Paradoxe Situation: Mehr Personal für den Personalabbau

31.08.1979

Dr.-Ing. Fritz Timm Abteilungspräsident, Leiter der Abteilung EDV in der Zentrale für Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung der Deutschen Bundesbahn, Frankfurt

Planung, Steuerung und Kontrolle sind heute bei der Lösung umfassender und komplexer Aufgaben nicht mehr wegzudenken. Das gilt in besonderem Maße auch für den EDV-Bereich, und das hat seinen guten Grund.

In allen, besonders aber den personalintensiven Unternehmen ist man ständig bemüht, den Personalbestand mit allen nur denkbaren Möglichkeiten zu senken. Eines der erfolgversprechenden Mittel dafür ist EDV-Einsatz. Will man aber EDV einführen beziehungsweise modifizieren, so entsteht zunächst eine paradoxe Situation: der Personalbestand im Unternehmen soll gesenkt werden, aber die EDV benötigt zusätzliche Mitarbeiter Denn zunächst müssen ja entsprechende EDV-Verfahren entwickelt und eingeführt werden Erst danach können dann die Einsparungen Zug um Zug realisiert werden Das ist im Grunde genommen plausibel, und dennoch ist das der Unternehmensleitung nur schwer klarzumachen; für sie ist der EDV-Bereich im allgemeinen nur einer unter vielen Bereichen Nach mehr Personal rufen ja alle Wer hätte nicht schon einmal die Einstellung der Unternehmensleitung zur EDV zu spüren bekommen, etwa in der Äußerung "was macht ihr denn bloß mit den vielen Programmierern". Weist man dann noch darauf hin, daß etwa die Hälfte der Programmierer mit der Wartung von Programmen beschäftigt ist, dann wird das Mißtrauen erst vollends geweckt. Für manche Topmanager ist die EDV noch immer ein Buch mit sieben Siegeln, man zweifelt zwar nicht mehr an ihrer Notwendigkeit, mißtraut ihr aber doch in gewisser Weise, wie man eben allen Bereichen besonders kritisch gegenübersteht, in denen sich das Personal vermeintlich "aufbläht".

Wie läßt sich dieses Mißtrauen abbauen oder zumindest erheblich reduzieren? Was kann, was muß man tun Überall dort, wo die EDV-Abteilung eine bestimmte Größe überschreitet, bei der sie sich nicht mehr "aus dem Notizbuch" leiten läßt, muß ein System der Planung, Steuerung und Kontrolle eingesetzt werden. Das ist nicht nur notwendig, um einen geordneten EDV-Betrieb zu gewährleisten, sondern gerade auch, um in den Chefetagen die Berechtigung des Aufwandes einsehbar zu machen Welche Methoden oder Verfahren man dafür einsetzt, ist sekundärer Natur Jeder wird subjektiv sein Verfahren anpreisen, wie man überhaupt die Erfahrung macht, daß es auf diesem Gebiet eine Vielzahl sehr individueller Lösungen gibt, obwohl alle mehr oder weniger von demselben Problem ausgehen Hier liegt ein weites Feld für Softwarefirmen, praxisbezogenere Standardlösungen anzubieten, die sich den organisatorischen Bedingungen des Unternehmens entsprechend mit geringem Aufwand modifizieren lassen.

Wichtig ist also, daß man ein in sich abgestimmtes und plausibles Verfahren für die Auftragsabwicklung, Personal-, Kapazitäts- und Terminplanung hat, um den Personaleinsatz auch nach Maß und Zahl nachweisen und damit verantworten zu können. Das ist im Grunde in allen Bereichen notwendig, wo der Personaleinsatz nicht aufgrund von Dienstplänen, Zeitwerten oder aufgrund regelmäßig anfallender, ihrem Umfang noch quantifizierbaren Arbeiten zuverlässig angegeben werden kann. Das gilt besonders dort, wo Planungs- und Entwicklungsarbeiten geleistet werden - im EDV-Bereich also vor allem in der Programmentwicklung und -wartung.

Mit einem solchen Instrumentarium lassen sich auch mit der Personalabteilung bessere Gespräche führen, wenn es um die Anforderung der notwendigen Ressourcen geht. Die Gespräche bewegen sich dann nicht mehr wie früher im rein Verbalen oder gar Emotionalen.

