Das Business-Development-Netzwerk der Deutschen Aerospace

Organisationstechnologie fuer die Unternehmer im Unternehmen

25.03.1994

Beziehungen als Erfolgsfaktoren fuer Unternehmen nutzbar zu machen ist die Idee einer neuen Organisationsform, des sogenannten strategischen Netzwerks. Groupware verbindet die Knoten eines derartigen Netzes, das die Deutsche Aerospace fuer ihr noch ungewoehnliches Business-Development-Management eingefuehrt hat.

Das Konzept traegt schon seit einigen Jahren zum Wandel des High- Tech-Unternehmens bei. Durch Groupware-Tools eroeffnen sich dem Bereich Business-Development, der Keimzelle neuen Geschaefts, innovative Moeglichkeiten der Kommunikation im Kontaktnetz. Die Netzknoten sind jetzt noch enger und effizienter zu verknuepfen. Der neue PC-Software-Typ wird zur tragenden Technologie fuer eine moderne Organisationsform.

Organisatorisch anspruchsvoll

Die Unternehmenskultur zu pflegen sollte eigentlich eine jedem Betrieb vertraute, staendige Aufgabe sein. Dazu gehoert es auch, die unternehmerischen Faehigkeiten der Mitarbeiter anzuregen und zu foerdern. Viele erkennen das jedoch erst in wirtschaftlich schlechten Zeiten.

Gerade in einer High-Tech-Schmiede wie der Deutschen Aerospace kann dieses Potential fuer das Neugeschaeft entscheidend werden. Deshalb nahm es sich die kleine Einheit "Business-Development", deren Name Programm ist, schon vor einigen Jahren vor, unternehmerischen Wind in den Luft- und-Raumfahrt-Konzern zu bringen, ein - wie sich herausstellen sollte - insbesondere organisatorisch anspruchsvolles Unterfangen.

Beurteilung nach strengen Kriterien

Angelehnt an ein methodisch fundiertes Entrepreneur-Programm, wurde der Anspruch formuliert, Umgebungen zu schaffen, die Mitarbeitern genuegend Freiraum fuer unternehmerisches Handeln schaffen. Die "Unternehmer im Unternehmen" arbeiten jeweils an der Umsetzung eigener Geschaeftsideen, die nach strengen Venture- Management-Kriterien beurteilt wurden. Die entstehenden Teams werden dabei durch das Business-Development unterstuetzt. Trotz ihrer organisatorischen Zugehoerigkeit zum Konzern verhalten sich die "Projektunternehmen" wie kleine oder mittelstaendische Betriebe am Markt.

Die Idee des Technologieparks, die dem organisatorischen Grundkonzept von Business-Development Pate stand, spiegelt sich in diesem Ansatz deutlich wider. Doch die scheinbare Einfachheit des Organisationskonzepts taeuscht, denn im Kerngeschaeft sollte gleichzeitig Kontinuitaet gewahrt bleiben; ausserdem mussten dessen fundamental verschiedene und ueber Jahrzehnte optimierte Spielregeln eingehalten werden. Nach dem Verstaendnis von Dieter Schischke, dem Verantwortlichen fuer das Business-Development des Konzerns, ist dieser Bereich zwar eine Art Parallelorganisation mit anderen Regeln, aber dennoch bewusst keine vom Konzern losgeloeste Einheit.

Auch aus der Regelorganisation werden Ideen aufgegriffen und Ressourcen in Anspruch genommen. Gleichzeitig sollen Impulse fuer einen organisatorischen Wandel zurueckgegeben und Geschaeftseinheiten "grossgezogen" werden, die in ihrer Reifephase in die normale Organisation eingegliedert werden koennen. Eine enge Verflechtung mit dem Rest des Unternehmens ist eine konzeptionelle Grundbedingung.

