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SAPs langer Weg zur ESA

28.01.2004
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit der "Enterprise Services Architecture" (ESA) verfolgt SAP das Ziel, R/3 und mySAP in die Web-Services-Ära zu überführen. Damit wollen die Walldorfer leichter wartbare Systeme liefern und die eigenen Entwicklungskosten senken.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit dem Konzept "Enterprise Services Architecture" (ESA)" verfolgt SAP das Ziel, R/3 und die Mysap-Produkte von der Client-Server- in die Web-Services-Ära zu überführen. Damit wollen die Walldorfer den Kunden leichter wartbare Systeme liefern und die eigenen Entwicklungskosten senken.

SAP-Vorstandschef Henning Kagermann versuchte auf einem Kongress des "Handelsblatt" und Euroforum die Kunden auf ein neues Zeitalter einzustimmen. "Die IT-Industrie befindet sich mitten in einer Innovationswelle nach zentraler Informationssysteme und Client-Server. Sie betrifft die Architektur." Hintergrund ist die vergangenes Jahr beschlossene Weiterentwicklung der SAP-Software hin zu einer Service-oriented Architecture namens Enterprise Services Architecture.

Wie die ERP-Umgebung R/3 basieren auch die Mysap-Produkte der SAP auf dem Client-Server-Prinzip. Das Konzept wurde früher als kostengünstige und flexible Alternative zu Mainframe-Software gehandelt, doch inzwischen bereiten diese Programme den SAP-Kunden einiges Kopfzerbrechen: Client-Server-Programme müssen mit viel Aufwand an die Bedürfnisse der Firmen angepasst werden. Ist das getan, stellen die Anwender fest, dass die so veränderten Programme die Wartung erheblich erschweren. Das Einspielen neuer Versionen beansprucht daher nicht selten mehrere Monate. Darüber hinaus verschlingt die Integration von Client-Server-Software mit Produkten des gleichen Herstellers oder den Systemen eines Drittanbieters enorme Summen.

Kunden sind jedoch nicht mehr bereit, einen großen Teil ihrer IT-Budgets für Wartung und Integration zu verpulvern. Anbieter wie SAP stehen daher unter Druck, pflegeleichtere Software zu liefern. Einen Ausweg sucht das Unternehmen in modularen Produkten, bei denen die Funktionsbausteine über Schnittstellen lose miteinander gekoppelt werden. Wie alle anderen Anbieter von Business-Software bevorzugt auch SAP Web-Services-Standards als Schnittstellen-Technik. Die Herkulesaufgabe der Softwareentwickler besteht nun darin, die komplexen Strukturen der Client-Server-Software aufzubrechen, Module abzuspalten und mit Web-Services-Schnittstellen auszustatten. Den Fahrplan in Richtung ESA hat SAP erstmals Anfang 2003 der Öffentlichkeit präsentiert. Für die Umsetzung dieses und anderer Vorhaben wurde Mitte 2003 die Abteilung "Application Plattform and Architecture" unter der Leitung von Vorstandsmitglied Peter Zencke gegründet (Computerwoche berichtete).

Ein erster Schritt auf dem Weg zu ESA war das aktuelle ERP-Release "R/3 Enterprise", das zumindest teilweise in Komponenten zerlegt wurde. Allerdings ist man von einer echten Modularisierung noch weit entfernt. Der Grund: SAP hat über die Jahre sein ERP-Produkt erweitert, was zu zahlreichen Abhängigkeiten zwischen den Funktionen führte. "Zuerst einmal müssen die Entwickler analysieren, wie sich R/3 technisch in Grobkomponenten zerlegen lässt", erläutert ERP-Experte Rüdiger Spies, Vice President Enterprise Applications beim Beratungshaus Meta Group in Ismaning. Gleiches gilt für die wesentlich jüngeren Mysap-Produkte, bei denen eine Aufspaltung hingegen leichter fallen dürfte. Im Rahmen des internen SAP-Projekts "Vienna", das in den letzten Wochen mehrfach in den Medien geisterte, sollen etwa 600 Spezialisten die Programmstrukturen von R/3 und Mysap durchleuchten, Abhängigkeiten zwischen

Funktionsblöcken feststellen und Möglichkeiten zur Zerlegung in Teilkomponenten aufzeigen.

