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Thema des Tages

SAP-Anwender in der Bredouille

04.11.1999
Thema des Tages

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nachdem amerikanische Großkunden Probleme mit SAPs Business-Software gemeldet haben, wollen die Walldorfer nun ihre Kundenbeziehungen verstärken. Zu diesem Zweck sollen Spezialberater eingesetzt werden, die die Implementierung der SAP-Systeme bei den Anwendern überwachen sollen. Auch andere ERP-Anbieter (Enterprise Resource Planning) wie Peoplesoft sind unlängst mit Problemen bei der Software-Implementierung in die Schlagzeilen geraten, teilweise drohen ihnen Schadensersatzklagen.

Wie das "Wall Street Journal" gestern berichtete, kann der Küchengerätehersteller Whirlpool Corp. aus den USA nicht wie gewohnt ausliefern, seit das SAP-System R/3 Anfang September in Betrieb genommen wurde (CW Infonet berichtete). Einzelhändler und andere Abnehmer der Produkte hatten beklagt, daß ihre Bestellungen entweder zu spät oder in falscher Menge eintrafen. Auch der Süßigkeitenkonzern Hershey Foods Corp. hatte Probleme bei der Auslieferung seiner Produkte, nachdem R/3 ans Netz ging. So blieben die Regale bei einigen Händlern leer, vielerorts mußten die Amerikaner auf die begehrte Halloween-Schokolade verzichten.

Jeff Zimmerman, SAP America Senior Vice President für Kundenbeziehungen, nahm zu den Vorwürfen Stellung. In bezug auf die Probleme bei Whirlpool erklärte er, SAP habe den Gerätehersteller davor gewarnt, die R/3-Software schon Anfang September zu starten, da die Installation noch nicht komplett abgeschlossen gewesen sei. Whirlpool habe nicht hören wollen und das System trotzdem gestartet. Während der Küchengerätefabrikant die Anlaufschwierigkeiten mit R/3 lapidar als normal bezeichnet, sind die Einzelhändler anderer Meinung. Ein Kaufhausbesitzer aus Maine kommentierte aufgebracht: "Ich würde derzeit eher zu einem Produkt von Generel Electric raten, da ich es rechtzeitig geliefert bekomme." Er nimmt an, daß sein Umsatz mit Whirlpool-Artikeln von 800 000 Dollar im vergangenen Jahr auf heuer 200 000 Dollar zurückgehen wird.

Auch Hershey soll das System entgegen der Meinung von Experten zu früh live geschaltet haben. Der Schokoladenfabrikant hatte neben der SAP-Lösung noch Produkte von Manugistics und Siebel Systems eingesetzt und dadurch eine komplexe Infrastruktur erhalten. Trotz aller Warnungen hatte sich Hershey entschieden, einen großen Teil des Systems auf einmal in Betrieb zu nehmen. Hershey hat sich bisher noch nicht zu den Vorfällen geäußert. Andere Kunden allerdings zogen drastische Konsequenzen. So stornierten beispielsweise im Juni 1999 die amerikanischen Müllabfuhrbetriebe Allied Waste Industries Inc. und Waste Management Inc. aus Unzufriedenheit ihre Aufträge an SAP im Wert von mehreren Millionen Dollar (CW Infonet berichtete).

Um künftig solchen Problemen vorzubeugen, will SAP nun sogenannte "Global Overseers" (globale Aufseher) einsetzen, die die Implementierung der Software bei den Kunden überwachen sollen. Diese Berater sollen eng mit den Technologieexperten der Anwender zusammenarbeiten und jedesmal die rote Flagge zeigen, wenn ein Projekt zu komplex wird. Zudem sollen die Consultants bei der Integration von anderen Produkten mit SAPs eigenem ERP-System R/3 helfen. Gleichzeitig erwägt die Softwareschmiede, ihre Empfehlungen an die Kunden aufzuzeichnen. Diese Dokumentation wäre im Falle einer Schadensersatzklage für SAP hilfreich.

Peoplesoft sieht sich derzeit einer Klage ausgesetzt. W.L. Gore & Associates, der Hersteller der Gore-Tex-Markenartikel, wirft dem ERP-Anbieter sowie den Beratern von Deloitte & Touche LLP und Deloitte Consulting vor, die Installation des ERP-Systems in den Sand gesetzt zu haben. Peoplesoft habe mit den Deloitte-Consultants völlig unqualifizierte Kräfte zur Implementierung der Lösung geschickt, so daß Gore sich an die Service-Hotline wenden mußte.

Ein Analyst des Markforschungsunternehmens Forrester Research bezeichnet diese Probleme als ein bekanntes Phänomen. Allerdings würden die betroffenen Kunden erst seit kurzem über ihre Implementierungsschwierigkeiten reden. Vorher seien alle darum bemüht gewesen, die Probleme zu vertuschen. Viele ERP-Projekte scheitern seiner Meinung nach, da die Firmen oft zu hohe Erwartungen an die Software haben und sich nicht bewußt sind, daß der Einsatz solch komplexer Systeme harte Arbeit, hohe Aufmerksamkeit und einen engagierten Projekt-Manager erfordern. Die ERP-Anbieter wiederum gaukelten den Anwendern oftmals vor, ihr System könne alles. In bezug auf SAP beispielsweise würden bis zu 30 Prozent aller Implementierungen nicht die Kundenerwartungen erfüllen.