Manager müssen Unternehmenskultur schaffen, die motivierend wirkt

Permanentes Wachstum braucht eine gezielte Personalentwicklung

07.05.1999
Manager setzen beim Wachstum vor allem auf Innovationen und strategische Allianzen. Allerdings fehlen ihnen die qualifizierten Mitarbeiter. Das ist das Ergebnis einer weltweiten Befragung von Gemini Consulting unter 325 Topmanagern. Im CW-Interview mit Angelika Fritsche erläutert Managing Director Konrad Reiss die wichtigsten Erkenntnisse.

CW: Eine Fusionswelle überrollt Deutschland. Aktuellstes Beispiel: Die Elefantenhochzeit zwischen der Deutschen Telekom und Telecom Italia. Ist das die Strategie, mit der das Management das Wachstum steuern will?

Reiss: Keineswegs. Eine der ausdrucksvollsten Aussagen unserer Befragung lautet: 50 Prozent der Unternehmen wollen ihr Wachstum in den nächsten fünf Jahren organisch erzielen. Die Expansion soll durch Innovationen und strategische Allianzen erfolgen. Die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ist die vorhandene Strategie für profitables Wachstum. Merger und Akquisitionen hingegen rangieren unter ferner liefen.

CW: Warum sind Fusionen out?

Reiss: Viele Manager sind enttäuscht. Die hohen Erwartungen, die sie an Fusionen und Zukäufe stellten, haben sich nicht erfüllt. Das hat schon eine Studie von vor eineinhalb Jahren gezeigt. 68 Prozent der dort Befragten mit Fusionserfahrungen gaben an, daß sich ihre Erwartungen nicht verwirklicht hatten. Ein weiteres Element liegt darin, daß Unternehmen zunehmend erkennen, daß sie nur wachsen können, wenn sie zusätzlichen oder neuen Nutzen schaffen für ihre Abnehmer. Und das geht eben nicht nur durch Akquisition.

CW: Wie dann?

Reiss: Indem die Firmen neue Angebote für Kunden erarbeiten, indem sie nicht nur ein bestimmtes Produkt offerieren, sondern auch Services. Auf den Punkt gebracht: Indem sie die Kundenbindung noch stärker betreiben. Sie können aber auch wachsen, indem sie komplett neue Anwendungen für ihr Unternehmen erschließen.

CW: Unterscheiden sich die Wachstumsstrategien der einzelnen Branchen?

Reiss: Auf jeden Fall. Die Chemieindustrie, überhaupt die gesamte Prozeßindustrie, sieht nach wie vor große Wachstumspotentiale in Mergern und Akquisitionen, während die Medien- und Unterhaltungsindustrie, das produzierende Gewerbe, die Konsumgüterindustrie und insbesondere die IT-Branche Wachstum vor allen Dingen mit Innovationen verbindet.

CW: Welche Rolle spielen die Mitarbeiter?

Reiss: Unsere Studie bestätigt noch einmal: Eines der größten Hindernisse für das Wachstum sehen die Manager in internen Problemen der Unternehmen. Gemeint sind die fehlenden Qualifikationen und Kapazitäten. Die trifft ganz besonders auf die IT-Industrie zu, wo wir auf einigen Gebieten viel zuwenig Fachkräfte haben. Das bremst das Wachstum.

CW: Gibt es neue Strategien, mit denen die Firmen dieses Problem in den Griff bekommen wollen?

Reiss: Dazu gibt es im Rahmen unserer Befragung zwei wesentliche Aussagen. Erstens: Führungskräfte müssen Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, neue Chancen zu nutzen. Das heißt: Es liegt an den Managern, eine Kultur in den Unternehmen zu etablieren, in der sie Mitarbeiter motivieren, Mut zu fassen und sich zu entwickeln und Qualifikationen auch in anderen Bereichen anzunehmen. Das hat etwas mit Kultur zu tun, mit Karrieresystemen und mit der Entlohnung der Mitarbeiter.

CW: Muß der Karrierebegriff neu definiert werden?

Reiss: Zumindest wird es so sein, daß sich Karrieren in einem einzigen Arbeitsbereich nicht mehr halten werden. Es muß vielmehr Teil der Unternehmenskultur sein, daß man Lernkurven abbricht, um neue Lernkurven zu starten. Unsere Befragung zeigt jedoch: Die Fähigkeit, sich in den Firmen darauf einzustellen, ist noch sehr limitiert. Man tut sich schwer damit, die Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Deshalb lautet die zweite Aussage: Wachstumskultur braucht gezielte Personalentwicklung.

CW: Was heißt das konkret?

Reiss: Dazu gehört neben dem bereits Gesagten auch ein systematisches Definieren der zukünftigen Kompetenzen. Das heißt: Man darf bei der Stellenbesetzung nicht weiterhin von groben Profilen ausgehen, sondern muß sehr spezifisch und sehr detailliert bestimmen, welche Kompetenzen Mitarbeiter für ganz bestimmte Jobs benötigen.