Zur Modularisierung von Client-Server-Software bieten sich generell zwei Methoden an: Entweder spalten die Entwickler die betreffenden Programmbausteine ab, kapseln den alten Code und versehen ihn mit Web-Services-Schnittstellen. Alternativ dazu können die Spezialisten die betreffenden Bausteine auch komplett neu schreiben. Letzteres ist zwar aufwändiger, doch nach Ansicht von Experten werden die Walldorfer nicht umhin kommen, einen Teil ihrer in der hauseigenen Programmiersprache "Abap" codierten Software neu zu entwickeln. Für die Produktentwicklungen setzt SAP auf das Java-Developer-Tool "Eclipse" und empfiehlt auch seinen Kunden, damit zu arbeiten. "Es wäre sicher gut, wenn langfristig große Teile der SAP-Software in Java geschrieben werden", gibt SAP-Vorstandschef Henning Kagermann die Richtung vor.

Die Anwendungsbausteine sollen über definierte Web-Services-Interfaces miteinander kommunizieren und in eine Art Dienstleistungsverhältnis treten: Dabei fordert ein Programmmodul von einem anderen eine Leistung an, sei es das Berechnen eines Liefertermins oder das Verbuchen einer Rechnung. Die aufgerufene Komponente liefert ein Ergebnis. Damit dies reibungslos funktioniert, ist Integrationstechnik erforderlich, die SAP über die Infrastrukturplattform "Netweaver" liefern will, zu deren Hauptkomponenten die Vermittlungstechnik (Integration Broker) "Exchange Infrastructure" und die Ablaufumgebung "Web Application Server" zählen.

Neben den Kernprodukten wie R/3 und Mysap sollen auch die zahlreichen Branchenlösungen der SAP vom ESA-Konzept profitieren. Hier haben sich über die Jahre viele Redundanzen eingeschlichen, unter anderem deshalb, weil die Entwicklerteams schlecht zusammengearbeitet haben. So verwenden mehrere "Industry Solutions" beispielsweise verschiedene Produktkonfiguratoren für sehr ähnliche Aufgaben. "Künftig könnte es einen universellen Konfigurator geben, der in einer Branchenlösung für die Fertigungsindustrie dazu dient, für einen Kunden einen Lastwagen zu konfigurieren, und in einer Industry Solution für Telekommunikation zum Zusammenstellen kundenindividueller Telefondienste genutzt werden kann", erläutert Spies von der Meta Group. Für weniger Redundanzen soll die von Zencke geleitete Entwicklungsabteilung sorgen, indem sie generische Bausteine entwirft und den drei für die Industrielösungen verantwortlichen "Business Solution Groups" zur

Verfügung stellt.

Mit dieser Herangehensweise glaubt SAP zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Leichter wartbare Produkte für die Kunden und weniger Entwicklungsaufwand für die eigenen Softwarespezialisten. Schließlich möchte der Konzern seine Entwickler lieber damit beschäftigen, neue Software zu schreiben, statt sie komplexe Altprodukte pflegen zu lassen.

Darüber hinaus soll die Enterprise Services Architecture dazu dienen, prozessorientierte Lösungen zu bauen, die Funktionen verschiedener Applikationen nutzen. Module werden je nach Prozess zusammengezogen, egal, ob sie Teil des CRM-, ERP- oder SCM-Produkts der SAP sind. Hierzu arbeiten die Walldorfer eng mit IDS Scheer zusammen, dem führenden Anbieter von Software zur Optimierung von Geschäftsprozessen. In dessen Tool "Aris" definierte Prozessmodelle sollen sich direkt in funktionierende, prozessorientierte Anwendungen überführen lassen. Darüber hinaus bringt der Softwarekonzern mit den "Xapps" vermehrt vorkonfigurierte Geschäftsprozesslösungen auf den Markt. Xapps greifen auf Teilfunktionen verschiedener Applikationen von SAP oder von Drittherstellern zu, die für einen bestimmten Geschäftsprozess erforderlich sind.

Eine modulare Softwarearchitektur könnte SAP nach Ansicht des ERP-Experten Spies auch dazu verhelfen, sich doch noch als Mittelstandsanbieter zu profilieren. Dieser Kundenkreis vermochte sich bislang nicht so recht für die Produkte aus Walldorf zu erwärmen. Der Grund: Nach Meinung vieler Beobachter klafft in SAPs Portfolio eine Lücke zwischen dem für kleine Firmen konzipierten "Business One" und den Komplettpaketen "All in One" für den gehobenen Mittelstand.

So viel zur Theorie, denn der Weg vom Client-Server-Ansatz zur Servicearchitektur ist lang - sowohl für SAP als auch für die Kunden. Zudem besteht keine Garantie, dass mit Serviceorientierten Softwarearchitekturen alles besser wird. "Ganz zu Ende gedacht hat dieses Konzept bislang niemand", gibt ERP-Kenner Nils Niehörster, Geschäftsführer von Raad Consult aus Münster, zu bedenken. "Wenn viele Web-Services-Module zusammengeflanscht werden, entsteht im Laufe der Zeit ein hoher Grad an Komplexität, auch wenn jeder Web-Service für sich allein genommen einfach aussieht."

