Konzepte verändern sich in den 90ern

Planung aller Ressourcen ist die Voraussetzung für PPS

01.03.1991

Ein integriertes PPS-Konzept kann nicht einfach nur die Verknüpfung einer bestimmten Anzahl von Insellösungen sein. Nach Einschätzung von Ernst Wilken* muß es vielmehr darum gehen, ein ganzheitliches Konzept einzuführen, dessen wichtigster Bestandteil die Planung und sinnvolle Verknüpfung sämmtlicher Ressourcen ist.

Bevor die Fertigung starten kann, so lernt jeder Auszubildende in einem technischen Beruf gleich zu Beginn, sollten zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müssen die zur Fertigung der Teile notwendigen Rohmaterialien, Hilfs- und Betriebsstoffe angeliefert sein, und zum anderen sollten die erforderlichen Maschinen und Werkzeuge zur Verfügung stehen.

Alle Ressourcen, das heißt Material und Kapazität, müssen zum richtigen Zeitpunkt in der Fertigung vorhanden sein. Dies erfordert, daß gemeinsam ressourcenumfassend geplant wird. Die Planung sollte nicht nur einzelne Bereiche oder nur die Arbeitsplätze, sondern auch Personal, Maschinen, Vorrichtungen und Werkzeuge umfassen. Dabei sind Qualitätskontrolle und Liquidität zu berücksichtigen. Gleichzeitig muß die Planung flexibel anpaßbar sein.

Die heute auf dem Markt angebotenen PPS-Systeme genügen diesen eigentlich trivialen Anforderungen nur unvollständig. Den gängigen Produkten liegen Systemkonzepte zugrunde, die sich als zu starr, zu einseitig auf die Lösung eines Teilproblems fixiert erweisen.

Ganzheitliche Betrachtungsweise

Es fehlt die ganzheitliche Betrachtungsweise aller Probleme in einem Fertigungsbetrieb. Viele Unternehmen klagen daher trotz PPS-System über hohe Bestände und extreme Durchlaufzeiten sowie über Fehlteile und Terminverzüge.

Die klassischen PPS-Systeme der 60er und 70er Jahre waren reine Sukzessiv-Planungssysteme mit fehlenden Rückkopplungsbeziehungen zwischen den einzelnen Planungsstufen und einer starren Trennung von Material- und Zeitwirtschaft. Ende der 70erjahre entstanden dann PPS-Systeme mit Rückkopplungsbeziehungen (Netchange), die als MRP- beziehungsweise MRP-II-Systeme bekannt sind.

Die heute am Markt vorhandenen PPS-Systeme ermitteln den Bedarf nach Dispositionsverfahren und planen deterministisch Ecktermine (bedarfsgesteuert) für jede Dispositionsstufe, die in den nachfolgenden Stufen nicht mehr geändert werden. Innerhalb dieser Ecke terminiert eine anschließende Kapazitätsdisposition die geplanten Aufträge und legt mittels einer Vorwärts-/Rückwärtsterminierung die Arbeitsgangzeitpunkte fest.

Die Betriebsmittel-Steuerung wird dann in Abhängigkeit der Arbeitsgang-Termine und der tatsächlichen Auslastung der Maschinen erst sehr spät durchgeführt. Daraus folgt, daß die zugrundeliegende Planung keine realistischen Ergebnisse liefert, da die Methoden der heute vorhandenen PPS-Systeme Kapazitäts- und Betriebsmittel-Restriktionen sowie Materialengpässe nicht von vornherein berücksichtigen.

Der Einsatz der benötigten Ressourcen (Material, Kapazität, Betriebsmittel) für die Herstellung eines Teils oder einer Baugruppe werden bei den am Markt vorhandenen PPS-Systemen nacheinander in Stufen vom Groben zum Feinen geplant. Die heute noch dominierenden PPS-Philosophien dürften sich in den 90er Jahren entscheidend verändern. Dabei werden die Anforderungen der Anwender zu neuen CIM-gerechten PPS-Systemen führen.

