Baureihe von Stromversorgungsmodulen sowie der Thermostreifendrucker TSD 16 mit Drucker- und Einzelblatteinzug im Robotron-Angebot.

Sowjetunion ordert

Noch während der Ausstellung wurde im "Neuen Deutschland" bekanntgegeben, daß auf der Grundlage bestehender Verträge von dem Dresdner VEB Datenverarbeitungsanlagen, Buchungs- und Fakturierautomaten und Druckwerke in die Sowjetunion geliefert werden sollen. Der Gesamtwert der gegenseitigen Lieferungen umfaßt etwa 228 Millionen Rubel. Von der Tschechoslowakei wurden EDV-Anlagen, Buchungs-, Fakturier- und Datenerfassungsgeräte im Wert von rund 27 Millionen Rubel geordert. Für Ungarn ist der Export von Datenerfassungs- und Drucktechnik sowie Buchungs- und Fakuriermaschinen im Wert von rund 15 Millionen Rubeln bestimmt, von Polen sind Robotron-Erzeugnisse im Wert von 14 Millionen Rubel gekauft worden, und das bulgarische Außenhandelsunternehmen Isotimpex bestellte von Robotron eine Anlage vom Typ "EC 1055". Nicht wie geplant scheint sich dagegen der Export von Robotron-Erzeugnissen in westliche Länder vollziehen. Daher zielen die Aktivitäten nach wie vor darauf ab, den West-Export mit Hilfe geeigneter Vertriebswege zu sichern und auf dieser Basis auszudehnen.

Auch weiterhin Versorgungsengpässe in der DDR

Trotz der Leistungsdemonstration in Leipzig scheint dennoch eine ausreichende Versorgung der vor allem an den neuen Robotron-Erzeugnissen aus dem Programm "Dezentrale Datentechnik" interessierten DDR-Kunden noch nicht möglich zu sein. So kann bisher noch nicht jeder Betrieb die auf der Systemfamilie Robotron K 1600 basierenden gerätetechnischen Anwenderlösungen kaufen. Hier können sich nur solche Betriebe Hoffnungen machen, die zu den von der Parteiführung gegenwärtig favorisierten Industriebereichen zählen. Überbrückt werden derartige Beschaffungsprobleme zum Beispiel durch den Kauf leistungsfähiger ungarischer Mikrorechner. Das Interesse an westlicher Technologie ist zwar nach wie vor groß, doch hält man sich hier vor allem wegen der engen Embargo-Bestimmungen des Westens merklich zurück.

Sowjetunion enttäuscht

Vom sowjetischen Technologieniveau ist auf der Messe in Leipzig wenig zu spüren, obwohl die UdSSR nach einigen Angaben seit etwa 1961 integrierte Schaltkreise herstellt und ab 1978 auch mit der Produktion von Mikroprozessoren begonnen hat. Seit einiger Zeit fertigt man auch Industrieroboter und verfügt über eine individuell einsetzbare Steuerelektronik.

Zu den Erzeugnissen, mit denen das sowjetische Außenhandelsunternehmen Elektronorgtechnika vertreten war, zählten verschiedene Peripheriegeräte aus dem Eser-Programm, der Mikrocomputer "Elektronika-60 M" auf CMOS-LSI-Schaltkreisbasis, der Steuerrechner "SM 1800" sowie der von der UdSSR und der DDR auf einer "Kollektivausstellung" vorgestellte "Steuerungs-Rechnerkomplex SM-4", ein bereits seit längerer Zeit produzierter Rechner aus dem "System der Kleinrechner" des Comecon.

Ungarn mit großem Leistungsangebot

Gemessen am Niveau der ausgestellten Erzeugnisse waren einige andere Comecon-Länder dem sowjetischen Messebeitrag mindestens ebenbürtig. Eine Spitzenstellung nahm hier wiederum Ungarn mit seinem Leistungsangebot ein. Zu den von den Unternehmen Videoton, Metrimpex und Budavox vorgestellten Erzeugnissen zählten:

- Das mit zwei Zentraleinheiten ausgerüstete Datenerfassungssystem "R11" von Videoton,

- Bildschirmterminals aus der alphanumerischen Videoterminalserie "VDT 52 100". Der modulare Aufbau dieser Terminalserie ermöglicht nach Angaben von Videoton die flexible Gestaltung der für verschiedene Aufgaben geeigneten Systemkomponenten. Das reicht von der einfachsten Fernschreiber-kompatiblen Ausführung über die anspruchsvolleren Terminalfunktionen dienenden Geräte bis hin zu den intelligenten Terminals.

