Voice-over-IP - ein Überblick

Paketverluste beeinträchtigen Sprachqualität im Internet

24.09.1999
Historisch bedingt entstanden für die Sprach- und Datenkommunikation verschiedene Netze. Heute sollen diese Netze konvergieren, das heißt, es ist geplant, Sprache, Fax und Video in bestehende Datennetze zu integrieren. Wie dies vonstatten gehen soll, ist immer noch nicht klar. Roland Moos* beschreibt den Ansatz Voice-over-IP.

Der Begriff Voice-over-IP (teilweise auch als IP-Telefonie bezeichnet) wird oftmals gleichgesetzt mit dem Telefonieren über das Internet. Tatsächlich bedeutet er aber, daß Sprache über IP-Netze, also Internet, Intranet oder Extranet, übermittelt wird. Die Geburtsstunde von VoIP liegt im Februar 1995, als die Firma Vocaltec ihr Produkt "Internet Phone" auf den Markt brachte. Um Internet Phone zu nutzen, brauchte der Anwender einen Multimedia-fähigen PC, also neben der Telefoniesoftware eine Soundkarte, ein Mikrofon und Lautsprecher. Als Netz verwendeten die Benutzer meist das Internet.

Grundsätzlich lassen sich die VoIP nach den beteiligten Endgeräten klassifizieren. Neben der Kommunikation zwischen zwei PCs (PC-to-PC wie mit dem Internet Phone) oder zwei Telefonen (Phone-to-Phone) gibt es auch die Alternative, von einem PC aus ein Telefon anzusprechen (PC-to-Phone) oder umgekehrt. Wegen der schlechten Sprachqualität bei der Übertragung via Internet ist PC-to-PC nur für private Nutzer interessant. Die notwendige Telefoniesoftware ist zwar heute teilweise kostenlos (zum Beispiel "Net Meeting" von Microsoft), beide Teilnehmer müssen jedoch online sein und über dieselbe Software (Interoperabilität) verfügen.

Bei PC-to-Phone wird ein Übergang ins klassische Telefon- beziehungsweise GSM-Netz vollzogen. Voraussetzung hierfür ist ein sogenanntes IP-Gateway. Mit der Einführung von IP-Gateways wurde die zweite Entwicklungsstufe von VoIP begründet. IP-Gateways gibt es als Software/Hardware- oder als integrierte Hardwarelösung. Mit Vocaltec, Micom, ITK, Clarent, Motorola oder Lucent sollen nur einige Hersteller genannt werden. Eine vollständige Liste findet man im Internet unter http://www.pulver.com.

Der umgekehrte Weg - Phone-to-PC - ist nützlich für Personen, die einen Internet-User über ein gewöhnliches Telefon erreichen wollen. Diesem Szenario kommt heute die geringste Bedeutung zu. Probleme gibt es zum Beispiel im Bereich der Adressierung. Schwierigkeiten bereiten etwa die Wahl von IP-Adressen am Telefon sowie die heute übliche dynamische Adressenvergabe.

Phone-to-Phone gilt als das vielversprechendste Szenario. Von dieser Variante verspricht man sich Kosteneinsparungen im Vergleich zu Ferngesprächen über das Public Switched Telephone Network (PSTN)/ISDN. Für dieses Szenario werden mindestens zwei IP-Gateways benötigt, nämlich für den Übergang PSTN/ISDN-zu-IP und IP-zu-PSTN/ISDN (siehe Grafik "Phone-to-Phone"). Ein Nutzer wählt zunächst die Nummer eines IP-Gateways. Nach einer Authentifizierung mittels einer persönlichen Identifikationsnummer (PIN) wird dann die Rufnummer des gewünschten Teilnehmers gewählt. Kommerzielle Anbieter sind beispielsweise Deltathree und Poptel.

Die in öffentlichen Telefonnetzen erreichbare Sprachqualität gilt als Maßstab für Business-Anwendungen. Die qualitätsbestimmenden Parameter in allen paketorientierten Netzen (IP, Frame Relay, ATM) sind:

- Wahl der Sprachcodierung und -komprimierung,

- Laufzeitverzögerung (Delay),

- Laufzeitschwankungen (Delay Variation),

- Paketverluste und

- Echos.

Qualitätseinbußen durch die Sprachcodierung gibt es heute praktisch nicht mehr. Ebenso gehört Echounterdrückung bei den IP-Gateways zur Standardausstattung. Die kritischen Qualitätsparameter sind demnach Laufzeitverzögerung, Laufzeitschwankungen und Paketverluste. Hierfür gilt es, geeignete Mechanismen zu finden, die eine gewisse Qualität garantieren. Mit dem Resource Reservation Protocol (RSVP) ist ein Anfang gemacht. Nachteilig ist jedoch, daß es sich hier um ein Protokoll handelt und dieses in allen Routern entlang eines Pfades implementiert sein muß.

Neben dem Ziel, Kosten für Ferngespräche zu sparen, verfolgen VoIP-Anwendungen teilweise auch die Absicht, Sprache in bestimmte Anwendungen zu integrieren, um so einen Mehrwert zu erzeugen. Zu den um der Geldersparnis willen eingeführten Applikationen gehören die zuvor vorgestellten Szenarien. Hier gibt es insbesondere für Phone-to-Phone einen Markt für Geschäftskunden, der sowohl von Eigenrealisierern benutzt wird wie auch von kommerziellen Anbietern, den sogenannten Next Generation Telcos. Viele dieser Telcos konzentrieren ihr Angebot auf internationale Gespräche oder auf bestimmte Nischenmärkte.