Anbieter von Standardsoftware sollten hier einen intensiven Dialog mit PPS-Anwendern führen. Deren Praxiserfahrung muß permanent in die Weiterentwicklung der Software einfließen. Gleichzeitig sollten auch prinzipielle strategische Überlegungen über die für das Jahr 2000 adäquate Zielsetzung angestellt werden.

Eine Umfrage über Stand und Trends bei PPS-Systemen aus Hochschulsicht (vergleiche CIM Management 1/90) hat ergeben, daß einige Professoren von grafischen Leitständen eine gewisse Hilfestellung erwarten. Ein Leitstand deckt durchaus einige Funktionen ab, die in den herkömmlichen PPS-Systemen zur Zeit noch fehlen.

Allerdings wird häufig versucht, in einem dezentralen System für die Fertigungssteuerung zu einen-, späteren Zeitpunkt nachzueichen was im übergeordneten Planungssystem versäumt wurde. So versuchen Anbieter von "intelligenten Leitständen", teilweise in Leitständen eine zeitliche und mengenmäßige Beziehung zwischen der Fertigung einer Baugruppe und dem Einbau dieser Baugruppe in ein Enderzeugnis beziehungsweise eine übergeordnete Baugruppe arbeitsgenau herzustellen.

Diese Aufgabe sollte nicht erst in einem Werkstatt-Steuerungssystem, sondern bereits im unternehmensweiten umfassenden Planungssystem gelöst werden. Eine solche Inselorganisation führt in der Regel in eine Sackgasse, die Probleme schafft, anstatt sie zu lösen.

Fertigungsinseln funktionieren nach dem Prinzip sich selbst steuernder Regelkreise. Sie benötigen eine eigene Bestandsführung, Disposition und Beschaffung. Wenn diese Aufgaben nicht mehr zentral für das ganze Unternehmen, sondern individuell im Rahmen der Fertigungsinseln erledigt werden vervielfacht sich der Planungs- und Dispositionsaufwand.

Fehlteile und Terminverzüge sind vorprogrammiert, da bei Störungen nur noch mit organisatorischem Aufwand, das heißt durch Auflösung des selbststeuernden Regelkreises der Ausweichmaschinen, auf diese verzweigt werden kann. Ferner steigen die Bestände an, da jede Fertigungsinsel eigene Sicherheitsbestände anlegen wird, die bei einer zentralen Bestandsführung nur einmalig vorgehalten werden müssen.

Die Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Hinwendung zu einer just-in-time-Fertigung kann nur dann auf der Ebene der Werkstattsteuerung funktionieren, wenn rein zufällig alle benötigten Ressourcen für die Herstellung der Baugruppe vorhanden sind, oder wenn die benötigten Ressourcen in hoher Menge gelagert werden, was allerdings vermeidbare Gemeinkosten entstehen läßt. Vielfach werden derzeit Leitstandsysteme installiert, um die schwerfälligen PPS-Systeme auszutricksen - und das geht oft schief.

Dezentrale Inselsysteme werden in der DV-Organisation meistens als Notlösung eingesetzt, bis ein besseres, integriertes System zur Verfügung steht. Integration entsteht jedoch nicht dadurch, daß eine bestimmte Anzahl an Inseln miteinander vernetzt wird, sondern durch ein integriertes gedankliches Konzept, das zielbewußt zu realisieren ist.

Diapositive Funktionen sollten in Echtzeit ablaufen

Wir geben aufgrund unserer praktischen Erfahrung mit verschiedenen Anwendern einem Konzept, wie es von Professor Helmut Kernler von der Fachhochschule Furtwangen vertreten wird, die besten Chancen. Material und Kapazität sind danach simultan zu planen. Arbeitsplan- und Stücklistenverwaltung, Material- und Kapazitätswirtschaft, Grob- und Feinplanung, Werkstattsteuerung und Betriebsdaten-Erfassung müssen miteinander verschmelzen. Alle dispositiven Funktionen sollten in Echtzeit ablaufen.

