Kinderkrankheiten kennzeichnen Expertensysteme in der Fertigung:

Roboter müssen noch "erwachsen" werden

06.12.1985

Selten nur hat ein "nützlicher Idiot" so viel Aufsehen erregt wie der Roboter. Sein frühzeitiger Besitz habe schon ganzen Volkswirtschaften Wettbewerbsvorteile gesichert, behaupten die High-Tech-Verfechter. Trotzdem steht die Robotik - vor allem was die Entwicklung unter Aspekten der Künstlichen Intelligenz betrifft - noch vor einer Vielzahl ungelöster Probleme. Axel Gerhardt* macht solch Gedanken über den erfolgreichen Einsatz der automatischen Gehilfen.

Der statistische Vergleich über die Häufigkeit von Roboteranwendungen enthält bereits das Werturteil über den technischen Fortschritt. Seiner Entwicklung wurde großzügige staatliche Förderung zuteil. Die Beschäftigung mit ihm wird mit dem Prädikat "High-tech" belohnt. Sein Erwerb gar bedeutet innovativ investieren.

Er steht für Automatisierung schlechthin. Gesellschaftliche Gruppen liegen sich in den Haaren und streiten darüber, ob, wie und wann der Industrie-Roboter Arbeitsplätze raube. Und schon vermag er alles. Er kann schweißen, lackieren, montieren, handhaben, verputzen, entgräten, kleben und vieles mehr. Die Hersteller der "Ungetüme" behaupten, daß sie dies alles auch schaffen. Und diejenigen, die ein solches " Monstrum " betreiben, haben so ihre Schwierigkeiten. Hier gibt es also ein Podest, auf dem der Industrieroboter steht. Der Blick für das Wesentliche wird oft verstellt.

Schon bei der Definition des Begriffs "Industrieroboter" beginnt die Verwirrung. Unzweifelhaft ist jedoch, daß ein Industrieroboter eine Bewegungs- oder Handhabungsmaschine darstellt, die in der Lage ist, Arbeit zu leisten. Folglich kann sie auch menschliche Arbeit ersetzen. Dabei darf Arbeit jedoch nur in rein physikalischem Sinne verstanden werden, also als das Produkt aus Kraft mal Weg.

Klassifiziert man Handhabungsmaschinen nach der Anzahl ihrer Freiheitsgrade der Bewegung, die sie gegenüber einem Bezugspunkt ausführen können, so sind die vier- bis sechsachsigen Industrieroboter von heute eine zwangsläufige Fortentwicklung der ein- bis dreiachsigen Handhabungsautomaten, die in der Technik schon lange bekannt sind.

Die Unterscheidung liegt darin, daß die linearen oder translatorischen Freiheitsgrade in x-, y- und z-Richtung durch drehende oder rotatorische Freiheitsgrade bei den modernen Industrierobotern ergänzt werden. Wo bei dieser Klassifizierung der Industrieroboter jedoch anfängt, nämlich bei der dritten linearen Raumachse oder der vierten rotatorischen Drehachse, ist je nach Definition unklar. Die freie Programmierbarkeit ist jedoch immer Voraussetzung.

Schließlich liefert eine weitere gebräuchliche Klassifizierung nach der Informationseingabe sechs Gruppen von Handhabungsmaschinen. Nämlich:

- Handhabungsmaschinen, die manuell betätigt sind,

- Handhabungsmaschinen mit fixiertem Bewegungsablauf,

- Handhabungsmaschinen mit fixiertem, aber variierbarem Bewegungsablauf,

- Handhabungsmaschinen mit Teach-in-Programmierung,

- Handhabungsmaschinen mit NC Programmierung,

- Intelligente Handhabungsmaschinen, die mit Hilfe eines Erfassungssystems (Sensor) selbsttätig Korrekturentscheidungen treffen können.

Die japanische Roboterdefinition umfaßt alle sechs Gruppen der Informationseingabe, die amerikanische Roboterdefinition lediglich die letzten vier Punkte. Vergleicht man nun Statistiken, so ist es nicht verwunderlich, daß bei unterschiedlichen Roboterdefinitionen große Unterschiede im Robotereinsatz der einzelnen Volkswirtschaften auftreten.

Industrielle Fertigungsprozesse sind eine Abfolge von Fertigungsschritten sowie Transport- und Handhabungsvorgängen. Anders ausgedrückt handelt es sich um ein Zusammenspiel von Verfahrenstechnik und Fördertechnik sowie deren Verkettung, die ihrerseits verfahrenstechnische und fördertechnische Komponenten enthält.

Aus der Sicht des Werkstücks, also des Produkts in Fertigung, stellen industrielle Fertigungsverfahren eine Abfolge von passiven und aktiven Handhabungsvorgängen dar: Nämlich Vorgänge zur Handhabung eines Werkzeugs, also zur Realisierung eines Fertigungsschrittes im weitesten Sinne, wie Bearbeiten, Entgräten, Schweißen, Lackieren, Kleben und Beschichten, sowie Vorgänge zur Handhabung des Werkstücks, also einfache, geordnete Dislozierung im Raum, wie Palettieren, Vereinzeln oder Beschicken.

