Bewerber wollen umworben werden

Rekrutierung: Warum eine coole Party gut fürs Image ist

03.12.1999
BERLIN - Auf der Suche nach neuen Mitarbeitern nehmen immer mehr Firmen die Regie selbst in die Hand. Sie sind nicht nur auf zahllosen Karrieremessen vertreten, sondern inszenieren sich in eigenen Veranstaltungen als attraktiver Arbeitgeber. Das Beispiel der Allianz zeigt, daß die Unternehmen mit sehr kritischen Studenten rechnen müssen.

Der Rotwein ist zu kalt, die Zigarren haben sie sich selbst mitbringen müssen. "Wenn die uns auch noch serviert würden, unterschrieben wir den Vertrag sofort." Peter Kunz und Peter Kirchner meinen das nicht ernst, doch amüsiert sie die Vorstellung, was sich Unternehmen noch alles einfallen lassen könnten, um sie zu umgarnen. Wie begehrt sie sind, wurde ihnen in den vergangenen Monaten vor Augen geführt: Einladungen zu Workshops von KPMG, SAP, Pricewaterhouse-Coopers oder wie vor kurzem von der Allianz flatterten ihnen ins Haus, seit sie sich in die Datenbank der Hochschul-Marketing-Firma Access eintragen haben lassen.

Seit sich Unternehmensberatungen die Aufmerksamkeit der besten Absolventen mit Segeltörns im Mittelmeer (McKinsey), Workshops in Schweizer Luxushotels (Roland Berger) oder Wochenenden in Nizza (Andersen Consulting) erkaufen wollen, liegt die Meßlatte für Rekrutierungsveranstaltungen hoch. Immer mehr traditionelle Firmen erkennen, daß sie mit Stellenanzeigen oder einem Internet-Auftritt ihre Bewerber nicht mehr finden. Denn alle Unternehmen suchen den gleichen Kandidaten: Den 25jährigen mit Prädikatsexamen, der zahlreiche Praktika und einschlägige Auslandserfahrung aufweisen kann und am besten auch noch mit IT etwas anzufangen weiß. Den Weg zu dieser Wunschgestalt sollen Karrieremessen und Workshops öffnen, die in Hotels oder im eigenen Haus in Szene gesetzt werden. Dabei geht es in erster Linie ums Image. Der Burda-Konzern flog für seine Zukunftswerkstatt die Rocksängerin Helen Schneider ein und schaltete Musiker aus Los Angeles und London live zu, um das Konzert parallel im Internet zu übertragen und damit zu zeigen, daß man in Offenburg multimedial auf der Höhe der Zeit ist.

Die Allianz investiert rund 800000 Mark an diesen beiden Tagen in ihr Image, kein besonders hoher Aufwand, wie Reinhard Leiter, verantwortlich für Executive Events im Konzern, beteuert: " Wir wollen uns von den Beratern abheben. Statt Luxus und Fünf-Sterne-Hotels gibt es bei uns Kantinenessen und drei Sterne." Dafür setzt der Finanzdienstleister gemäß dem Motto "Open Space Forum" auf einen offenen und intensiven Dialog mit den Bewerbern - auf 250 Studenten kamen über 200 Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen des Versicherungskonzerns.

Diese Betreuung wurde auch honoriert. "Man konnte sehr viele informative und auch informelle Gespräche führen und sich dadurch eine Meinung bilden. Vorher habe ich gar nicht gewußt, wer die Allianz ist", sagt der Züricher Wirtschaftsinformatikstudent Kunz.

Wer aber soviel Auswahl und wie Kunz zwei Monate vor Ende seines Studiums schon drei Jobangebote in der Tasche hat, kann nicht nur gelassen seine Zigarre rauchen, sondern auch vermeintliche Nebensächlichkeiten kritisch unter die Lupe nehmen. Da bekommt eine Firma wie SAP schnell einen dicken Minuspunkt in Sachen Unternehmenskultur, wenn sie beim Recruiting-Workshop um 23 Uhr den kollektiven Bettgang anordnet. Wie leicht kann da die Allianz an Profil gewinnen, wenn sie einen Berliner Club für den Nachwuchs mietet, statt der obligatorischen Lachshäppchen Preßsack und Kartoffelpuffer inklusive rockiger Live-Band serviert und den Nachwuchs wie die eigenen Mitarbeiter bis in die frühen Morgenstunden abtanzen läßt.