Und zuweilen kollidiert der Ideenreichtum der Walldorfer mit den Interessen der Anwender. "SAP-Anwender gliedern sich in zwei Gruppen: Die einen sagen, das ESA-Konzept ist längst überfällig, die anderen wollen am liebsten nichts an ihren IT-Systemen verändern", beschreibt Helmuth Gümbel, Managing Partner der Unternehmensberatung Strategy Partners aus dem schweizerischen Scuol, das Befinden der SAP-Klientel.

Während SAP bereits an der künftigen Systemarchitektur arbeitet, haben viele Anwender ganz andere Sorgen: Sie sehen sich gezwungen, ihre R/3-Installation zu modernisieren, um auch weiterhin Support und Wartung vom Hersteller zu erhalten. "SAP muss sehr behutsam vorgehen und das ESA-Konzept an einem Prototypen demonstrieren", meint Gümbel. Dabei gelte es, den Balanceakt zwischen alten Produkten wie R/3 und der neuen Softwarearchitektur hinzubekommen. "Mit einer Revolution fänden wir kein Gehör beim Kunden", versucht Konzernchef Kagermann Gemüter zu beruhigen, denen schon jetzt vor dem nächsten Generationswechsel der SAP-Technik graut. Man verfolge in Sachen Service-oriented Architecture daher einen evolutionären Ansatz.

Umsatz in der Emea-Region bröckelt

SAPs Umsatz für das Jahr 2003 sank gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent auf 7,025 Milliarden Euro (7,413 Milliarden Euro). Davon entfielen auf Softwarelizenzen lediglich 2,147 Milliarden Euro, womit der Konzern sechs Prozent weniger mit Programmen umgesetzt hat als 2002. Der währungskursbereinigte Wert liegt ein Prozent über dem Vorjahresumsatz. In der Emea-Region (Europa, Naher Osten und Afrika), SAPs wichtigstem Markt. gingen die Lizenzeinnahmen sogar um zehn Prozent zurück (minus neun Prozent ohne Währungseinflüsse).

Am meisten Federn lassen mussten die Produkte für Finanzbuchhaltung und Personalwesen: So schrumpften die Umsätze mit den Kernprodukten "Mysap Financials" und "Mysap Human Resource" um satte 14 Prozent auf 927 Millionen Dollar. Gedämpft war auch die Nachfrage nach "Mysap Customer Relationship Management" (minus sieben Prozent), dennoch bezeichnet sich SAP hier als Marktführer, da die Konkurrenz noch stärkere Rückgänge hinnehmen musste. Auch der kleinste Umsatzträger "Mysap Product Lifecycle Management" war weniger gefragt (minus acht Prozent). Lediglich von Lizenzen für das Supply Chain Management ("Mysap SCM"), das gemessen am Umsatzanteil zweitwichtigste Produkt, konnten die Walldorfer mehr verkaufen als im Vorjahr (plus drei Prozent).

Die Einnahmen mit den Produkten "Mysap Business Intelligence", "Enterprise Portal", "Mysap Supplier Relationship Management" und die Marktplätze fasst der Konzern zusammen. Diese Kategorie wuchs ebenfalls, und zwar um fünf Prozent.

Das bei Kunden noch immer meistgenutzte Produkt "R/3" wird in den FInanzberichten nicht gebündelt erfasst. Vielmehr verteilt der Konzern das ERP-Neugeschäft auf die genannten Lösungskategorien: Wenn ein R/3-Kunde weitere Benutzerlizenzen erwirbt, verbucht der Konzern diese Umsätze je nach Einsatzzweck. Nutzt der Anwender etwa die neuen Softwarelizenzen für die Finanzbuchhaltung, werden sie der Lösungskategorie "Mysap Financials & Mysap HR" zugeschlagen.

Den Einnahmen aus Lizenzen in Höhe von 2,147 Milliarden Euro stehen 2,569 Milliarden Euro an Wartungsumsätzen gegenüber. Letztere stiegen um sechs Prozent. Mit Services (Schulung und Beratung) erzielte der Konzern einen Umsatz von 2,253 Milliarden, ein Minus von 14 Prozent.

Kräftig gestiegen ist hingegen das Konzernergebnis: Hier weist die SAP AG 1,080 Milliarden Euro aus, ein Plus von 571 Millionen Euro oder 112 Prozent. Der Gewinn je Stammaktie beläuft sich damit auf 3,48 Euro.

Im Jahr 2003 waren 29 610 Mitarbeiter bei SAP beschäftigt, drei Prozent mehr als im Vorjahr.