Keine Zahlungen, Abbuchungen und Überweisungen möglich

SAP-Projekt bringt Stromversorger in Not

16.11.2001
MÜNCHEN (jm) - Dem Energieversorger GEW Köln AG wurde die großflächige Umstellung auf eine SAP-Branchenlösung fast zum Verhängnis. Nachdem das Abrechnungssystem zum 1. September 2001 seinen Dienst aufnehmen sollte, ging zahlungstechnisch in Teilbereichen gar nichts mehr. Monatelang konnten keine Abschlagszahlungen von Privatkunden mehr verbucht werden.

Auf IT-Probleme bei der GEW-Tochter Bergische Licht-, Kraft- und Wasserwerke (Belkaw) und der Rheinisch-Bergischen Versorgungsgesellschaft mbH (RBV) war die Öffentlichkeit indirekt durch eine Anzeige der beiden Energieversorger in der Zeitung "Bergisches Handelsblatt" vom 31. Oktober 2001 aufmerksam geworden. Hierin teilten die Firmen ihren Kunden mit, dass sie Abrechnungen "zukünftig über ein neues EDV-System in Euro" erstellen würden. Bei der Umstellung auf das neue System seien "leider unvorhersehbare Schwierigkeiten" aufgetreten.

Die Probleme rührten jedoch nicht von der Euro-Anpassung her. Vielmehr drohte die zuständige IT-Abteilung der GEW Köln AG an der Komplexität eines Migrationsprojekts zu scheitern. Nicht nur wurden die Daten der rund 120000 Privatkunden der Belkaw/RBV von einem eigenentwickelten Host-Verbrauchsabrechnungs-System des Belkaw-IT-Dienstleisters RKU auf die SAP-Branchenlösung "Industry Solution Utilities/Customer Care and Services" (IS-U/CCS) übertragen.

Zur gleichen Zeit setzten die IT-Experten der GEW auch noch die Daten ihrer eigenen rund 650000 Kunden von dem in der Energiewirtschaft eingesetzten System "Integriertes Rechnungswesen im Dialog" (IRD ) auf IS-U/CCS um.

"Bei der Migration all dieser Daten kam es zu Problemen. In der Folge lag auf dem IS-U-System keine vernünftige Datenbasis vor, auf der dann Abrechnungen hätten erfolgen können", erklärt Christoph Preuß, Pressesprecher der GEW. Die Probleme hätten nichts mit der SAP-Lösung zu tun, "das waren reine Projektschwierigkeiten".

Hans Jürgen Neuheuser, kaufmännischer Geschäftsführer der Belkaw, sagt, mit der inzwischen abgelösten Host-Anwendung des Dienstleisters RKU-Zentrum für Informationsverarbeitung mbH in Herne habe man zwar noch den Wechsel auf das Jahr 2000 geschafft, "die Programme waren aber nicht Euro-fähig". Deshalb hatte auch die RKU-ihr Produktangebot auf die gesamte SAP-Palette inklusive IS-U/CCS umgestellt und ist nach Aussagen eines Mitarbeiters inzwischen ein Customer Competence Center (CCC) der SAP.

Die RKU wurde allerdings als Outsourcer von der Belkaw ausgebootet, seit die GEW Köln AG deren Mehrheitseigner ist (die restlichen 27,19 Prozent hält die REW Energie AG). Der Kölner Energiekonzern unterhält ein eigenes IT-Dienstleistungsteam samt Rechenzentrum in der Abteilung "Management Service-Personal Organisation Informationstechnologie", die seit den Veränderungen der Mehrheitsverhältnisse an der Belkaw auch bezüglich der IT in Bergisch Gladbach das Sagen hat.

Gute VergleichsoptionDen Zuschlag als IT-Dienstleister erhielt die GEW Köln laut Neuheuser auch deshalb, weil "sich mit der Standardsoftware SAP ja die Leistungsangebote verschiedener Outsourcer gut vergleichen lassen. Das Angebot der GEW war im Preis-Leistungs-Verhältnis einfach attraktiver als das der RKU. Auch deshalb haben wir uns für die GEW Köln entschieden."

Die Begeisterung für die Domstädter IT-Dienstleister ist allerdings nicht ungeteilt. "Seit der Umstellung von dem alten RKU-System auf die SAP-Lösung, die die GEW implementiert hat, konnten wir keine Abrechnungen mehr erstellen, keine Abbuchungen per Einzugsermächtigung mehr vornehmen und auch keine Bareinzahlungen von Kunden mehr bearbeiten", sagt Brigitte Schleebusch aus der Öffentlichkeitsabteilung der Belkaw.

Von Anfang September bis Ende Oktober 2001 war die Belkaw nicht in der Lage, einen einzigen Abbuchungsauftrag zu erfüllen. Überweisungen oder Bareinzahlungen der Belkaw- und RBV-Kunden erreichten ihren Empfänger ebenfalls nicht. Jetzt sehen sich die Energieversorger genötigt, über Anzeigen und im Gespräch mit Call-Center-Mitarbeitern ihren Kunden verträgliche Modalitäten für die gesammelten Abschlagszahlungen anzubieten: "Da ist natürlich auf einen Schlag eine sehr große Summe aufgelaufen", so Schleebusch.

Alles auf einmalTeil der Projekt-Malaise sei zudem gewesen, dass die Belkaw/RBV auch ihre gesamte Abrechnungssystematik mit der Umstellung verändert habe, sagt GEW-Sprecher Preuß. Jahrzehntelang hätten alle Privatkunden des Energieversorgers aus Bergisch Gladbach zur gleichen Zeit einmal im Jahr eine Abrechnung erhalten. Mit der Euro- und der IS-U-Umstellung führte die Belkaw nun zudem noch einen "rollierenden Jahresabrechnungsmodus" ein. Bei diesem erhalten die Kunden über die Monate des Jahres verteilt ihre Jahresendabrechnungen. Ziel sei, eine ausgewogenere Auslastung des IT-Systems zu erreichen, bei der man nicht allen 120000 Kunden zur gleichen Zeit die jährliche Gesamtberechnung zusendet, sondern diese auf die zwölf Monate des Jahres verteilt.

Preuß dazu: "Wir mussten also zum einen auf Euro umstellen. Zum anderen stand die Migration von dem RKU-Abrechnungssystem auf IS-U an und die von unserem IRD- auf das SAP-System. Außerdem galt es, das rollierende Abrechnungsmodell einzuführen - und das alles gleichzeitig." Zu allem Übel waren noch eine Menge von Partnern in das Migrationsprojekt eingebunden - unter anderem die Hamburger Unternehmensberatung Mummert & Partner. All diese Faktoren hätten dazu geführt, dass bei der Belkaw/RVB über Monate zahlungstechnisch nichts mehr ging, schildert Preuß.

Seit einer Woche funktioniert auch bei der GEW Köln das Abrechnungssystem laut Belkaw-Geschäftsführer Neuheuser einwandfrei. Man habe begonnen, erste Abrechnungen per Post an die Privatkunden zu verschicken.