Die "coole Party" am Abend war nötig, hatte die Podiumsdiskussion am Nachmittag die Bewerber nicht gerade überzeugt: Obwohl die Allianz mit dem Jesuiten und Management-Berater Rupert Lay einen prominenten Moderator auf die Bühne geholt und um ihn Vorstände und Geschäftsstellenleiter versammelt hatte, nahm so mancher Student daraus nur einen Eindruck mit: Daß zwischen Anspruch und Realität eben doch Welten liegen. Lay beschwor einerseits den Teamplayer, der weiß, daß sein Wissen mit Irrtum und Täuschung verbunden ist, andererseits trat er auf, als würden seine Mitdiskutanten nicht existieren und als wäre seine Weisheit unumstößlich. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis fällt auch denjenigen Informatikern auf, die den Vorstandsvorsitzenden Henning Schulte-Noelle über die internationalen Karriereperspektiven beim Global Player Allianz sprechen hören, aber danach im Einzelgespräch mit dem Fachbereichsleiter erfahren müssen, daß die Arbeit im Rechenzentrum anfällt und nur dort.

Daß die Uhren bei der Allianz noch anders gehen, mußte auch Wirtschaftsinformatiker Kunz zur Kenntnis nehmen: "Alle sagen, man müsse sich darauf einstellen, daß es den lebenslangen Job nicht mehr gibt. Also gehe ich mit dieser Prämisse in die Gespräche. Die Allianz will mir aber eine Stelle fürs Leben verkaufen." Mit einem sicheren Job scheinen viele Bewerber genausowenig zu locken sein wie mit günstigen Zusatzversicherungen.

"Die Studenten sind sehr kritisch geworden. Die Veranstaltung ist eigentlich wie ein Assessment-Center für uns", hat auch Allianz-Manager Leiter erkannt. Selbst Konzernchef SchulteNoelle gibt zu, daß sein Unternehmen in Sachen Selbstdarstellung noch Nachholbedarf hat und nicht zu den Traumarbeitgebern gehört: "Ein BMW macht eben viel sinnlicher als eine Versicherungspolice." Das soll sich aber durch solche Veranstaltungen ändern.

Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt ein Gespräch mit Mitarbeitern der Allianz Gesellschaft für Informatik Service mbH (Agis). Ihre Arbeitsbelastung ist im Vergleich zu anderen Konzernbereichen groß, weil viele Leute fehlen. Noch 50 offene Stellen will der 1998 ausgegliederte IT-Dienstleister in den nächsten Monaten besetzen.

Daß sich auf der Veranstaltung für den Jahr-2000-Workshop von Agis-Systemprogrammierer Matthias Feuerhake nur fünf Leute interessierten, spiegelte in erster Linie die Zusammensetzung der Bewerber wider. Obwohl die IT-Bereiche am dringendsten neue Mitarbeiter brauchen, waren gerade einmal 25 Prozent der Bewerber Informatiker und Naturwissenschaftler.

Ist die Arbeit in einer Versicherung für den IT-Nachwuchs nicht attraktiv? Der Frankfurter Informatikstudent Frank Lammermann zieht nach den zwei Tagen ein positives Fazit - nicht nur aufgrund der tollen Party: "Meine Erwartungen wurden sogar übertroffen, da ich den Eindruck gewonnen habe, daß hier die verschiedensten Bereiche miteinander kommunizieren und die IT-Abteilung nicht außen vor steht." Erstaunt hat ihn allerdings, daß selbst aktuelle IT-Themen wie Electronic Commerce während der Veranstaltung kaum angesprochen wurden: "Man könnte meinen, daß Computer bei Versicherungen keine wesentliche Rolle spielen."