Platznot - Deutsches Museum setzt auf Computer-Ausstellungen" Nachrichtentechnik " wird zu Telekom-Abteilung erweitert

03.11.1989

MÜNCHEN- Das Deutsche Museum in München wird bis zum Frühjahr 1990 seine Abteilung Nachrichtentechnik ausbauen und unter dem Namen "Telekommunikationstechnik" neu eröffnen. Trotzdem bleibt Platzmangel für die High-Tech-Abteilungen ein zentrales Problem. So steht Museumsmitarbeiter Hartmut Petzold über die ausgestellten Exponate hinaus "ein Depot" zur Verfügung, "das aus allen Nähten platzt".

Beim Aufbau der neuen Abteilung Telekommunikationstechnik werden nach Erläuterungen von Oskar Blumtritt, der für die Sektionen Nachrichtentechnik und Mikroelektronik zuständig ist, mehrere verschiedene Ebenen berücksichtigt: Zum einen soll die historische Entwicklung der Nachrichten- und Kommunikationstechniken und ihre gesellschaftliche Bedeutung in den Mittelpunkt der Ausstellung rücken. Andererseits will die neue Abteilung durch Spielmöglichkeiten mit den Ausstellungsgegenständen die Funktionsbreite der einzelnen Gegenstände demonstrieren. Darüber hinaus, so Blumtritt, werden für Technik-Freaks natürlich die Hintergründe aufbereitet.

Die Informatik- und Mikroelektronik-Abteilung des Deutschen Museums gehört zu den größten und bedeutendsten der Welt. Nach Einschätzung Petzolds, dem Verantwortlichen für die Abteilung Informatik und Automatik, ist neben dem Computer-Museum in Boston lediglich das Science-Museum in London besser bestückt. Am Aufbau der High-Tech-Abteilung im Deutschen Museum habe die Industrie nicht nur durch Geldspenden, sondern vor allem durch die Freigabe von Wertgegenständen aus dem Computerbereich mitgewirkt.

Probleme sieht der Nachrichtentechniker und Historiker darin, gerade die neueren der ausgestellten Anlagen zumindest teilweise zum Laufen zu bringen. Die Mitarbeiter stünden vor zeitlich kaum zu bewältigenden Programmierschwierigkeiten. Gerade die Ausstellungsgegenstände in Aktion aber, so Petzold, stellen den eigentlichen Reiz seiner Abteilung dar: Der Besucher soll durch Anwendungen und Vorführungen so weit wie möglich in den direkten Kontakt zu den Maschinen treten, um die Techniken zu begreifen. Ein Gang durch die Abteilungen Informatik und Mikroelektronik zeigt daß bereits erste Erfolge in dieser Richtung erzielt wurden.

Die neue Telekom-Sektion soll in einem leerstehenden Kaum direkt neben den ebenfalls noch jungen Abteilungen Informatik und Automatik sowie Mikroelektronik eingerichtet werden. Dabei soll die seit dem Frühjahr 1989 bestehende Abteilung Mikroelektronik technische Grundlagen für die Informatik- und die neu entstehende Telekommunikationsabteilung liefern. Schwerpunkte werden hier auf die Veranschaulichung von mikroelektronischen Bauelementen und auf die Chip-Produktion gelegt.

Der Einführungsbereich der Abteilung Mikroelektronik zeigt den Weg von den klassischen elektronischen Bauelementen über die Elektronenröhre bis hin zum Transistor und schließlich zur Integrierten Schaltung. Der Transistoreffekt wurde 1948 von John Bardeen und William Brattain am Germanium-Spitzentransistor entdeckt. Zwei Jahre später wurde er vom hitzebeständigeren Silicium-Transistor abgelöst.

Jack Kilby realisierte als erster die Idee, alle zu einer Schaltung gehörenden Transistoren, Widerstände und Kondensatoren mit demselben Fertigungsprozeß in einem kleinen Plättchen aus Halbleitermaterial zu erzeugen und zu verdrahten. Für den Besucher wird diese Schaltung in einem fünfzehnfach vergrößerten Nachbau anschaulich gemacht. Außerdem wird an einem Arbeitsplatzrechner demonstriert, wie integrierte Schaltungen heute entworfen werden.

Der Bereich "Kristallzüchtung zeigt, mit welchen Technologien reines Silicium, das Basiselement für Halbleiterbausteine, heute hergestellt wird. Die Chipfertigung setzt den Entwurf monolithischer Schaltungen voraus. In einem Videofilm wird veranschaulicht, welche Schritte nötig sind, um die in den Schaltungsentwürfen entwickelten Strukturen auf das Silicium zu bringen.

Neben hoch entwickelten Systemen für die Rein-Silicium-Gewinnung und die Chip-Herstellung wird in der Abteilung auch die Entwicklung von Mikroprozessoren nachvollzogen. Vorn weltweit ersten Prozessor dem Intel 4004, bis hin zu einem 32 Bit-RISC-Mikroprozessor für Hochleistungsrechner von 1988, kann der Entwicklungsfortschritt nachvollzogen werden. Auf den Chips erhöht sich die Verarbeitungsbreite von vier auf 32 Bits.