- Ein Kommunikationsterminal auf VT 53000-Basis: Seine Editor- und Transferarten ermöglichen nach Angaben von Videoton die Realisierung beliebiger Textfiles, die Programmentwicklung, Datenkonversion zwischen Floppy, Lochkarte und Lochband sowie Remote-Job-Entry-Funktion über Synchronlinie.

- Der neue Mikrorechner "HT-680" von Metrimpex sowie

- ein in Zusammenarbeit mit anderen Comecon-Ländern entwickeltes Datenerfassungssystem "Ordas" mit acht Arbeitsplätzen, welches als intelligentes Terminal in Rechnernetzen eingesetzt werden kann.

Außerdem wurde in Leipzig immer wieder auf die Vielzahl der entwickelten Applikationsprogramme und Spezialsoftware für die verschiedensten Branchen hingewiesen.

CSSR und Rumänien mit Schwerpunkten

Wie bereits im Vorjahr dominierten bei dem tschechoslowakischen Außenhandelsunternehmen KOVO auch diesmal wieder Erzeugnisse der elektrotechnischen und elektronischen Industrie. Aus der Produktion des volkseigenen Unternehmens Tesla Rosnov wurden verschiedene Schaltkreise, darunter der 8-Bit-Mikroprozessor MHB 8080 sowie dynamische 16-K-Bit-RAMs gezeigt. Zur Mikroelektronik hieß es bei KOVO daß dieser Industriezweig in enger Anlehnung an die Zielprogramme der anderen Comecon-Länder angepaßt werden soll. Mikroprozessoren, Halbleiterspeicher und ergänzende Schaltkreise für den Bedarf in der CSSR sollen 1985 zu 80 Prozent aus der eigenen Produktion kommen. Als Basis für die auf Wachstum orientierte Produktion elektronischer Bauelemente wird dabei die Zusammenarbeit mit der UdSSR und der DDR angesehen.

Als Bestandteil des "Systems der Kleinrechner" der Comecon-Länder stellte Kovo aus dem Bereich der elektronischen Rechnertechnik das Kleinrechnersystem "SM 4-20" mit Schnelldrucker und Datensichtgerät vor.

Durchaus interessant waren auch die Exponate des rumänischen Außenhandelsunternehmens Electronum. Als wichtigster Messebeitrag können der Minirechner "Independent 102 F", das Kleinrechnersystem "M 118", die programmierbare Steuerung "AP 107" sowie Datenerfassungs- und Verarbeitungsterminals besonders hervorgehoben werden.

Erstaunlich ist es immer wieder mit welchem umfangreichen Erzeugnisangebot Bulgarien aufwartet. In diesem Jahr stellte das Außenhandelsunternehmen Isotimpex unter anderem die Anlage "ISOT 1002 s" speziell für den Einsatz in der Lagerwirtschaft, das Mikrocomputersystem "1016 C" sowie Peripherie vor. Die bulgarische elektronische Industrie hat vor allem mit sowjetischer Hilfe in relativ kurzer Zeit Produktionskapazitäten für die Rechner-und Nachrichtentechnik, den Gerätebau, für Automatisierungsmittel und Bauelemente einschließlich der Mikroelektrortik entwickelt. Bulgarien spezialisierte sich vor allem innerhalb des Eserprogramms auf den Bau von externen Speichern und Magnetplattensätzen für elektronische Datenverarbeitungsanlagen. Daneben wurde in den letzten Jahren die Mikroelektronik besonders gefördert. Bulgarien ist daher mehr und mehr in der Lage, nicht nur Einzelprodukte, sondern ebenso komplette elektronische Systeme zu entwickeln und zu produzieren.

Polen ohne Neuheiten

Am polnischen Mera-Metronex-Stand war wegen der anhaltenden desolaten Wirtschaftsituation nichts Neues zu sehen. Man griff hier auf Erzeugnisse zurück, die bereits seit längerer Zeit zum "Mera"-Produktionsprogramm gehörten, wie zum Beispiel das modulare Kleinrechnersystem Mera 400, ein Zweiprozessorsystem, das bis zu 500 000 Operationen pro Sekunde ausführen kann, sowie Terminalsysteme.