Entscheidungen vom EDV-Ausschuß

Wichtig ist in diesem Zusammenhang ein der Unternehmensleitung nahestehendes Gremium in Form eines EDV-Ausschusses. Im Rahmen eines formalisierten Antragsverfahrens legen die Fachabteilungen einmal jährlich die von ihnen geplanten Projekte diesem Gremium zur Entscheidung vor Zielsetzung, Bedeutung und der zu erwartende wirtschaftliche Erfolg des Projekts werden vorgetragen und eingehend diskutiert. Dabei können auch Zusammenhänge mit anderen laufenden oder geplanten Projekten transparent gemacht werden. Natürlich muß auch der zu erwartende Aufwand für die Realisierung der Projekte angegeben werden. Das ist, zugegeben, zu diesem frühen Zeitpunkt eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Aber auch hier gibt es Methoden, die, gepaart mit Erfahrungen aus abgeschlossenen Projekten, solche Aufwandsschätzungen ermöglichen. Das kann nicht perfekt sein, ist aber notwendig und noch immer besser als etwa überhaupt nicht zu planen.

Die Projekte werden ihrem wirtschaftlichen Nutzen oder ihrer gesetzlichen Notwendigkeit entsprechend nach Prioritäten gereiht und mit den vorhandenen Kapazitäten in der Programmierung abgestimmt. Dabei läßt sich rechtzeitig vor Beginn des Planjahres erkennen, ob das vorhandene Personal ausreicht, die geplanten Projekte abzuwickeln und auch die notwendige Wartung des vorhandenen Programmbestands zu gewährleisten. Ist das - in aller Regel - nicht der Fall, so kann aus diesen Planungen heraus die Entscheidung abgeleitet werden, zusätzliches Personal zu bewilligen oder sich mit dem vorhandenen Personal zu bescheiden und dafür bestimmte Projekte nicht abzuwickeln. Selbstverständlich ist die Unterstützung durch Softwarefirmen ebenfalls eine Alternative, die hierbei nicht unbeachtet bleiben darf.

Zu Beginn eines Jahres ist damit klar zu erkennen, welches Arbeitspensum erledigt werden kann, und so wird es vermieden, daß es am Jahresende Überraschungen gibt, wenn das eine oder andere Projekt nicht erledigt wurde. Es ist zweckmäßig, Projekte, die nicht abgewickelt werden können, in den Arbeitsvorrat zu nehmen. Jede Planung ist im Laufe des Jahres Veränderungen unterworfen, so daß dann möglicherweise auch auf Projekte aus dem Arbeitsvorrat zurückgegriffen werden kann.

Ergebnis dieser umfassenden Strategie ist ein EDV-Plan, der möglichst nicht nur die Projekte des Planjahres sondern auch eine Vorschau auf die nächsten Jahre enthalten sollte. Dieser EDV-Plan stellt die Arbeitsvorgabe für den EDV-Bereich dar, er ist das Soll.

Nun bedarf es im Laufe des Jahres einer Verfolgung der Abwicklung dieses Planes, also eines Soll-/ Ist-Vergleichs. Nur damit kann Planabweichungen steuernd entgegengewirkt werden.

Tätigkeitsberichte für die EDV-Planung

Hierzu ist ein Berichtswesen notwendig, dessen Basis Tätigkeitsberichte der Mitarbeiter sind. Und hier haben wir das nächste Problem. Solche Tätigkeitsberichte sind bei den Mitarbeitern wenig beliebt, man fürchtet die persönliche Kontrolle, obwohl dies nicht die Zielsetzung des Berichtswesens ist ,zumindest nicht primär. Daß eine gewisse Kontrolle notwendig ist, wird niemand ernstlich bestreiten wollen. Wer seine Arbeit ordentlich ausführt - eine Grunderwartung, die man doch an einen Mitarbeiter stellen darf - und die auch von den meisten erfüllt wird, braucht eine Kontrolle überhaupt nicht zu befürchten.

Aber wie gesagt, darum geht es hier gar nicht in erster Linie. Hier ist beabsichtigt

þdie Abwicklung eines übergeordneten Plans im Soll und Ist zu verfolgen

þdie Basis für Projektbesprechungen zu schaffen

þrechtzeitig Abweichungen zu erkennen, um steuernd eingreifen zu können

þErkenntnisse für künftige Planungen zu ziehen

þeine Basis für Personalplanungen zu bekommen und schließlich

þden doch meist beträchtlichen Personalaufwand nach Maß und Zahl nachweisen und damit verantworten zu können.

Man sollte immer wieder versuchen, den Mitarbeitern diese übergeordneten Gesichtspunkte klarzumachen, um sie von dem "Frust der persönlichen Kontrolle" zu befreien. Das ist ein mühsames Geschäft, das der Arbeit eines Missionars gleicht; die Erfolgsquote ist "entsprechend". Viele sehen im Grunde ein, daß so etwas benötigt wird, aber die Mehrheit der Mitarbeiter glaubt es einem am Ende doch nicht, warum eigentlich nicht?