Obwohl die in der Zuschauergunst hochstehende Abteilung Mikroelektronik didaktisch günstig aufgebaut ist, gibt es doch Anlaß zur Kritik: Auf mehreren Personal Computern wird der Besucher durch Spiele zur Interaktion mit den Geräten eingeladen. Doch die Funktionen, die ihm auf der Tastatur für Verfügung gestellt werden sind so extrem eingegrenzt, daß sich schon nach kurzer Zeit die Freude am Spiel trübt.

Als erste der drei Abteilungen öffnete die "Informatik und Automatik" im Mai 1988 ihre: Pforten, um auf 1020 Quadratmetern den historischen Entwicklungsprozeß von einfachen mathematischen Instrumenten bis hin zu modernsten Computeranlagen nachzuzeichnen. Zahlreiche Originale und Nachbauten fanden - zumindest bei den Besuchern, die den dritten Stock ohne Blasen an den Füßen erreicht hatten - reges Interesse.

Als ein historisches Highlight der Abteilung kann zweifellos die im Original vorhandene Reihenmaschine von Anton Braun und Philippe Vayringe gesehen werden. Fertiggestellt im Jahre 1735 ist sie nach Museumsangaben die zweit- oder drittälteste, im Original vorhandene und funktionsfähige mechanische Rechenmaschine für alle vier Grundrechenarten. Ihre Konstruktion weist eine Schaltwerkseinrichtung auf, die erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde.

Die Großserienfertigung mechanischer Rechenmaschinen begann um 1845 mit Charles Xavier Thomas "Arithmometre": Es handelt sich um Staffelwalzenmaschinen nach Leibnizscher Bauart. Zwischen 1820 und 1878 wurden etwa 1500 "Original-Arithmometres" gebaut, von denen sich vier Exemplare im Besitz des Deutschen Museums befinden. Die Entwicklung der modernen Technik führte von rein mechanischen zu elektromechanischen Rechenanlagen. In einer Zeit, in der die Entscheidung zwischen analogen und digitalen Rechnern grundsätzlich noch offen war, kamen Analogrechner auf den Markt, deren Leistungen von keiner digitalen Anlage erreicht wurden.

Mit erheblichem technischen Aufwand wurden in den 30er bis 50er Jahren diese Jahrhunderts analog arbeitende Instrumente zu Großanlagen, wie der museumseigenen "IPM-OTT", gekoppelt. Zahlen werden bei diesen Rechnern als physikalische Meßgrößen, wie Länge, Stromstärke oder Spannung dargestellt.

Mit Konrad Zuses "Z4" ist eine typische programmgesteuerte Relais-Rechenanlagen im Original zu besichtigen. Entstanden im Jahre l945 war die Z4 von 1950 bis 1955 für die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich im Einsatz. Neben den vier Grundrechenarten erlaubt die "Zuse" das Quadrieren und das Wurzelziehen sowie die Multiplikation mit bestimmten Konstanten. Als Nachbau wird dagegen eine "Z3" ausgestellt: Sie soll unter tatkräftiger Mitwirkung von Konrad Zuse schon bald einsatzfähig sein.

Eine Sonderstellung in der Abteilung nimmt der Universalrechner "Univac 1 Factronic" ein. Die Zentraleinheit des Kolosses besteht aus 975 000 Einzelteilen. 5600 Röhren, 300 Relais und 18000 Dioden sind in diesem 19 Tonnen schweren Gerät verarbeitet. Schon 1975 betrug der Kaufpreis eine Million Dollar.

Die "Programmgesteuerte Elektronische Rechenanlage München" (PERM), ein (Großrechner in Röhrentechnik, dürfte in den sechziger Jahren so manchen Operator ins Schwitzen gebracht haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sie der Bundesrepublik den Anschluß an die Entwicklung elektronischer Großrechenanlagen, wie sie in den USA und in Großbritannien entstanden waren, ermöglichen.

Der "Telefunken TR 4" galt als überdurchschnittlich betriebssicherer Rechner. Seine Technik - bestehend aus diskreten Bauelementen auf gedruckten Schaltungen - und seine Architektur galten seinerzeit als richtungsweisend 1962 wurde sie als Neuheit auf der Hannover-Messe ausgestellt.

Eine Attraktion aus der modernen Technologie ist der Höchstgeschwindigkeitsrechner "CRY-1 S". Über ihn scherzen Computerfreaks, daß er die Endlosschleife innerhalb von nur zwei Sekunden durchlaufen könne. Eine spezielle Prozessorstruktur und eine darauf abgestimmte Befehlsform lassen die Taktzeit mit der Ausführungszeit für Befehle wie Addition, Subtraktion und Multiplikation übereinstimmen. Auf diese Weise können 80 Millionen dieser Operationen pro Sekunde durchgeführt werden.

Neben den Relais-, Röhren und Transistorrechnern aus der guten alten Zeit sind in der Abteilung aber auch noch die Vorläufer des modernen Roboters ausgestellt. Besonders faszinierend ist zum Beispiel die Konstruktion einer Automatenfigur, die etwa aus dem Jahre 1560 stammt und einen predigenden Mönch darstellt. Die Figur zeigt eine Vielzahl periodisch ablaufender Einzelbewegungen: Die Füße imitieren den Gehvorgang - in Wirklichkeit rollt der Mönch auf Rädern - und die Arme drehen sich, ebenso wie der Kopf. Erstaunlicherweise bewegen sich auch noch Mund und Augen. Um die komplizierte Mechanik der Figur verstehen zu können, mußte zum Röntgen gegriffen werden.