Die Planung muß sämtliche Ressourcen umfassen. Wichtig ist, daß das PPS-System eine offene Dialogkopplung zu anderen CIM-Funktionen anbietet. Die derzeitige Praxis der Filetransfers verhindert nämlich eine sinnvolle Integration der Abläufe. Leitstand- und PPS-Systeme müssen wieder zu einer Einheit zusammenwachsen.

Die Grundlage für ein solches PPS-System sind Materialflußpläne, die eine sinnvolle Verknüpfung der Ressourcen möglich machen. Material, technische und personelle Kapazität sowie Betriebsmittel wie NC-Programme, Werkzeuge, Vorrichtungen, Transportmittel und so weiter, sind als notwendiger Ressourcenbedarf für die Herstellung des jeweiligen Teils oder der Baugruppe im Materialflußplan hinterlegt.

Auf der Basis eines solchen Plans wird frühzeitig, das heißt im Regelfall schon bei der Auftragsdisposition, eine simultane Planung aller Ressourcen durchgeführt, um eine sofortige Aussage über die Machbarkeit eines Kundenauftrags zu erreichen. Frühzeitig, das heißt ebenfalls schon während der Auftragsdisposition, kann dann auch festgelegt werden, wann ein Kundenauftrag beliefert werden kann.

Die Prüfung auf Verfügbarkeit jeder Ressource für einen bestimmten Zeitpunkt mit anschließender Reservierung über Konten erfolgt ebenfalls bereits im Rahmen der Auftragsdisposition, so daß Fehlteile oder fehlende Ressourcen frühzeitig erkannt werden. Ausgehend von der Materialbedarfs-Planung und bei simultaner Beachtung sämtlicher Restriktionen werden dann die Ressourcen und die Produktion von vornherein optimal geplant.

Hierbei ist zu beachten, daß das Teilespektrum für eine differenzierte Planung und Steuerung gegliedert werden muß. Dabei werden plan, auftrags- und bedarfs- beziehungsweise verbrauchsgesteuerte Teile unterschieden.

Wie Durchlaufzeiten verkürzt werden können

Entsprechend muß auch in der Bevorratungsstrategie zwischen kundenanonymer Vorfertigung und kunden- beziehungsweise auftragsorientierter Fertigung differenziert werden.

Bei der auftragsorientierten Fertigung gilt das just-in-time Konzept in der inner- und außerbetrieblichen Logistik. Der Abgleich der Vertriebs- mit der Materialwirtschafts-Prognose erfolgt auf der Bevorratungsebene.

Die Kapazitätsterminierung orientiert sich an der Engpaßressource, wobei Planung und Tagesgeschäft mittels Auftragsnetzen miteinander verknüpft und abgeglichen werden und mehrstufige Simulationen im Auftragsnetz durchgeführt werden können.

Schließlich muß die Fertigungssteuerung dynamisch erfolgen, das heißt ausgehend von der aktuellen Belegungssituation werden im Produktionsbereich Aufträge eingeplant und belastungsorientiert zur Bearbeitung freigegeben.

Diese neuen Denkansätze, die meines Erachtens Voraussetzung sind für eine Beschleunigung der Durchlaufzeiten und für eine Senkung der Bestände, müssen mittels eines logistikorientierten Produktionsplanungs- und -steuerungssystems auf der Grundlage von Materialflußplänen und auf der Basis eines relationalen Datenbanksystems realisiert werden. Die Primäraufgabe eines PPS-Systems, nämlich, die benötigten Ressourcen rechtzeitig, in ausreichender Menge, am richtigen Ort und in der richtigen Qualität bereitzustellen, kann somit erfüllt werden.