CW: In welche Richtung müssen Firmen die Weichen stellen, wenn sie den angepeilten Wachstumskurs halten wollen?

Reiss: Erstens: Sie müssen ein Innovationsklima schaffen, und zwar gekoppelt an die Frage, welcher Mehrnutzen dadurch für die Kunden produziert und wodurch neue Kunden erreicht werden können. Zweitens: Die Unternehmen müssen ehrgeizige Ziele propagieren, die jeden Mitarbeiter dazu auffordern, sich entsprechend innovativ und wachstumsorientiert zu verhalten. Das muß ein Ziel sein, das griffig ist, wie das, das Bill Gates für Microsoft ausgegeben hat.

CW: Welches meinen Sie?

Reiss: Seine Losung vor Jahren lautete: Jeder Haushalt muß einen PC haben. Ein anderes Beispiel ist Coca- Cola: Jeder Mensch auf dieser Erde muß im Umkreis von 100 Metern Zugriff auf Coca-Cola haben, waren deren Ehrgeiz. Drittens: Unternehmen brauchen eine starke Führung. Sie werden in der Zukunft wieder stärker geführt und weniger durch basisdemokratische Prozesse sich selber führen.

CW: Rückt man dadurch von den Lean-Strukturen wieder ein Stück ab?

Reiss: Keineswegs. Das bedeutet eher ein Hinrücken zu starken Führungspersönlichkeiten, die die Strategie des Unternehmens vorleben, die sich in einer lernenden Organisation selber weiterentwickeln und das ihren Mitarbeitern vorleben. Sie müssen Entwicklungen nicht in erster Linie verwalten, sondern vorantreiben. Die Kunst der Firmen besteht darin, solche Führungskräfte aus der Organisation heraus zu entwickeln.

CW: Wer ist dafür zuständig?

Reiss: Das ist die ureigenste Aufgabe von Unternehmensführung, die künftigen Chefs der Organisation zu identifizieren und systematisch vorzubereiten. Das kann nicht in die Hände von Consultants oder Headhuntern gelegt werden. Die Firmen müssen Maßnahmen im Auge behalten, die die Nachhaltigkeit von Wachstum sichern. Dazu zählt systematisches Kompetenz-Management und der Aufbau einer wachstumsoffenen Organisation, die neue Geschäftsfelder und Ideen auch zuläßt - und zwar nicht nur in isolierten Bereichen, wohin man Leute mit guten Ideen gerne abschiebt. Vielmehr muß man für gute Leute mit guten Ideen in großen Abteilungen Freiräume schaffen, damit sie sich weiterentwickeln können.

CW: Wie sollen die guten Ideen finanziert werden?

Reiss: Um erfolgreich zu sein, brauchen die Firmen ein hartes Kosten-Management und entsprechende Unterstützung mit modernsten Informationstechnologien. In der Vergangenheit zeichnete sich die Entwicklung von Unternehmen durch ein ständiges Auf und Ab zwischen Wachstum und harten Kostenschnitten aus. Modernes Kosten-Management muß in der Lage sein, beides parallel zu betreiben. Gerade in der schnellebigen IT-Branche mit Wachstumssteigerungen bis zu 40 Prozent muß das noch viel stärker als eine herausragende Management-Aufgabe erkannt werden.

CW: Die klassischen Management-Funktionen werden in der IT-Branche also immer noch vernachlässigt?

Reiss: Das zeigt sich deutlich im Umgang mit der IT. Die von uns befragten Manager geben an, daß der strategische Aspekt von IT-Systemen nicht richtig genutzt wird in ihren Unternehmen. Was gut funktioniert, ist der Einsatz von IT für das operative Geschäft.

CW: Und wo hakt es?

Reiss: Die Potentiale der neuen Technologien zur Entwicklung neuer Geschäftsfelder werden zuwenig erkannt und nicht genügend ausgeschöpft. Es gibt zwar Technostrategen, die sich um die Implementierung von IT kümmern. Was jedoch fehlt, sind Experten, die IT in ihrer Auswirkung auf die Strategie eines Unternehmens begreifen, die Ideen entwickeln, wie etwa mit Hilfe der IT neue Märkte schneller und globaler erschlossen und schneller bedient werden können.

CW: Was ist die Konsequenz?

Reiss: Die IT-Branche muß dringend darüber nachdenken, wie sie das Nachwuchsproblem in den Griff bekommen und Strategie-Entwicklungsprozesse etablieren kann. Oft werden in den Unternehmen Business-Strategie-Diskussionen geführt, ohne daß man daran Mitarbeiter beteiligt, die ein fundiertes, zukunftsgerichtetes Wissen haben. Das ist keine sehr erfolgversprechende Vorgehensweise.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Köln.