Die Strategie eines spezialisierten Rechenzentrums

RZ-Dienstleister sollen Firmen DV-technisch entlasten

22.12.1989

Die Zahl der freien Rechenzentren ist in den letzten Jahren drastisch gesunken. Von den 600, die in den frühen siebziger Jahren ihre Dienste anboten, haben ganze hundert überlebt. Darunter sind diejenigen, die sich auf bestimmte Branchen spezialisiert haben, die profitabelsten. Günter Heitzer* beschreibt am Beispiel der Nürnberger Datev die Strategie dieser Branchen-Dienstleister.

Als Grund für den quantitativen Rückgang der Rechenzentren haben Marktbeobachter längst die Konkurrenz durch Büro- und Personal Computer ausgemacht. Offensichtlich ist es Hard- und Softwarehändlern gelungen, vor allem kleinen bis mittelständischen Anwendern eine vom Rechenzentrum unabhängige Position schmackhaft zu machen.

Auf der anderen Seite mehren sich in letzter Zeit die Stimmen, die von einer "Renaissance des Rechenzentrums" sprechen. Weniger gebundenes Eigenkapital, verringertes Risiko von Fehlinvestitionen, keine Probleme mit eigenem DV-Personal oder veraltenden Anlagen und minimale Kosten für Datensicherung sowie Versicherung werden als wesentliche Vorteile der Nutzung von freien Rechenzentren genannt. Auch die Unabhängigkeit von einem Hard-oder Software-Lieferanten gilt vielen Unternehmen als Grund, sich nicht für eine eigene DV, sondern für einen externen Dienste-Anbieter zu entscheiden.

Leistungen durch Spezialisierung erhöhen

Diese RZ-Betriebe haben wiederum erkannt, daß sie die Qualität und Quantität ihrer Leistungen durch Spezialisierung, erhöhen können. So sind sie in der Lage, Unternehmen auf deren Anforderungen hin optimierte DV-Leistungen anzubieten.

Entscheidet sich ein Rechenzentrum für Spezialisierung, so steht die Auswahl strategischer Geschäftsfelder und die grundsätzliche Ausrichtung der Produkt- und Programm-Politik an Anfang. Die Datev beispielsweise hat sich seit ihrer Gründung auf den steuerberatenden Berufsstand eingestellt. Zu diesem gehören vor allem Steuerberater, aber zum Beispiel auch Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerbevollmächtigte sowie in Beratungsgesellschaften zusammengeschlossene Angehörige dieser Berufsgruppen. Rund 30 000 von ihnen sind Mitglieder der eingetragenen Genossenschaft Datev; das entspricht gut 61 Prozent aller bei der Bundessteuerberaterkammer gemeldeten Personen beziehungsweise Gesellschaften.

Folgerichtig betrachtet sich das Unternehmen in erster Linie als Erfüllungsgehilfe des steuerberatenden Berufsstandes. Deshalb ist die Marketingstrategie der Nürnberger in diesem Zusammenhang darauf ausgerichtet, ihre Mitglieder EDV-technisch zu entlasten. Dabei ist wichtig, daß die Genossenschaft die Arbeit der Maschinen nicht anstelle der steuerberatenden Tätigkeit setzt.

Vielmehr soll die Zusammenarbeit dem Steuerberater mehr Spezialwissen, Erfahrungen auf neuen Märkten und damit insgesamt verbesserte Wettbewerbshancen verschaffen.

Die Mitglieder ihrerseits bringen eigenes Wissen, Know-how, in die Genossenschaft ein. Die enge Verbindung des Rechenzentrums mit den Kanzleien bringt regelmäßig Anregungen, Kritik, Wissen sowie Erfahrungstransfer mit sich. Umgekehrt wissen die Entscheidungsträger in einem spezialisierten Rechenzentrumsbetrieb, wo die Interessenschwerpunkte der betreuten Branche liegen.

Eine solche umfassende Betreuung funktioniert nur dann auf Dauer, wenn der Diensteanbieter mit der technologischen Entwicklung Schritt hält. Als einen Meilenstein betrachtet das Unternehmen die bereits seit 1974 im eigenen Netz verfügbare Datenfernübertragung.

Zur Zeit besteht dieses aus 34 Kopfstellen, 591 Leitungen für 1200 Bit pro Sekunde (bps), 245 Leitungen für 2400 bps, drei Testleitungen und einer Euroleitung (für 1200 bps). Die technischen Investitionen beliefen sich beispielsweise 1988 bei einem Umsatz von 501,7 Millionen auf 88 Millionen Mark.