Aus diesen unterschiedlichen und oft widerspruechlichen Anforderungen entstand - teils geplant, teils gewachsen - eine strategische Netzwerkorganisation innerhalb des Betriebs, die trotz definierter Schnittstellen zur Regelorganisation grossen Freiraum bietet. Sie erlaubt, die Sponsoren und Promotoren im Konzern zu integrieren und zu informieren, ohne dass ein ausgefeiltes Berichtswesen die Projektunternehmen in ihrer Effizienz behindern wuerde. Sie laesst eine wenig aufwendige Koordination zu und ermoeglicht, dass die Projektunternehmer Erfahrungen austauschen oder externe Dienstleistungspartner von Business-Development gemeinsam in Anspruch nehmen. Kurz: Es entstand ein flexibles, wenig strukturiertes Netz von Beziehungen, das Handlungsspielraeume eroeffnet und dennoch mit den Notwendigkeiten eines Grossunternehmens harmoniert.

Zeitversetztes und verteiltes Arbeiten

Allerdings fordert eine derartige Organisation ihren Tribut in Form zunehmender Unuebersichtlichkeit, in Form eines hohen Aufwands fuer Kontaktpflege und Information-Sharing oder in Form eines implizit bleibenden und suboptimal lokalisierten Wissens. Im wesentlichen entstanden also Informations-Management-Probleme, die mit herkoemmlichen informationstechnischen Systemen nicht oder nur schlecht zu ueberwinden sind.

Einen besseren Ansatz versprechen Groupwarekonzepte, die unter dem Schlagwort "anytime and anyplace" verteiltes und zeitversetztes Zusammenarbeiten erlauben. Die Antwort auf die Frage, ob und inwieweit Groupware tatsaechlich einen Beitrag zur Loesung der Organisationsaufgaben leisten kann, erfordert einen kurzen Blick auf den Arbeitsalltag des Business-Development-Bereichs.

Das produktive Herz des Netzes bilden die Projektunternehmen. Teamorientiert arbeiten hier Gruppen von jeweils drei bis elf Personen an der Markteinfuehrung ihrer jeweiligen Produkt- oder Dienstleistungsidee, indem sie eine der wichtigsten unternehmerischen Funktionen erfuellen, naemlich den Bezug zum Kunden herzustellen. Die eigentliche Produktentwicklung und Fertigung findet in den Fachlabors und Werken des Konzerns oder extern statt. Hier haben die Projektunternehmer in erster Linie eine koordinierende Funktion. Fuer die Serviceaufgaben wie Marktforschung oder Strategieentwicklung werden entweder die Ressourcen des Konzerns oder externe Dienstleistungsunternehmen in Anspruch genommen.

Sie ergaenzen das Business-Development-Netz genau dort, wo der Konzern zu schwerfaellig oder zu teuer agiert: in der raschen Bereitstellung von Informationen aus neuen Maerkten, in der Beratung der neuen Geschaefte von der Idee bis zur Markteinfuehrung oder in der Methodik der Unternehmerausbildung. Durch diese intensive Zusammenarbeit sammeln die Servicebetriebe sehr viel spezielles Know-how und werden so zu wichtigen Knoten im Netz.

Das Business-Development-Management, ein Team von nur drei Personen, koordiniert den gesamten Business-Development-Prozess. Es verhaelt sich aehnlich wie ein Venture- Capital-Investor, spuert die interessantesten Projekte innerhalb des Konzernbereichs auf, sorgt fuer die unternehmerische Ausbildung der Teams, bewertet Geschaeftsplaene und stellt die Finanzierung der erfolgversprechendsten Projekte sicher. Mit einem Netz von sogenannten Gatekeepern ist Business-Development im Konzern verdrahtet und verfuegt so ueber ein grosses Wissen, was technologische, personelle und finanzielle Ressourcen im Konzern betrifft.