Wo greift nun der Industrieroboter ein? Da ist zunächst der einfache Teilschritt der aktiven Handhabung eines Werkstücks. Hier wird physikalische Arbeit im engsten Sinne geleistet. Der Roboter entnimmt fördertechnischen Aggregaten und Behältern das Werkstück und gibt es im Falle der Maschinenbeschickung an ihnen Fertigungsautomaten weiter.

Ähnlich sind die Vorgänge des Vereinzelns und Palettierens zu werten: Der Roboter nimmt einen Bewegungsablauf vor und transportiert das Werkstück vom Ort A zum Ort B in einem stets wiederkehrenden Bewegungszyklus.

Verfahrenstechnik spielt eine zentrale Rolle

Ganz anders und sehr viel komplexer ist jedoch der Robotereinsatz bei passiven Handhabungsvorgängen des Werkstücks zu sehen. Er führt hierbei den Bewegungsablauf eines Werkzeugs zur Bearbeitung des Werkstücks durch. Sein Einsatz ist Bestandteil eines Fertigungsschrittes im Werdegang eines industriellen Produkts. Nun spielt die

Verfahrenstechnik des Fertigungsschrittes die Zentrale Rolle. Der Roboter kann nur den verfahrenstechnisch notwendigen Bewegungsablauf durchführen.

Die Rolle des Industrieroboters läßt sich am Beispiel eines fertigungstechnischen Vorgangs erläutern. Hierfür sei das Beispiel des Lichtbogenschweißens mit Industrierobotern mit dem verfahrenstechnischen Umfeld gewählt. Das Werkstück unterliegt hierbei einer passiven Handhabung. Es wird von Positioniereinrichtungen in die schweißgerechte Lage gebracht; der durch Schutzgase abgeschirmte elektrische Lichtbogen schmilzt Zusatzwerkstoffe ab, die die Schweißnaht füllen und die ihre Schweißenergie von Schweißstromquellen erhalten.

Bei diesem Zusammenspiel verfahrenstechnischer Vorgänge übernimmt nun der Industrieroboter die Führung des Schweißbrenners entlang der Schweißfuge. Hierzu sind fünf bis sechs Freiheitsgrade der Bewegung erforderlich. Damit jedoch ist nur ein kleiner Teilbereich der Verfahrenstechnik des Lichtbogenschweißens abgedeckt. Bis zu acht weitere Parameter spielen für den fertigungstechnischen Erfolg der Schweißung eine ebenso große Rolle wie weitere bis zu fünf Bewegungsachsen der Positioniereinheit.

Dieses Beispiel des Robotereinsatzes in der Fertigungstechnik zeigt daß die Maschine wichtige Teilschritte im fertigungstechnischen Verfahrensablauf realisieren kann, aber keineswegs zentrale Bedeutung besitzt.

Gleiche Beispiele finden sich für die Roboteranwendung im Bereich der Beschichtung, des Klebens, der Lackierung, des Montierens, der Bearbeitung und des Entgratens.

Die Verfahrenstechnik steht also im Vordergrund. Der Industrieroboter hat sich ihr unterzuordnen. Erfolgreich kann er nur eingesetzt werden, wenn dieses Grundprinzip beachtet wird.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn die steuerungstechnischen Aufgaben betrachtet werden, die eine Fertigungsanlage unter Einbeziehung bahngesteuerter Industrieroboter stellt. Auch hier hilft wieder das Beispiel der Schweißtechnik (Abbildung 1). Wird die Robotersteuerung zur zentralen Anlagensteuerung, so muß sie demnach nicht nur die fünf beziehungsweise sechs Achsen des Industrieroboters steuern, sondern auch die eine bis sechs Achsen der Bewegungsabläufe der Positioniereinheiten und die schweißtechnischen Verfahrensparameter.

Einsatzspektrum erweitern

Diese Aufgaben lassen sich jedoch nur dann von der Robotersteuerung übernehmen, wenn sie sechs bis zwölf Achsen ansteuern kann und zusätzlich fünf bis acht Befehlssignale zur Ansteuerung der Stromquelle besitzt. Ist dies nicht der Fall, so wird die regelungstechnische Gesamtaufgabe entweder von einer übergeordneten Steuerung übernommen oder in Einzelsteuerungen für die jeweiligen Teilaufgaben zergliedert, die miteinander über Befehlsgeber verbunden sind.

Damit wird wiederum deutlich, daß in Fertigungsanlagen die Robotersteuerung nicht zwangsläufig die Aufgabe der zentralen Anlagensteuerung übernimmt, sondern auch anders steuerungstechnische Varianten Vorteile bringen oder zweckmäßiger sind.

