Hersteller durch weitreichende Liberalisierungspläne aufgeschreckt:

Post verzichtet auf Begriff ISDN-TK-Anlage

26.08.1988

BONN/MÜNCHEN (cmd) - In der leidigen Diskussion über die internen Schnittstellen von ISDN-TK-Anlagen hat die Bundespost mit einem geschickten Schachzug den "Schwarzen Peter" wieder an ihre Kritiker zurückgegeben: Sie erwägt, künftig in den Zulassungsbedingungen völlig auf den Begriff "ISDN-TK-Anlage" zu verzichten.

Das Sperrfeuer der letzten Monate, insbesondere seitens der im ZVEI organisierten Telekom-Industrie, gegen die ursprüngliche Absicht der Post, bei ISDN-TK-Anlagen auch für die Teilnehmerseite Regulierungen - eine gewisse Anzahl von S0-Anschlüssen mit einem entsprechenden D-Kanal-Protokoll - festzulegen, hat seine Wirkung nicht verfehlt. Offenkundig die Rolle des Buhmanns leid, verficht sie nun eine Position, bei der selbst die Verfechter einer größtmöglichen Liberalität schwerlich ein Haar in der Suppe finden dürften.

Gegenüber der COMPUTERWOCHE faßte Konrad Schmidt, der für den Bereich ISDN zuständige Unterabteilungsleiter im Bundespostministerium, die Beweggründe für diese Wandlung zusammen: "Fast jede Firma hat eine andere Meinung. Da es keine vernünftige Regelung gibt, die den Konsens aller für den Inhouse-Bereich findet, verzichten wir ganz darauf, regeln nur noch den Bereich der Amtsseite mit zwei, drei unstrittigen Punkten unter dem Aspekt "no harm to the network", und nehmen auch da die liberalste Lösung, die es gibt, indem wir sagen, es gibt nur noch TK-Anlagen." Das habe sogar den angenehmen handelspolitischen Nebeneffekt, daß der Bundespost niemand mehr den Vorwurf machen könne, sie regele zuviel über die Zulassungsbedingungen.

Bereits am 21. Juli hatte der Unterabteilungsleiter die Spitze der Fachabteilung "Private Netze" im Fachverband "Informations- und Kommunikationstechnik des ZVEI" über den Stimmungswandel seines Hauses und die damit verbundenen Überlegungen informiert.

Am 10. August erhielten die im FTZ-Ausschuß "Telekommunikationsanlagen" versammelten Hersteller und Anwender Post von der Post, in der Schmidt die neue Linie nochmals begründete: Die Vorstellungen des Ministeriums in puncto ISDN-TK-Anlagen fänden "nicht die notwendige breite Zustimmung", eine andere Definition scheint aber auch kaum konsensfähig zu sein. "Ich sehe daher voraussichtlich keine andere Möglichkeit, als auf die offizielle Festlegung dieses Begriffes im Rahmen der Zulassungsbedingungen zu verzichten. Ich beabsichtige deshalb, die Zulassungsbedingungen entsprechend zu ändern und möchte diese Absicht auf der nächsten Sitzung mit Ihnen erörtern."

Der vermeintliche Post-Rückzieher, der zunächst nur, wie Schmidt betont, als "Vorschlag" auf dem Verhandlungstisch liegt, könnte sich indes für die heimische Nachrichtentechnik-Industrie als zweischneidig herausstellen. Zwar wäre damit jeder Hersteller frei, die internen Teilnehmerschnittstellen nach eigenem Gusto zu gestalten, mit der angenehmen Folge, daß die Endgeräte der Konkurrenz mangels Kompatibilität nicht die eigenen Kreise stören; andererseits hieße der Verzicht auf den Begriff "ISDN-TK-Anlage" aber auch, daß künftig kein Anbieter mehr seine Produkte mit diesem werbewirksamen Etikett versehen könnte. Vielmehr, so die erklärte Absicht der Post, gäbe es dann nur noch die Bezeichnung "TK-Anlage" - und dies unabhängig davon, ob diese Anlage nun an das ISDN- oder an das analoge Netz angeschlossen werden kann. In einem derart liberalisierten Markt dürfte es schließlich auch nur noch eine Frage der Zeit sein, wann neue ausländische Anbieter die Gunst der Stunde nutzen und hier Fuß zu fassen suchen.

Für diejenigen Hersteller, denen dieser Vorschlag der Bundespost "zu liberal" ist, hat der Unterabteilungsleiter als Variante noch einen "Zwischenschritt" in petto: "Wir könnten sagen, wir unterscheiden zwischen ISDN-TK-Anlagen, die amtsseitig über S0 verfügen, und TK-Anlagen, die das nicht können" - dieses jedoch nicht über die Zulassungsbedingungen, sondern durch zusätzliche Leistungsbeschreibungen, die dann Bestandteil der Zulassung sind.

Schmidt denkt da beispielsweise an Charakterisierungen wie "Diese Anlage ist in der Lage, an das ISDN-Netz der Bundespost angeschlossen zu werden" oder "Die Anlage ist in der Lage, auch Endgeräte der Schnittstelle S0, die man am Hauptanschluß einsetzt, zu verkraften".

Diese Feststellungen der Post könne ein Hersteller dann natürlich als Verkaufsargumente ins Feld führen, und auch für den Kunden bedeute dies letztlich mehr Transparenz, da er in der Lage sei, sich vor seiner Kaufentscheidung über die von der Post verbrieften Leistungsmerkmale zu informieren.

Beide Lösungswege stehen nun im ZVEI und im FTZ-Ausschuß zur Diskussion. Bis November will die Bundespost noch einmal ausloten, was die Gesamtheit aller Beteiligten dazu sagt, und danach eine Entscheidung treffen. Schon jetzt steht allerdings für Konrad Schmidt fest: "Wenn sich da wieder ein so heterogenes Meinungsbild zeigt wie bisher, dann würde ich für den liberalsten Weg plädieren."