Als Metakoordinator ist es fuer die Gesamtstrategie des Netzes verantwortlich. Und schliesslich verfuegt es ueber die zentralen Ansprechpartner fuer den Konzern. Hier muessen daher die Informationen aus den einzelnen Projekten zusammenlaufen und transparent dargestellt werden. Auf der Basis einer Identifikation der durch Groupware sinnvoll zu unterstuetzenden Prozesse sowie einer eingehenden Analyse des exakten Informationsbedarfs entwickelte Dieter Schischke in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung Beck et al. ein Grobkonzept fuer die erforderlichen Applikationen und die adaequate Softwarebasis.

Da der Vernetzungsgrad derzeit noch nicht hinreichend hoch ist und auch Partner mit Stand-alone-PCs beziehungsweise Notebooks integriert werden muessen, fiel die Wahl der Entwicklungsplattform auf Lotus Notes 3.0., das mit Hilfe eines Replikationsmechanismus eine wenig aufwendige Kommunikation zwischen dem Server im LAN und an anderen Standorten plazierten PCs (Clients) sowie zwischen Servern erlaubt. Auf dieser Plattform sollen nun sukzessive individuelle Applikationen entwickelt werden, um die Partner des strategischen Business-Development-Netzwerks in ihrer Zusammenarbeit zu unterstuetzen:

- Ein aggregierter Finanzreport ueber die betreuten Projekte ermoeglicht dem Business-Development-Management staendige Transparenz und dient als Abstimmungsinstrument gegenueber dem Konzern.

- Inhaltlich wie methodisch entsteht ein kollektives Gedaechtnis, ein gemeinsames Business-Development-Know-how, das fuer die Auswahl neuer Unternehmen sowie fuer das Coaching sehr wertvoll ist. Dazu gehoert auch das Wissen ueber den Business-Development-Prozess selbst.

- Projektmanagement: Fuer die einzelnen Unternehmen werden Projektdatenbanken angelegt, die als Teamgedaechtnis alle relevanten Dokumente und Ereignisse aufnehmen. Gemeinsam mit den Serviceunternehmen werden zum Beispiel Marktforschungsprojekte ueber Notes abgewickelt. Dies fuehrt zu einer engeren Abstimmung und zu groesseren Einflussmoeglichkeiten auf das Prozessgeschehen und ermoeglicht ein permanentes Markt-Monitoring.

- Diskussionsdatenbanken dienen zur Meeting-Vorbereitung. Der Informationsabgleich zwischen den Teammitgliedern an verschiedenen Standorten wieder vereinfacht und beschleunigt, die Meetings selbst sind effizienter. Auch an gemeinsame Terminkalender ist gedacht.

- Beschaffungsvorgaenge werden bislang per normalem Dienstweg abgearbeitet. Das fuehrt gerade beim Neugeschaeft, in dem Zeit einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor darstellt, zu unakzeptablen Verzoegerungen. Daher soll eine einfache Workflow-Applikation den Genehmigungsablauf fuer Beschaffungsvorgaenge steuern und beschleunigen.

- Diverse Datenbanken dienen dem allgemeinen Austausch zwischen den Netzwerkmitgliedern. Hier finden sich Diskussionsforen zu Marketing-Problemen oder Personalentwicklung. Im Rahmen von Kontakt-Management-Datenbanken sollen die Verbindungen der Netzwerkpartner geknuepft werden.

Geplante Anwendungen durchweg relativ einfach

Die geplanten Anwendungen sind dabei durchweg relativ einfach. Ihr Vorteil resultiert in diesem Fall keineswegs aus einer besonders ausgekluegelten und komplexen Anwendung, sondern im Gegenteil gerade daraus, dass eine unkomplizierte, flexible und erweiterbare Kommunikations-Infrastruktur zur Verfuegung gestellt wird, die der strategischen Netzwerkorganisation zu einer Effizienz und Schlagkraft verhilft, die auf anderem Wege nur schwer zu erreichen waere. So betrachtet, ist Groupware mehr als bloss "Software fuer Teams". Sie verdient es vielmehr, als Organisationstechnologie anerkannt zu werden.