Realisierungslücke

10.06.1988

Mit dem Priester-Image (Guru!), das sie bei Computerlaien haben, können die Datenverarbeiter leben. Verzinkter ist da schon das in weiten "Kunden"-Kreisen immer noch verbreitete Vorurteil, daß DV-Mitarbeiter nur bessere Rechnerknechte und (Lochkarten-)Handwerker seien (siehe Gastkommentar CW Nr. 23 vom 3. Juni 1988). Dabei tun sie, als DV-Dienstleister, doch genau (nämlich bis aufs Gleitkomma) das, was ihnen von den Kunden, den Anwenderbereichen vorgegeben wird. Mehr Rechte werden ihnen in den meisten Unternehmen nicht zugestanden. Der DV/Org.-Chef im Vorstand: ein Alibi-Mann?

Aus dieser windigen Ecke kommt auch die Häme-These, daß von den DV/Org.-Chefs keine Anstöße für ein zielgerichtetes Informations-Management zu erwarten seien. Die Entscheider im Topmanagement, die Linienmanager, ja sogar die Endbenutzer - so ist zu hören - müßten die DV-Initiative an sich reißen.

Noch'n Vorurteil: Es sei freilich äußerst unwahrscheinlich, daß ein in bezug auf die DV gleichgültiges und computerblindes Linienmanagement die Bedürfnisse der Endbenutzer zur Kenntnis nehmen wolle und neue Verfahren der Informationstechnik durchsetzen könne. Wir müssen wohl nicht erklären, wer sich so verteidigt.

Ob Topmanager, Linienmanager, DV/Org.-Chefs oder Endbenutzer: Wohl ist bei der Sache allen nicht. Ein Umdenken ist erforderlich. Zwischen dem DV-Angebot (Hardware, Software) und den in den Unternehmen realisierten Anwendungen öffnet sich eine Implementierungslücke, die immer größer wird. Dies hat drei Auswirkungen:

- Der Anwendungsstau wächst.

- Die Anpassungsflexibilität der installierten Systeme sinkt, weil immer komplexere Anwendungen mit unangemessenen Software-Werkzeugen und überholten Technologie-Konzepten realisiert werden.

- Die Glaubwürdigkeitskrise der DV (Benutzer-Frustrationen, Management-Irritationen, Effizienz-Defizite) beeinträchtigt die Aufgeschlossenheit für innovative Technologie-Konzepte und die Motivation zur Aufarbeitung der Lücke.

Nun hängt auch die DV-Industrie an ihrem eigenen Strick: Markt, im Sinne von Kauf realisierbarer Lösungen, findet derzeit nicht statt - es wird lediglich glattes Prospektwissen vermittelt. Es wäre indes falsch, auf eine Marketing-Wende zu warten. Der Leidensdruck ist noch nicht groß genug. So wird - siehe Open Software Foundation - munter weiter taktiert. Die DV-Hersteller haben nie gelernt, auf den Anwendungsmarkt zu sehen. Sie kleben an der Hardware und halten an Betriebssystemen fest, die den Kunden zu "Loyalität" zwingen.

Hier haben wir einen Ansatzpunkt - die Rückbesinnung der Anwender auf das Wesentliche, eine offene Kompetenzdiskussion, die in die Frage mündet: Was brauchen wir wirklich? Abnabelung vom Hersteller ist angesagt. Der Profilierungsstreit (Alibi-Mann) sollte vor diesem Hintergrund an Bedeutung verlieren.

Die Beherrschung der vielfältigen Unternehmensfunktionen und des Branchenwissens wird immer wichtiger. Die richtigen Dinge für das Unternehmen zu tun, darauf kommt es an.

AU: Dieter Eckbauer