Zur zweiten Gruppe gehören Anwendungen wie IP-basierende Call-Center oder Surf & Call über das Internet. Bei dieser Art von Anrufzentren (siehe Grafik "IP-basiertes Call-Center") wird ein switched Ethernet LAN exklusiv für diesen Zweck aufgebaut. Dadurch steht genügend Bandbreite zur Verfügung, so daß oftmals der Sprachverkehr nicht komprimiert werden muß. Die Anzahl der Agents im LAN wird beim 10-Mbit/s-Ethernet zum Beispiel auf 15 beschränkt. Dadurch ergibt sich eine exzellente Qualität. Ein IP-Gateway verbindet das LAN mit dem PSTN/ISDN, damit Anrufe von außen eingehen können. Eine Verbindung mit dem Internet kann zum Beispiel für E-Mail genutzt werden.

Der Markt war bisher recht klein. Die International Data Corp. (IDC) aber schätzt für 1999 das VoIP-Volumen auf 560 Millionen Dollar. Glaubt man Frost & Sullivan, so werden es gar 604 Millionen Dollar sein; für das Jahr 2001 erwarten die Marktforscher ganze 1,89 Milliarden Dollar. Weiterhin prognostiziert Probe Research, daß 18,5 Prozent aller Privatgespräche künftig über Datenleitungen laufen.

Grundsätzlich können IP-Netze zum Internet gehören, firmeneigene (Intranets) oder firmenübergreifende Netze (Extranets) sein. Intranets bestehen aus einem oder mehreren LANs, die über ein WAN miteinander verbunden sind. In den LANs wird IP über Ethernet, Token Ring, ATM oder FDDI unterstützt, bei den WANs wird IP über Mietleitungen, Frame Relay, ISDN oder ATM gefahren. An jedem Standort befinden sich Router, die das LAN mit dem WAN verbinden. Dieses Prinzip ist für Extranets ähnlich. Intranets sind also IP-Netze die gemanagt werden, daher lassen sich gewisse Qualitätsparameter wie Bandbreite und damit auch Laufzeiten und Paketverluste positiv beeinflussen.

Im Gegensatz hierzu steht das Internet. Laufzeiten im Sekundenbereich sind durch die nicht vorhersehbaren Wege (und Anzahl Hops) keine Seltenheit, ebenso sind Paketverlustraten von deutlich mehr als zehn Prozent möglich, was die Sprachqualität stark beeinflußt. IP-VPNs sind eine relativ neue Variante. In der ursprünglichen Zielsetzung, nämlich private Netze über öffentliche Netze zu simulieren, verwenden sie das Internet unter Einsatz von Mechanismen wie Tunneling, Verschlüsselung und Firewalls. Dabei kann die Qualität nicht besser sein als beim Internet.

Die Reaktion der Geschäftskunden auf diese Technologie bleibt verhalten. Hat man in den letzten zwei Jahren noch jede Menge Veröffentlichungen zu diesem Thema beobachtet, so ist in diesem Jahr die Anzahl eher gering. Bedenkt man, daß durch die Deregulierung die Preise für nationale Ferngespräche sowie internationale Gespräche fallen, bleibt die Frage, ob nach all den notwendigen Investitionen in Hardware unter dem Strich tatsächlich eine Ersparnis herauskommt.

Die Gremien

Die drei wichtigsten Gremien für die Standardisierung von VoIP sind

- International Telecommunication Union (ITU-T),

- Internet Engineering Task Force (IETF) und

- das Projekt Telecommunications and Internet Protocol Harmonization over Networks (Tiphon) des European Telecommunications Standards Institute (ETSI).

Das ITU-T ist das führende Gremium für Telekommunikation. Es hat den wichtigen Standard H.323 ursprünglich 1996 verabschiedet. H.323 bildet die Grundlage für die Übertragung von Audio, Daten und Video über IP-basierte Netze. Es handelt sich dabei um eine "Rahmenempfehlung", welche die Multimedia-Kommunikation in LANs definiert, die selbst keine Quality-of-Service (QoS) zur Verfügung stellen. H.323 beschreibt die dafür notwendigen Komponenten: Terminals, Gateways, Gatekeeper und Multipoint Control Units. Allerdings heißt H.323 nicht zwangsläufig auch Interoperabilität.

Die IETF ist ein internationales Gremium, das sich aus Netzwerkdesignern und -betreibern, Herstellern und Forschern zusammensetzt. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung der Internet-Architektur voranzutreiben. Das Real-time Transport Protocol (RTP), das 1996 verabschiedet wurde, ist für VoIP ein relevanter Standard. RTP stellt einen Ende-zu-Ende Dienst für Daten in Echtzeit zur Verfügung.

Tiphon wurde ins Leben gerufen, um sicherzustellen, daß Nutzer, die an ein IP-Netz angeschlossen sind, mit Nutzern an den Circuit Switched Networks (zum Beispiel PSTN/ISDN und GSM) kommunizieren können.

* Roland Moos ist Berater für Telekommunikation bei Danet Consult in Weiterstadt.