Werden industrielle Fertigungsprozesse automatisiert, so sind dem Industrieroboter im Werdegang eines technischen Produkts nur Automatisierungen im Bereich zentraler Fertigungsinseln vorbehalten. Der erfolgreiche Robotereinsatz ist damit eng mit der Vorfertigung und der darauffolgenden Nachfertigung verbunden. Besonders die Vorfertigung muß damit eng auf das Können des Industrieroboters abgestimmt sein. Er selbst ist eine sehr genaue Bewegungsmaschine mit Wiederholgenauigkeiten in der Größenordnung von + 0,1 Millimeter. Das Werkstück jedoch ist mit allen Toleranzen der Vorfertigung behaftet, so daß der Erfolg des Robotereinsatzes eng mit der Genauigkeit der Vorfertigung verbunden ist.

Die Planung des Einsatzes von Industrierobotern kann nur dann zu erfolgreichen fertigungstechnischen Lösungen führen, wenn der Gesamtablauf der Fertigung auf das Können des Industrieroboters ausgerichtet ist.

Technische Entwicklungen vollziehen sich in Einzelschritten. Für die Automatisierung technischer Fertigungsprozesse führen mehrere technische Entwicklungen, die parallel oder nacheinander folgen, zu sinnvollen Entwicklungskreisen, deren Ergebnisse zu einer Steigerung des Automatisierungsgrades industrieller Fertigungsprozesse führen.

Diese Zusammenhänge sollen wiederum am Beispiel der Lichtbogenschweißtechnik deutlich gemacht werden und zeigen, daß der Einsatz von Industrierobotern nur ein Glied in der Kette der technischen Entwicklung ist, die zu vollautomatischen Fertigungsanlagen führt.

Die Entwicklungsrunden sind an konzentrischen Kreisen (Abbildung 2) dargestellt. Betrachtet man die Lichtbogen-Schweißverfahren und deren Gerätetechnik, so weist der geschlossene Kreis auf den Abschluß dieses Entwicklungszyklus hin. Er wird jedoch umgeben von technischen Entwicklungen, die zusammengenommen wiederum einen abgeschlossenen Entwicklungskreis ergeben, die jedoch noch nicht das Ende ihrer Entwicklung erfahren haben.

Hier spielt der Industrieroboter zur Schweißbrennerführung eine entscheidende Rolle. Er kann jedoch nur gleichbedeutend gesehen werden mit frei programmierbaren Werkstück-Positioniereinheiten, die verfahrenstechnisch gesehen auf gleicher Rangstufe stehen. Die Entwicklung elektronischer Steuerungen und Rechner zur zentralen Anlagensteuerung hat einen ausreichenden Entwicklungsstand erreicht. Gleiches gilt für die Software, die bereits, wenn auch zögernd, von CAD-Systemen übertragen wird.

Das" Missing link" in dieser Entwicklungsrunde stellt die Sensorik dar. Ihre Aufgabe ist es, die reale Lage des Werkstücks im Raum, dessen Form und deren Nahtfugen zu erkennen und den idealen Bewegungsablauf der Werkstückpositionierung und der Schweißbrennerführung durch Industrieroboter den realen Verhältnissen anzupassen. Ist die Sensorik einmal ausreichend entwickelt, so ist der Weg freigegeben für eine weitere Entwicklungsrunde, in der CAM den entscheidenden Fortschritt bei der Automatisierung schweißtechnischer Prozesse bringen wird.

Die am Beispiel der Lichtbogen-Schweißtechnik erläuterten Entwicklungszyklen gelten auch für andere Teilbereiche des Robotereinsatzes, die verfahrenstechnisch orientiert sind. Sensorik ist das "Missing link", sie ist bereits weit entwickelt, aber nur für Teilbereiche einsetzbar. Diese schwierige technische Entwicklung wird verständlich, wenn man sich klarmacht, daß es darum geht, das menschliche Auge und seine Funktion mit technischen Mitteln nachzuempfinden.

Kurze Entwicklungszyklen bringen rasche Fortschritte auf dem technischen Gebiet der Sensorik. Ein erfolgreicher Robotereinsatz muß daher beachten, daß bereits morgen Techniken zur Verfügung stehen können, die die Investitionsentscheidung von heute ergänzen.

*Dr. Axel Gerhardt ist Geschäftsführer der Uniweld Schweißtechnik Union GmbH, Köln.

Kriterien für den Robotereinsatz

- Die Verfahrenstechnik bleibt zentrale Technik.

- Der Industrieroboter ist auf dem Weg zur Automatisierung nur ein Glied in der Kette.

- Vorfertigung und Nacharbeit müssen auf den Einsatz von Industrierobotern abgestimmt sein.

- Sein Einsatz in automatisierten Fertigungsanlagen verlangt Ingenieurarbeit von der Projektierung bis zur Inbetriebnahme.

- Der Einsatz von Industrierobotern erfordert eine neue Arbeitsteilung im Rahmen der Wirtschaft: Verfahrenstechnik und die mit ihr verbundene Anlagentechnik können nur in Zusammenarbeit mit dem Anwender erfolgreich sein. Ihre Integration in industrielle Fertigunssprozesse bedarf einer exakten Analyse der Fertigungsprobleme und Arbeitsabläufe, die erfolgreich nur von Beratungsfirmen in Zusammenarbeit mit den Anlagenlieferanten und dem Anwender durchzuführen sind.