Die expansive Entwicklung am PC-Markt konfrontiert die spezialisierten DV-Dienstleistungsanbieter mit wichtigen strategischen Entscheidungen. Lange Zeit wurden PCs von den eingeführten Rechenzentren unterschätzt. Viele wollten erst einmal die Entwicklung abwarten oder waren gar davon überzeugt, daß dem Kleinrechner lediglich die Funktion eines Terminals zukäme und sich deshalb an ihrem Marketing gar nichts ändern müsse. Genau diese abwartende Haltung beziehungsweise Fehleinschätzung hat viele der alten Rechenzentren die Existenz gekostet.

Die Nürnberger haben den PC schon 1984 in ihr Verbundsystem integriert. Waren Ende 1985 erst 8975 PCs der Mitglieder mit dem Rechenzentrum in Nürnberg verknüpft, so sind es inzwischen bereits 35 548, und die Anzahl der Programme, die im Verbund genutzt werden können, wird ständig erweitert.

Laufendes LAN-Pilotprojekt

Beim Mitglied vor Ort kann in diesem Bereich auch die Kanzleivernetzung (LAN) gesehen werden. Grafisch betrachte ließe sich etwa das Verbundsystem zwischen Rechenzentrum und PC als Vertikale, die Kanzleivernetzung als Horizontale darstellen. Mit einem noch laufenden LAN-Pilotprojekt testet die Datev derzeit mit einigen Mitgliedern diesen horizontalen Bereich.

Man könnte sich als EDV-Genossenschaft durchaus darauf beschränken, reine RZ-Leistungen anzubieten. Die Marketingstrategie der Datev beinhaltet allerdings drei wichtige Komponenten. Zum einen soll der steuerberatende Berufsstand, mit Software versorgt werden, die von spezialisierten Programmentwicklern dieser Branche stammt, zum anderen kann der Verbund zwischen PC und Rechenzentrum effizienter ablaufen und weiter ausgebaut werden, wenn das RZ seine Verbundprogramme selbst entwickelt hat und nicht fremde Programme fährt. Drittens ist die Datensicherheit in einem solcherart geschlossenen Kreislauf also ohne Fremdprogramme besser zu gewährleisten.

Der schnelle und auf den alltäglichen Ablauf in der Steuerkanzlei abgestimmte Service ist eines der wichtigsten Standbeine der Datev-Marketingstrategie. Salopp gesagt, darf man den Kontakt zur Basis also zum Anwender nicht verlieren. Eine Gefahr, die bei Großrechenzentren herkömmlicher Art gegeben ist, vor allem, wenn ihre Leistung im wesentlichen nur auf der zur Verfügung gestellten Rechnerkapazität beruht.

Verbesserung des Services durch Datev-Briefkasten

Die Nürnberger Zentrale und 30 angeschlossene Informationszentren im Bundesgebiet sowie in Berlin (West) können insgesamt 700 Berater einsetzen, davon 500 im Außendienst Monatlich werden 120 - 150 000 telefonische Anfragen und 20 000 Briefe der Mitglieder beantwortet beziehungsweise bearbeitet. Um den Service zu verbessern und Anrufer nicht lange warten lassen zu müssen, gibt es neben den gängigen Kommunikationstechniken seit etwa drei Jahren den sogenannten Datev-Briefkasten. Per DFÜ kann der Steuerberater seine Frage "einwerfen". Sie wird dann abgerufen und beantwortet.

Außerdem bietet die Datev-Organisation ihren Mitgliedern eine Reihe von Informationsund Fortbildungsmaßnahmen an, die sich auch, aber nicht nur auf eigene Dienstleistungen und Programme beziehen. Es sollen Produkt- und Hintergrundwissen vermittelt werden.

Ohne eine Zusammenbindung der einzelnen Dienste in eine globale Strategie wäre Marketing blinder Aktionismus. Das vielseitige Angebot der Datev dient nicht in erster Linie der Sicherung vorhandener und neuer Märkte der Genossenschaft, sondern der Stärkung des betreuten Berufsstands. Diese Strategie wird weiterverfolgt.

Neue technologische Entwicklungen wie ISDN oder weitere Aufgaben für Steuerberater und deren Mandanten (EG 1992) sind nur zwei Stichworte, mit denen sich die Planer und Programmentwickler in Nürnberg seit einiger Zeit befassen.

Ausgehend von bestimmten Grundsätzen muß das eingeführte Konzept gerade bei spezialisierten Rechenzentren vor dem Hintergrund der rasanten DV-Entwicklung flexibel fortgeschrieben werden.